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Gorillas tritt auf die Bremse
Sozialsenatorin kritisiert die angekündigte Entlassungswelle bei umstrittenem Lieferdienst
Als »echte Knochenjobs« bezeichnete Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) in der vergangenenen Woche die Arbeit der Beschäftigten von Lebensmittellieferdiensten. Sie begrüße daher die Wahl von Betriebsräten in der Branche. Denn, so Kipping: Gute Arbeit bedeute sichere Beschäftigungsverhältnisse mit sicheren Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung und guter Bezahlung. Um all das steht es bei Lieferdiensten bekanntlich nicht immer zum Besten. »So schnell, wie sie zu liefern versprechen, so schnell feuern sie auch«, kritisierte Kipping. Sie halte ein solches Geschäftsmodell »weder für nachhaltig noch für sozial«.
Vorangegangen war die Ankündigung des Lieferdienstes Gorillas, 300 Beschäftigte zu entlassen – die Hälfte der Verwaltungsangestellten. Das Unternehmen, eines der größten der Branche, will zwei Jahre nach seinem Marktgang profitabel werden. In einer Mail an die Beschäftigten machte Gorillas-Chef Kağan Sümer die sich seit März verschlechternde Marktlage für den Schritt verantwortlich. Zwar seien in den letzten 24 Monaten Abermilliarden Dollar in die Wirtschaft gepumpt worden – wovon auch Gorillas profitiert habe –, allerdings seien die Anleger*innen nun vorsichtiger. Im Klartext: Der Zufluss an billigem Geld sei ins Stocken geraten.
Das Start-up-Portal »sifted« berichtet unter Berufung auf interne Quellen, dass Gorillas derzeit etwa 60 Millionen Dollar pro Monat verliere. Das Unternehmen hatte zuletzt im vergangenen Oktober rund 860 Millionen Euro Risikokapital eingeworben. Um im stark umkämpften Liefermarkt zu bestehen, will das Unternehmen nun Fixkosten sparen und sich statt auf schnelles Wachstum auf seine Kernmärkte in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und den USA konzentrieren – in diesen Ländern verbucht das Unternehmen laut eigenen Angaben 90 Prozent des Umsatzes. Für die Märkte Italien, Spanien, Dänemark und Belgien werde man vor diesem Hintergrund »alle strategischen Optionen« prüfen, teilte Gorillas mit. Den entlassenen Mitarbeiter*innen gab Kağan Sümer in seiner Mail noch den Rat mit auf den Weg, »Frustration zu kanalisieren« und »euer eigenes, neues Vermächtnis zu schaffen«. Dieselbe Frustration nach einer Entlassung habe ihn schließlich zur Gründung von Gorillas veranlasst.
Für die Friedrichshain-Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, stellt die Umstrukturierung bei Gorillas nur den »Anfang einer riesigen Konsolidierungswelle in der Branche« dar. »Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Gorillas werden nun die kopflosen Expansionsfantasien der Unternehmensführung ausbaden müssen«, kritisiert sie. Früher oder später werde es auch die Fahrer*innen treffen, von deren Jobs auch Aufenthaltsgenehmigungen abhingen.
Nach Ansicht eines Betriebsratsmitglieds, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sei dies längst eingetreten: durch zu geringe oder unabgesprochene Zuteilungen von Schichten sowie durch verschärfte Hürden bei Krankmeldungen und Kündigungen. Dies mache den Angestellten die Arbeit unnötig schwer.
Das Gorillas Workers Collective, das aufgrund der Arbeitsbedingungen im vergangenen Jahr zu Streiks aufgerufen hatte, beobachtet in der gesamten Lieferbranche eine Tendenz zur kurzfristigen Entlassung. Ab der Entlassung von 30 Arbeitnehmer*innen pro Monat besteht in einem Unternehmen dieser Größe die Anzeigepflicht einer Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit. Als Grund für die Schrumpfung nennt das Kollektiv geänderte Nachfragebedingungen infolge des Abebbens der Corona-Pandemie.
Gorillas liegt mit dem Betriebsrat des Unternehmens seit dessen Gründung über Kreuz. Der Berliner Betriebsrat wurde über die jüngsten Umstrukturierungspläne dann auch weder angehört noch informiert. Dabei ist unklar, ob er für die nun Entlassenen überhaupt zuständig ist. Während der Betriebsratsgründung im vergangenen Jahr hatte Gorillas zunächst das operative Geschäft ausgegliedert und anschließend dafür ein sogenanntes Franchise-Modell angekündigt, in dem jedes Warenlager als eigener Betrieb fungieren sollte. Dennoch befinde man sich in Kontakt mit einigen betroffenen Kolleg*innen, teilt das genannte Betriebsratsmitglied mit.
Für Martin Bechert, der bereits als Anwalt des Betriebsrats fungierte, könne sich für die Beschäftigten in der Verwaltung nun die Nützlichkeit einer Interessensvertretung zeigen, etwa im Hinblick auf Abfindungszahlungen. »Es dürfte darauf hinauslaufen, dass der Betriebsrat für die in Berlin betroffenen Mitarbeiter versuchen wird, einen Sozialplan zu verhandeln«, schreibt Bechert in seinem Blog.
Sozialsenatorin Katja Kipping erklärte, sie habe sich unlängst noch mit Betriebsratsmitgliedern von Gorillas getroffen, um zu hören, »wie es für die Riders auf den Straßen von Berlin tagtäglich aussieht«. Immer wieder hätten die Kontrolleur*innen vom Landesamt für Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) gravierende Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Lieferfirmen festgestellt. Umso wichtiger seien regelmäßige Kontrollen.
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