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  • Ukraine vor WM-Qualifikation

Fußball als Symbol der Souveränität

Das ukrainische Nationalteam will zur WM und der kriegsgeplagten Heimat damit Hoffnung spenden

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Nationalmannschaft der Ukraine warb zuletzt bei Testspielen wie hier in Mönchengladbach um Solidarität und Spenden.
Die Nationalmannschaft der Ukraine warb zuletzt bei Testspielen wie hier in Mönchengladbach um Solidarität und Spenden.

Anatolij Tymoschtschuk war so etwas wie ein sportlicher Botschafter seines Landes. Der Fußballer hatte 144 Länderspiele für die Ukraine bestritten, noch immer ein Rekord. Nach seiner Karriere zog Tymoschtschuk 2016 nach St. Petersburg und wurde Assistenztrainer bei Zenit, dem Lieblingsklub von Russlands Präsident Wladimir Putin. Auch nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf Tymoschtschuks Heimat wollte er sich nicht von Russland distanzieren. Und so erteilte ihm der Ukrainische Fußballverband ein lebenslanges Verbot für Tätigkeiten in der Ukraine.

Tymoschtschuk ist nur ein Beispiel für die politischen Ausrufezeichen, die im ukrainischen Fußball zuletzt gesetzt wurden. Die wichtigste Botschaft möchte die Nationalmannschaft in dieser Woche verbreiten. In zwei Playoffspielen möchte sie sich noch für die WM im Dezember 2022 in Katar qualifizieren. Dafür muss sie an diesem Mittwoch zunächst in Schottland gewinnen und am Sonntag dann noch gegen Wales. Für die Ukrainer wäre das Erreichen der globalen Bühne ein Zeichen der Zuversicht, auch in Abgrenzung zu Russland. Dabei verbindet beide Nationen eine gemeinsame Fußballgeschichte.

Seit Generationen prägt der Fußball den ukrainischen Patriotismus. Das war schon in der Sowjetunion so, als die Ukraine am Rand des Vielvölkerstaates lag, im Fußball aber sein Zentrum bildete. Zwischen 1961 und 1990 gewann Dynamo Kiew 13 Mal die sowjetische Meisterschaft. »Viele Menschen in der Ukraine fühlten sich vom Zentrum in Moskau dominiert«, sagt die ukrainische Historikerin Kateryna Chernii. »Kiew war eine russifizierte Stadt, doch der Fußball prägte eine lokale Identität.«

In der UdSSR versuchte der Kreml, Traditionen der Teilrepubliken zu ersticken. In Briefen an Lokalzeitungen schimpften Fans aus Kiew aber mitunter gegen Schiedsrichter aus der Hauptstadt Moskau. Etliche Briefe wurden auf Ukrainisch verfasst, damals ungewöhnlich und unerwünscht, daher durften sie nicht veröffentlicht werden.

In Kiew profitierten Fußball und Politik voneinander. Die Erfolge von Dynamo gingen auf Wolodymyr Schtscherbyzkyj zurück. Der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Ukraine war Fußballfan. Und so konnte Trainer Walerij Lobanowskyj Dynamo mit wissenschaftlichen Methoden ins Spitzenfeld führen. Als legendär gilt der Gewinn des Europäischen Supercups 1975 gegen den FC Bayern München. Für die Eliten in Moskau war das kein ukrainischer, sondern ein sowjetischer Triumph. Sie kamen an Lobanowskyj nicht mehr vorbei und beriefen ihn auch zum Trainer des sowjetischen Nationalteams. Dort ließ Lobanowskyj die besten Spieler aus Kiew als Gerüst für die UdSSR spielen. »Nur in Momenten des unzweifelhaften, überzeugenden Erfolges wurde er von Moskau anerkannt und unterstützt«, schreibt der Autor Juri Andruchowytsch im Sammelband »Totalniy Futbol«. »Kaum erlitt er eine Niederlage, fiel Moskau schonungslos und schadenfroh über ihn her.« Dreimal war Lobanowskyj Trainer der UdSSR, zweimal dauerte sein Engagement nur einige Monate an.

Irgendwann aber lag die Aufmerksamkeit woanders, denn die Weltmacht zerfiel. Im Oktober 1990 gingen Studenten in Kiew in den Hungerstreik, sie machten sich für die Unabhängigkeit stark. Einige Spieler von Dynamo hissten auf dem Maidan ihre Vereinsfahne neben der blau-gelben Nationalflagge. Sie glaubten, dass die Ukraine als eigenständiger Staat besser dran wäre, ihre Betriebe, ihr Getreideanbau und auch: ihr Sport.

Anfang der 1990er Jahre fehlte auch im Fußball die Orientierung. Souverän hatte sich die Sowjetunion für die Europameisterschaft 1992 qualifiziert, doch dann hörte ihr Staat auf zu existieren. Und so spielte in Schweden als Übergang die Mannschaft der GUS, der »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten«. Auch dieses Team wurde von ukrainischen Spielern geprägt, von Oleh Kusnezow, Andrei Kantschelskis oder Sergei Juran. Inzwischen aber spielten sie nicht mehr für Dynamo Kiew, sondern im Westen, für die Glasgow Rangers, Manchester United oder Benfica Lissabon. Der sowjetische Vorzeigetrainer Lobanowskyj hatte sich den Auflösungserscheinungen entzogen und war Trainer in den Vereinigten Arabischen Emiraten geworden.

Russland erhielt die Erlaubnis, an der Qualifikation für die WM 1994 teilzunehmen. Die neue ukrainische Mannschaft durfte erst in der Qualifikation für die EM 1996 einsteigen. »Viele Ukrainer empfanden das als große Ungerechtigkeit«, sagt Kateryna Chernii, die am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zur Transformation des ukrainischen Fußballs forscht. Der ukrainische Verband hatte so wenig Geld, dass er kaum Flugtickets für das Auswahlteam zahlen konnte.

In der Sowjetunion kamen viele Nationalspieler aus gemischten Ehen, ihre Eltern stammten aus Georgien, Belarus oder Aserbaidschan. Die Fifa stellte ihnen die Wahl für die Nationalteams der Nachfolgestaaten frei. Die Aussicht auf höhere Prämien führte dazu, dass einige sowjetisch-ukrainische Spieler die russische Staatsbürgerschaft annahmen, so auch Juran, aufgewachsen in Luhansk, im Osten der Ukraine. Etliche Ukrainer bezeichneten ihn daraufhin als Verräter, der seine Identität aufgegeben habe.

In den 90ern teilten sich einflussreiche Männer in der Ukraine die Konkursmasse des Kommunismus auf. Einer von ihnen, Grigoriy Surkis, hatte im Wohnungsbau-Kombinat in Kiew gearbeitet. Nach der Unabhängigkeit investierte er in Erdöl, Banken, Landwirtschaft. Woher sein Geld stammte, ist unklar. Surkis kaufte 1993 seinen Lieblingsklub Dynamo Kiew und übernahm als Präsident den Ukrainischen Fußballverband. In der Politik wollte er auch mitmischen, und so sorgte er dafür, dass die Spieler Dynamos 1998 der Sozialdemokratischen Partei beitraten.

Grigoriy Surkis und sein ebenfalls schwerreicher Bruder Igor machten aus dem Fußball ein Werkzeug der Oligarchen. Sie waren nicht die Einzigen: Im Osten führte der Rohstoffmilliardär Rinat Achmetow Schachtar Donezk 2009 zum Gewinn des Uefa-Pokals. Bei den Siegesfeiern zeigte sich auch Wiktor Janukowytsch, ein Vertrauter Putins, der sich für das Präsidentenamt in der Ukraine in Stellung brachte.

Surkis, Achmetow und Janukowytsch wollten sich als Staatsmänner präsentieren, als die Ukraine 2012 gemeinsam mit Polen die Europameisterschaft austrug. Jeweils fünf Spiele fanden in Kiew und Donezk statt. Die Donbass-Arena in Donezk war für fast 200 Millionen Euro errichtet und erst 2009 eröffnet worden. Kateryna Chernii engagierte sich 2012 als Helferin in Kiew, sie sagt: »Die Euro hat den Ukrainern ein Gemeinschaftsgefühl beschert.«

Verblasste Zeiten. Das Stadion in Donezk wurde während des Krieges beschädigt. Der russische Fußballverband wollte 2015 die Profiklubs von der Krim in den russischen Spielbetrieb eingliedern, aber die Uefa untersagte das. Seither gingen zahlreiche ostukrainische Vereine ins Exil.
Seit Beginn des Angriffskrieges ist der Fußball ein noch stärkerer Teil der Propaganda. Das ukrainische Nationalteam und Dynamo Kiew sind seit Wochen für Freundschaftsspiele in Europa unterwegs. Spieler werben um Solidarität und Spenden. Zeitgleich schließen sich Hunderte Hooligans und Ultras den Freiwilligen-Bataillonen an der Front an. Aktuell könnte der Fußball den Ukrainern etwas Hoffnung geben, sagt Chernii. Eine Teilnahme bei der WM in Katar wäre ein Symbol der Souveränität.

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