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- Heard vs. Depp
Nichts gelernt
Mordfantasien? Offenbar nicht so schlimm. Johnny Depps Fans nehmen ihm nichts krumm.
Wirklich überraschend kamen die Urteile, die die Geschworenen im Gerichtsverfahren der beiden Schauspieler Johnny Depp und Amber Heard fällten, nicht: Nach einem sechswöchigen Prozess wurde nun Heard der Verleumdung einstimmig schuldig gesprochen, sie muss Depp 10,35 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen. 2018 hatte sie einen Artikel in der »Washington Post« veröffentlicht, in dem sie insinuierte, ihr Ex-Ehemann Depp habe ihr häusliche Gewalt angetan – allerdings ohne seinen Namen zu nennen. Das Gericht befand nun, dass Heard mit schlechter Absicht gelogen habe. Es gab allerdings auch der Gegenklage Heards zumindest teilweise recht. Depp muss Heard zwei Millionen Dollar zahlen, ebenfalls wegen Verleumdung – Depps Anwalt Adam Waldman hatte Heards Anschuldigen öffentlich als »Trick« bezeichnet. Anders als oft dargestellt sollte in dem Prozess nicht darüber gerichtet werden, ob einer der beiden dem anderen gegenüber tatsächlich gewalttätig war.
Bemerkenswert ist, dass Depp bei der Urteilsverkündung gar nicht anwesend war, da er sich derzeit in Großbritannien aufhält – erst am Dienstag hat er ein Konzert in London gegeben. Von Anfang an schien er dem Verfahren nicht viel Ernsthaftigkeit entgegenzubringen. Umso ernster nahmen es seine Fans – und nicht nur die, sondern auch viele selbsterklärte »Anti-Fans« von Heard.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Depps Entscheidung, das Gerichtsverfahren live übertragen zu lassen, hat sich für den Schauspieler als goldrichtig herausgestellt. Das wohl öffentlichkeitswirksamste Gerichtsverfahren der USA seit dem Mordprozess gegen den Footballspieler und Schauspieler O.J. Simpson im Jahr 1995 wurde in sämtlichen Medien und sozialen Netzwerken rund um die Uhr kommentiert. Wie bei einem »True Crime«-Fall suchten Internetnutzer eifrig nach Indizien, die zumeist Heards Schuld beweisen sollten. Vor allem aber wurde sich über Heard lustig gemacht und ihr vorgeworfen, sie würde auch im Gerichtssaal schauspielern.
Der gesamte Prozess, der per Livestream ins Internet übertragen wurde, entwickelte sich zu einem riesigen Spektakel. So wurden Eintritte zum Gerichtssaal auf dem Schwarzmarkt verkauft, eine bekannte Nutzerin der Videoplattform Tiktok ließ sich das Gesicht von Depps Anwältin Camille Vasquez tätowieren und Lance Bass von der Band *NSYNC sprang auf einen viralen Trend auf und imitierte in einem mittlerweile gelöschten Videoclip in spöttischer Absicht eine Aussage Heards. Zudem wurden massenhaft Fehlinformationen verbreitet. Auf zahlreichen Onlineplattformen und vor allem in den Sozialen Medien war es kaum möglich, dem Prozess zu entgehen. Einer investigativen Recherche der Onlineplattform »Vice« zufolge liegt das unter anderem auch daran, dass »The Daily Wire«, eine vom rechtspopulistischen Autor Ben Shapiro gegründete Nachrichten-Website, rund 40 000 Dollar in Werbung auf Instagram und Facebook investierte, um gegen Heard gerichtete Artikel zu bewerben.
Warum sich die öffentliche Meinung so stark gegen Heard gewendet hat, ist schwierig zu ermitteln. Sicher ist: Sie entspricht nicht dem klassischen Bild eines Opfers, das sich ausschließlich gut und moralisch verhält; vieles weist daraufhin, dass sich nicht nur Depp, sondern auch Heard übergriffig verhalten hat.
Die öffentliche Hetze gegen Heard ist knapp fünf Jahre nach dem Beginn der MeToo-Bewegung, die sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen anprangert, der erste große Rückschlag gegen diese. Auch wenn in den vergangenen Jahren ehemals medial degradierte Frauen wie Britney Spears, Monica Lewinky oder Paris Hilton in der Öffentlichkeit rehabilitiert wurden und Misogynie ein großes Diskussionsthema war, zeigt der Prozess, dass sich im kollektiven Bewusstsein wenig verändert hat.
Rehabilitiert ist nun auch Depp. Vielen, die ihn unterstützten, kam es nicht in den Sinn, den vor Gericht erbrachten Beweisen seiner Gewaltbereitschaft Beachtung zu schenken. Dabei waren die durchaus schockierend: So fantasierte er etwa in einem Textnachrichtenaustausch mit seinem Schauspielkollegen Paul Bettany darüber, Heard umzubringen und mit ihrer Leiche Geschlechtsverkehr zu haben. Heards Schilderungen vor Gericht, wie Depp sie einmal mit einer Wodkaflasche penetriert habe, lieferten ihren »Anti-Fans« gar Anlass zum Spott.
Ob Heard die Wahrheit sagt oder nicht – die Witze über häusliche und sexualisierte Gewalt, die anlässlich des Prozesses so zahlreich durch das Internet geistern, sind ein Schlag ins Gesicht für Opfer von Vergewaltigung und Missbrauch. Die sowieso schon meist schwierige Entscheidung, sich gegen den gewalttätigen (Ex-)Partner zu stellen, gegen ihn auszusagen oder gar einen Gerichtsprozess anzustreben, wird dadurch in vielen Fällen vermutlich weiter erschwert. Damit hat nicht nur Heard verloren, sondern viele mit ihr.
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