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Housing First statt Abriss-Deal
Schon wieder droht den Bewohnern der Habersaathstraße die Räumung
Einen Tag räumte die Arcadia Estates GmbH den 50 Bewohner*innen des Wohnblocks in der Habersaathstraße 40-48 in Mitte ein, um ihre Sachen zu packen: Am Montagnachmittag kam mal wieder ein Brief an – mit der Aufforderung, bis Dienstag die Wohnungen zu verlassen und am 2. Juni die Schlüssel der Hausverwaltung zu übergeben. Die Begründung ist dieselbe wie beim vorherigen Mal: »Die Eigentümer wollen die Bewohner gegen ukrainische Geflüchtete ausspielen«, sagt Valentina Hauser von der Unterstützterinitiative »Leerstand-Hab-ich-Saath« zu »nd«.
Schon Ende April hatte die Arcadia Estates angekündigt, in dem Gebäude ukrainische Kriegsflüchtlinge anstelle der ehemals obdachlosen Menschen unterbringen zu wollen, vermutlich weil mit der Unterbringung von Geflüchteten Tagessätze bis zu 25 Euro pro Person verdient werden können. Das Bezirksamt erteilte dem Vorhaben eine Absage und setzte sich für den weiteren Verbleib der Obdachlosen ein, die das Gebäude seit Ende Dezember bewohnen. Zuvor war der Wohnblock von wohnungslosen Menschen und Aktivist*innen besetzt worden, um gegen die Abrisspläne der Eigentümerfirma zu protestieren.
Eigentlich will die Arcadia Estates das Gebäude durch Luxusneubauten ersetzen, obwohl es erst 2006 von außen energetisch saniert worden sei, kritisiert Valentina Hauser. Der Bezirk Mitte »träumt von einer Vereinbarung mit den Eigentümern, dass anschließend 30 Prozent der Wohnungen zu bezahlbaren Mieten angeboten werden. Das ist einfach ein dreckiger Deal«, so Hauser. Einerseits glaubt sie, dass die Eigentümer eine solche Vereinbarung umgehen werden, andererseits sei es auch aus ökologischen Gründen unverantwortlich, preiswerten Wohnraum zu vernichten. Dass der Eigentümer die Wohnungen zuvor jahrelang leer stehen ließ, nennt Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Berliner Linksfraktion, »in Zeiten der Wohnungsnot alles andere als ein Kavaliersdelikt. Jetzt darf der Eigentümer nicht noch dafür belohnt werden, indem er eine Abrissgenehmigung bekommt.«
Schenker sieht den Bezirk Mitte in der Pflicht, die Räumung des Gebäudes zu verhindern. Schließlich habe dieser zuvor erklärt, dass die 50 Bewohner*innen zumindest bis zum Abriss dort wohnen könnten. Dafür wollte der Bezirk 3,50 Euro pro Quadratmeter und Monat zahlen. Bislang hätten die Eigentümer nach Angaben von Valentina Hauser aber gar keine Rechnung gestellt, »wahrscheinlich weil sie Angst haben, dass sich daraus ein mietähnliches Verhältnis ergibt und sie die Obdachlosen nicht mehr rauskriegen«, vermutet sie.
Das Bezirksamt Mitte teilt auf nd-Anfrage mit, es habe zum Verbleib der Bewohner*innen »nie ein Versprechen geäußert«, setze sich »aber weiterhin sehr engagiert dafür ein«. Die Gespräche dazu würden sich schwierig gestalten, da das Entgegenkommen des Eigentümers Voraussetzung sei und dieses wiederum »sehr abhängig von der Bereitschaft der regulären Mieter*innen, sich auf die Angebote des Eigentümers einzulassen«.
Die derzeitigen Bewohner*innen haben jedenfalls beschlossen, ihre Wohnungen nicht zu verlassen, und werden nun Rechtsschutz beantragen. Für sie sei es »wichtig, endlich mal ein sicheres Zuhause zu haben und ankommen zu können. Die ständigen Angriffe belasten die Psyche der Menschen«, sagt Hauser. Viele von ihnen hätten bis zu 20 Jahre auf der Straße gelebt. Eigentlich sei die Unterbringung in der Habersaathstraße »ein perfektes Housing-First-Projekt, wie es sich der Senat nicht besser erträumen kann«, findet sie. Auch Niklas Schenker von der Linken spricht von einem Vorzeigeprojekt, das »Maßstäbe auch für andere Housing-First-Projekte« setze und unbedingt erhalten bleiben müsse.
»Leerstand-Hab-ich-Saath« fordert, dass alle 85 Wohnungen für die Unterbringung von Obdachlosen genutzt werden. Valentina Hauser hofft dabei auf die Unterstützung weiterer Initiativen, um den öffentlichen Druck zu erhöhen. »Alleine schaffen wir das nicht. Die letzten Monate waren kräftezehrend, wir sind ganz schon ausgebrannt«, sagt sie.
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