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Kommunalpolitik mit roter Krawatte
Im brandenburgischen Bernau bewirbt sich Bürgermeister André Stahl (Linke) um eine zweite Amtsperiode
Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Das Ding ist gelaufen. Der André macht das.« Solche Sätze hört der Bernauer Stadtverordnete Matthias Holz (Linke) jetzt immer wieder. Das mag verblüffen in Zeiten, in denen Brandenburgs Linke in den Umfragen bis auf 7 Prozent abgestürzt ist und so weit weg ist von den 28 Prozent, die sie bei der Landtagswahl 2004 einmal hatte. Aber Bürgermeisterwahlen sind Personenwahlen, und da ist ein Sieg gegen den Trend durchaus möglich, wenn einer gute Arbeit geleistet hat. Matthias Holz warnt jedoch davor, am 19. Juni lieber den Sonntag zu genießen und nicht zur Bürgermeisterwahl zu gehen, weil es auf ein paar Stimmen schon nicht ankommen werde. Es könnte nämlich doch darauf ankommen. Seit siebeneinhalb Jahren ist André Stahl (Linke) Rathauschef in der 42 000 Einwohner zählenden Stadt Bernau vor den Toren Berlins. Er möchte eine zweite Amtszeit dranhängen.
Auf seinem Wahlplakat ist der Bürgermeister in schwarzem Anzug vor schwarzem Hintergrund zu sehen. Für welche Partei er am 19. Juni antritt, steht ganz klein, fast verschämt, oben in der Ecke. Das Bild strahlt Seriosität aus und hebt sich damit deutlich ab von den schrillen Motiven der vier Herausforderer. Einer davon versucht erst gar nicht, ernsthaft herüberzukommen: Der lachende Kandidat Mario Schlauß von der Spaßpartei Die Partei lässt den Betrachter seines Plakats per Slogan wissen: »… mein ›Fick Dich!‹ kommt von Herzen.« Aber das sei wenigstens »ehrlich«, muss André Stahls Wahlkampfchef Dominik Rabe schmunzeln. Bei Schlauß ist der Witz Programm.
Die Kandidaten Anette Kluth (Freie Wähler) und Lars Stepniak-Bockelmann (SPD) dagegen fallen bisher durch unfreiwillige Komik auf, und was von dem Impfgegner Markus Brendel von der Querdenker-Partei Die Basis zu halten ist, lässt sich leicht ausmalen. Anette Kluth schnitt auf einem ihrer Plakate Grimassen. So polemisierte sie gegen ein Ringstraßensystem, durch das der Autoverkehr künftig besser fließen soll. Nach dem Willen von Bürgermeister Stahl sollen die Einwohner der Stadt selbst entscheiden, ob sie das für eine gute Idee halten. Kluth lockt dagegen mit der trügerischen Aussicht auf eine Ortsumgehung.
Doch darum müsste sich das Land Brandenburg kümmern. Bernau befindet sich mit diesem Projekt seit drei Jahrzehnten in einer Warteschlange sehr weit hinten und ist nicht wesentlich vorgerückt, bedauert André Stahl. Angesichts des Koalitionsvertrags von SPD, CDU und Grünen, wonach in Brandenburg möglichst keine neuen Straßen gebaut werden sollen, bestehe kaum eine Chance, dass sich da in den kommenden Jahren etwas bewegt. So realistisch müsse man sein.
Sozialdemokrat Stepniak-Bockelmann verkleidete sich in einem kurzen Video als Figur aus den Harry-Potter-Kinderbüchern und fuchtelte mit einem Zauberstab herum. Es sah so aus, als wolle er die Wähler nicht mit Argumenten überzeugen, sondern mit Magie dazu bringen, ihn auf dem Wahlzettel anzukreuzen. Als sein Vorbild nannte Stepniak-Bockelmann SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Um das zu kommentieren, wackelt Stahl bedenklich mit dem Kopf. Einer wie Kühnert, der nichts gelernt habe und trotzdem große Reden führe, den würde er seinen Kindern nicht als Vorbild empfehlen. »Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich ein Studium abgeschlossen habe«, sagt Stahl. Er ist von Beruf Rechtsanwalt.
Bei einer Veranstaltung am Donnerstagabend im Bernauer Ofenhaus geht André Stahl nur kurz auf seine Mitbewerber ein. Vor mehr als 100 Gästen – die Sitzplätze reichen nicht für alle – konzentriert er sich darauf, die Bilanz seiner ersten Amtszeit zu ziehen und seine Pläne für eine zweite Amtszeit zu erläutern. Stakkatoartig zählt er auf, was alles gebaut wurde. Bernau ist schuldenfrei und konnte sich eine Menge leisten. »Unsere Stadt schwimmt wie ein Fettauge auf der Suppe«, bemerkt André Stahl.
Errichtet wurde auch das neue Rathaus, von dem die Freien Wähler behaupteten, wegen der Kosten des Prestigebaus würden die Kitagebühren steigen. Sie hätten in dieser Auseinandersetzung mit »unlauteren Mitteln« gekämpft – und verloren, sagt der Bürgermeister. Sein Ziel ist es, dass alle Ortsteile nicht nur im Berufsverkehr bequem mit dem Bus zu erreichen sind, damit die Bürger das eigene Auto stehen lassen können. Wo das sinnvoll möglich ist, sollen Solaranlagen installiert werden. Stahl versichert, dass er eine grüne Politik mache. Er registriert verstimmt, dass die Bernauer Grünen dennoch nicht ihn unterstützen, sondern seinen SPD-Konkurrenten Stepniak-Bockelmann.
Ganz allein auf seine eigenen Genossen muss sich Stahl im Wahlkampf aber nicht stützen. Zumindest eine kommunalpolitisch relevante Gruppe hat sich auf seine Seite geschlagen: das als Verein organisierte »Bündnis für Bernau«. Hervorgegangen war es 2013 aus Protesten gegen die zwei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidig erklärten Altanschließerbeiträge für Trinkwasser und Kanalisation. Bei der Kommunalwahl 2014 errang das »Bündnis für Bernau« aus dem Stand fünf Mandate im Stadtparlament, bei der Kommunalwahl 2019 dann noch drei Mandate. Die drei Stadtverordneten bilden jetzt mit einem Stadtverordneten von der FDP eine gemeinsame Fraktion. Vorsitzender dieser Fraktion ist Detlef Maleuda. Sein Vater Günther Maleuda (1913–2012) war in der DDR Vorsitzender der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und nach dem Rücktritt von Horst Sindermann (SED) von November 1989 bis April 1990 Volkskammerpräsident. Von 1994 bis 1998 gehörte der nun parteilose Günther Maleuda zur PDS-Bundestagsfraktion. Seine alte Bauernpartei war da gegen seinen Willen längst mit der CDU verschmolzen.
Das »Bündnis für Bernau« (BfB) zählt etwa 30 Mitglieder, die sich nach Auskunft von Detlef Maleuda einstimmig entschieden haben, André Stahl zu unterstützen. Schon vor der Stichwahl 2014 hatte das Bündnis dazu aufgerufen, Stahl zu wählen. Der eigene Kandidat war seinerzeit in der ersten Runde der Bürgermeisterwahl ausgeschieden. Am Donnerstagabend übergibt die BfB-Vereinsvorsitzende Evelyn Westphal dem Bürgermeister den Schlüssel eines Pkw, der als Wahlkampfmobil mit dem Konterfei von André Stahl beklebt ist und ihm und seinem Team mindestens bis zum 19. Juni zur Verfügung steht, bei Bedarf auch noch bis zu einer späteren Stichwahl. Für Fotos setzt sich Stahl gleich mal hinters Lenkrad.
Detlef Maleuda, selbst Personalchef eines mittelständischen Unternehmens, vergleicht die Stadtverwaltung mit einem großen Unternehmen mit rund 900 Mitarbeitern, das erst einmal sachkundig geleitet werden will. Stahl habe bewiesen: »Er will es nicht nur, sondern er kann es.« Der Bürgermeister habe viel erreicht und könne Menschen begeistern. »Wer nicht selber brennt, kann keine anderen entzünden«, meint Maleuda. Am 19. Juni will er seine Unterstützung von André Stahl krönen, indem er ihm seine Stimme gibt.
Eine derart eindeutige Wahlempfehlung vermeidet der Unternehmer Carsten Schmidt. Als Vorsitzender des überparteilichen Barnimer Mittelstandshauses möchte er selbst überparteilich agieren. Aber auch Schmidt ist als Redner im Ofenhaus voll des Lobes über den tatkräftigen Bürgermeister. In den zurückliegenden Jahren sei »krass viel passiert«. Was früher Jahrzehnte brauchte, entwickle sich jetzt »mit rasender Geschwindigkeit«. Unternehmen lieben Stabilität, sagt Schmidt. In der Coronakrise habe sich Stahl bewährt, als er sich um die Existenz der vom Lockdown betroffenen Gastronomen kümmerte. »Der Kandidat, der hier steht, der hat schon acht Jahre geschafft«, sagt Schmidt. Mehr muss er gar nicht sagen. Die Konkurrenten sind diesen Beweis noch schuldig. Das Publikum begreift und applaudiert.
»Es geht hier nicht um Partei oder nicht Partei, es geht um unser Bernau«, betont eine, die durchaus Partei ist – die frühere Landtags- und Bundestagsabgeordnete Dagmar Enkelmann (Linke). Sie kennt André Stahl seit über 30 Jahren. Einst sei er in Bernau zur PDS gekommen, als andere den Sozialisten gerade den Rücken kehrten. Hier in Bernau habe Stahl seine »politische Menschwerdung« begonnen. Stahl lebt zwar mit seiner Familie etwa zehn Kilometer nordöstlich von Bernau in der Kleinstadt Biesenthal. »Es ist richtig«, sagt Enkelmann, »André Stahl lebt nicht in dieser Stadt, aber er lebt mit dieser Stadt.« Sie ruft aus: »Du bist einer von uns!«
Bezahlbarer Wohnraum, ausreichend Kita- und Hortplätze und ein breites Kulturangebot seien dem Bürgermeister wichtig, zählt Enkelmann auf. Auch für die Sportvereine habe er ein Herz, »sollte nur ab und zu auch selbst ein bisschen Sport treiben«. Enkelmann berichtet von einer Seite des so seriösen Bürgermeisters, die weniger bekannt ist: »Er feiert ganz gerne, und er bleibt auch bis zum Schluss.« Und Humor habe er durchaus. Das zeigt schon das Wahlkampflogo. Es ist reduziert auf zwei Erkennungsmerkmale des Kommunalpolitikers: schwarze Hornbrille und rote Krawatte.
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