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»Meine Mama ist eine Boss Bitch«
Die DJs Jaraya und Miss Control über feministische Haltung beim Auflegen, Verantwortung in der Clubkultur und die Kraft ihrer Crew GG Vybe
Ihr habt alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit dem DJing angefangen und euch vor vier Jahren bei einem Workshop kennengelernt, der exklusiv für Frauen, Lesben, Inter, Non-binary, Trans und Agender (Flinta) ausgeschrieben war. Wie hat sich entwickelt, was GG Vybe heute ist?
GG Vybe steht für Girl Gang Vybe. Die sechs DJs kommen aus Frankfurt am Main und was zunächst ein lockerer Zusammenschluss war, ist inzwischen Freund*innenschaft. Sie verbinden das Auflegen von Musik mit einer feministischen, intersektionalen Haltung, veranstalten Partys und Workshops, Lesungen, Filmvorführungen und Diskussionspanels.
Miss Control ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin und legt aktuell am liebsten Hip-Hop und Future R’n‘B auf. Es gibt ihr Kraft, mit ihrer Crew ein Vorbild für eine jüngere Generation zu sein.
Jaraya ist Kampfsportlerin, kommt aus dem Hip-Hop und hat gerade eine elektronische Phase mit alten House Classics. GG Vybe ist für sie Solidarität und Reichweite, mit der sie über die kommunale Ebene die Strukturen der Clubkultur im Mainstream verändern will.
Miss Control: Als Crew können wir wirklich etwas erreichen und die Frankfurter Club- und Kulturszene verändern. Darum haben wir angefangen, Partys mit kulturpolitischen Formaten zu verbinden. Und ich denke, diese Verbindung zeichnet uns aus. Klar machen wir gute Partys, aber wir wollen unsere Reichweite einsetzen für marginalisierte Menschen und Gruppen und für Themen, die wir wichtig finden. Jede Einzelne von uns hat diesen politischen Anspruch: Wir wollen strukturelle Veränderungen mitgestalten!
Ihr arbeitet tagsüber alle in unterschiedlichen Bereichen und legt Wert darauf, in Interviews mit den Namen, mit denen ihr auflegt, angesprochen zu werden.
Jaraya: Ja, es war und ist viel Arbeit, die wir gemeinsam machen. Und wir sind immer professioneller geworden. Die Booking-Anfragen, Radiostreams und Social Media – wir machen fast alles DIY und das sehr gut – sonst wären wir nicht da hingekommen, wo wir heute sind. Und wir müssen uns gut organisieren und auf einer Ebene sein, in der das Zwischenmenschliche gut klappt. Dieser Support, den wir uns untereinander geben, der ist wirklich schön.
Was treibt euch an?
Miss Control: Wenn wir als Migra-Frauen auf Festen von Jugendhäusern auflegen, dann sehen uns dort Kinder und Jugendliche. Die wachsen mit einem ganz anderen Bild von DJing auf als ich das zum Beispiel bin. In dem Alter waren sie ja noch nie in einem Club und wahrscheinlich sind wir die ersten DJs die sie in ihrem Leben live sehen. Da stehe ich, Miss Control und wir, GG Vybe und wir sind die ersten Personen, die sie mit Musik auflegen verbinden und mit denen sie sich identifizieren können– das finde ich richtig cool.
Jaraya: Klar ist das toll, dass wir inzwischen krasse Bookings bekommen, aber mir geht es dabei eher um die Reichweite, die wir damit bekommen: Umso mehr Reichweite wir haben, umso mehr können wir uns positionieren und Forderungen stellen und uns für marginalisierte Gruppen einsetzen. Und wir werden inzwischen gehört. Wir wollen zum Beispiel die Clubs bei ihrer Verantwortung packen – es ist wichtig, dass Clubs sich stärker dafür verantwortlich fühlen, was darin oder davor passiert. Aktuell gibt es viele Vorfälle mit K.-o.-Tropfen, dem sogenannten Spiking.
Was ist Spiking?
Miss Control: Kurz gesagt ist es das Verabreichen von K.-o.-Tropfen oder anderen Drogen ohne Consent, also Zustimmung, der Person. Das Verabreichen kann über Spritzen oder Drinks erfolgen.
Jaraya: Für viele Clubs ist das ein großes Problem – und die werden sich in den nächsten Jahren für Awareness-Konzepte öffnen und dazulernen müssen. Im Moment sind sie damit sehr überfordert. Es ist meine große Hoffnung, dass wir in zwei Jahren an einem Punkt sind, an dem wir klar sagen können: »Okay, wir sind GG Vybe und wir spielen nicht bei euch, wenn ihr das nicht auf dem Schirm habt oder wenn ihr das nicht organisieren könnt!« Und mir ist es wichtig diese Prozesse mitzugestalten, in meiner Rolle als feministische DJ. Ich will meinen Teil dazu beitragen und sichere Räume schaffen, auch im Mainstream Club.
Miss Control: Ich habe vor Jahren bestimmte Gefahren beim Feiern nicht gesehen. Klar habe ich auf Partys früher auch mal aus einem Glas getrunken, das vor mir stand. Aber jetzt achte ich sehr darauf, wo mein Glas steht und wenn es unbeobachtet war, dann trinke ich daraus nicht mehr. Ich musste mich also erst einmal sensibilisieren und lernen, was Awareness überhaupt bedeutet. Als wir damit anfingen selbst Partys zu organisieren, haben wir an einem Workshop zum Thema »Awareness im Clubkontext« teilgenommen. Und es gibt ständig neue Situationen, mit denen ich jetzt als Teil der Veranstalter*innen-Crew konfrontiert bin. Es ist doch so: Wenn ich als Gast auf die Party gehe, dann habe ich nicht die Verantwortung in der Form, in der ich sie als Veranstalter*in habe. Aber wenn ich veranstalte, dann habe ich die. Das gehört dazu.
Jaraya: Es ist mein Wunsch, dass es uns gelingt, einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen. Und wenn Übergriffe auf Partys passieren, dass sich dann Menschen verantwortlich fühlen und Personen vor Ort sind, die gelernt haben, welche Handlungsmethoden und Strategien es in solchen Situationen gibt. Sei es auch erst mal nur, dass man die Person in ihrer Erzählung ernst nimmt, die richtige Telefonnummer oder Adresse für eine Beratungsstelle parat hat und ihr auch anbieten kann, sie dahin zu begleiten. Außerdem ist es sehr wichtig darauf hinzuweisen, im Krankenhaus auf einen Test auf K.-o.-Tropfen zu bestehen und sich dort nicht kleinmachen zu lassen. Das sind einige Aspekte von Verantwortung, die ich perspektivisch sehen will.
Wie, wo und mit wem habt ihr gelernt, euch für andere einzusetzen?
Miss Control: Ganz platt – von Mama! Ne, ganz ehrlich. Von Mama und von meinen drei älteren Schwestern. Meine Mama ist eine Boss Bitch. Sie ist als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen, sie konnte kein Deutsch, hatte drei Jobs, vier Kinder und hat unsere Familie organisiert. Davor habe ich sehr viel Respekt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, nie. Und egal wo sie ist, wenn ihr was nicht passt, dann sagt sie das ganz direkt – vor allem bei Männern. Da habe ich das gelernt.
Und wo, dass eine Crew, ein Kollektiv, etwas Gutes sein kann?
Jaraya: Bei mir kam viel durch die Kampfsportszene, in der ich mich bewege. Das ist ja, ganz ähnlich wie das Musikbusiness, auch ein männlich dominiertes Feld. Anfangs musste ich mich da alleine durchboxen. Aber wenn du dich zusammenschließt mit anderen Flinta-Personen, dann traust du dich bestimmte Sachen, kannst ganz anders gegen Sexismus vorgehen. Mit einer guten Gruppe kommst du immer in Räume rein, in die du dich vorher nicht hinein getraut hast – und du wirst gehört.
Kannst du dafür ein aktuelles Beispiel nennen?
Jaraya: »Hör Berlin«, ein Youtube-Kanal mit mittlerweile über 380 000 Abonent*innen, der seit Beginn der Pandemie täglich Live-Sets streamt. Alleine wäre ich da nie hingekommen und wenn doch, dann hätte mir der Mut gefehlt, ich wäre viel zu unsicher gewesen. Aber in der Crew war das möglich und für uns alle eine tolle Gelegenheit. So war es eine richtig gute Erfahrung und hat mega Spaß gemacht.
Termine, Partys, unterwegs-sein: Wie geht ihr damit um, wenn es euch mal zu viel wird?
Miss Control: Wir lernen miteinander, dass alles immer dann okay ist, wenn wir es schaffen, offen darüber zu kommunizieren. Als GG Vybe stehen wir ja auch für eine bestimmte Form von Solidarität. Das heißt, wenn eine sagt, »Ich kann das gerade nicht«, dann versuche ich eher zu signalisieren: »Hey is okay, ich übernehme. Und gibt’s sonst noch was, was ich für dich tun kann in deiner aktuellen Lage?« Ich bin überzeugt, dass es diese Fürsorge und dieses Miteinander nur dann gibt, wenn das Fundament stimmt.
Und das Fundament ist?
Jaraya: Es mag kitschig klingen, aber es ist wahr: Das Fundament von GG Vybe sind Liebe und Zusammenhalt.
Miss Control: Wo wir stehen, was wir erreicht haben, wie wir miteinander umgehen – das ist so liebevoll! Das sind einfach ganz tolle Menschen mit warmen Herzen und mit solchen Menschen möchte ich mich umgeben. Und andere Menschen will ich nicht in meinem Umfeld haben. Punkt.
Zurück auf den Dancefloor: Was ist eine gute Party?
Jaraya: Komm vorbei! Erst vor kurzem haben wir das erste Mal erlebt, wie es ist, wenn eine Tanzperformerin dabei ist. Sie ist von SLIC unit, einer Crew aus Berlin/Hamburg. Sie hat so eine krasse Stimmung transportiert. Dann die Musik dazu – einfach wow! Der Moment, wenn vorne am DJ-Pult die Menschen heftig abgehen und sich ihren Raum nehmen, das ist schön. Eine andere Besucherin kam später zu uns und hat gesagt: »Da waren nur Schwarze Frauen am DJ-Pult und alle haben so krass getanzt, also habe ich mich getraut und bin auf die Bühne gegangen und habe auch krass getanzt!«
Miss Control: Wenn eine von den Girls auflegt und ich tanze, dann schaue ich sie an und denke: »Ey, guck dir diese Frau an – wie krass ist die eigentlich?!« Und ich weiß, die anderen denken auch so. Es ist ein schönes Gefühl, dass wir in der Lage sind einander diesen Zuspruch zu geben. Wir können uns gegenseitig abfeiern, wir hypen uns – und das ist eine wichtige Fähigkeit. Oft legen wir zu zweit, also back-to-back, auf und wenn wir hinter dem DJ-Pult miteinander so liebevoll umgehen, dann schwappt das über. Unsere Euphorie schwappt auf den Dancefloor, wir sehen die Menschen auf der Tanzfläche, wie sie Spaß haben, ausrasten und so geht das auf einer guten Party immer hin und her.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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