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Landes-Mietendeckel für das Gewerbe
Linke-Abgeordneter fordert klare soziale Vorgaben für landeseigene Vermieter
»Verantwortungslos« nennt Niklas Schenker die Vermietungspraxis der zu fast 100 Prozent dem Land Berlin gehörenden Wohnungsbaugesellschaft Berlinovo. Der mietenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus macht das fest an den Gewerbemieten, die das Unternehmen nimmt, das einst als sogenannte Bad Bank der ehemaligen Bankgesellschaft Berlin gegründet worden ist.
Durchschnittlich 25,48 Euro nettokalt pro Quadratmeter verlangt Berlinovo in Charlottenburg-Wilmersdorf, wo Schenker seinen Wahlkreis hat. »Solche Gewerbemieten haben mit sozialer Gewerbevermietung nichts zu tun«, sagt der Abgeordnete zu »nd«. Insbesondere stößt ihm auf, dass das Unternehmen auch in der Pandemie die Mieten weiter angehoben hat, wie aus einer »nd« exklusiv vorliegenden Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage Schenkers hervorgeht.
Wurden zum Jahreswechsel 2019/2020 in der City West durchschnittlich noch 24,30 Euro pro Quadratmeter verlangt, waren es ein Jahr später bereits 24,63 Euro. Zum Jahresende 2021 lag der Wert bei 25,15 Euro, bis Ende März diesen Jahres kamen noch einmal 33 Cent darauf. Zum Vergleich: Die sechs restlichen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verlangen maximal weniger als die Hälfte der Berlinovo in Charlottenburg-Wilmersdorf. Spitzenreiter ist die Stadt und Land mit 11,47 Euro, am wenigsten berechnet die Degewo mit 9,12 Euro. Stand ist jeweils Ende April 2022. Natürlich hängen die Mieten stark von der jeweiligen Lage der Immobilie und der Nutzung ab.
Die Berlinovo hat mit 11,01 Euro nettokalt pro Quadratmeter auch im berlinweiten Vergleich die höchsten Gewerbemieten, es folgt mit größerem Abstand die Stadt und Land mit 8,12 Euro. Am unteren Ende der Skala findet sich mit 3,49 Euro die landeseigene BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH. Diese Werte errechnen sich aus den Einzelwerten der zwölf Bezirke, die unterschiedliche Verteilung der konkreten Flächen konnte wegen fehlender Angaben hierbei nicht berücksichtigt werden.
Gewerbemietverträge werden nicht nur für Läden, Büros und Werkstätten geschlossen, sondern auch für sogenannte Trägerwohnungen, in denen Wohlfahrtseinrichtungen ihre Schützlinge unterbringen. Das können zum Beispiel Jugendliche, ältere, behinderte oder in Therapie befindliche Menschen sein.
Knapp 45 Prozent der Gewerbeflächen vermietet die Berlinovo an soziale Träger, darunter beispielsweise auch Kindergärten und Kultureinrichtungen, etwas über die Hälfte an den Einzelhandel, der Rest sind Gastronomiebetriebe. Von den sechs Landeseigenen vermietet die Gesobau mit knapp 50 Prozent der Fläche den größten Anteil an Träger und Kultureinrichtungen, es folgt die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) mit rund 42 Prozent, bei Degewo und Gesobau ist es je über ein Viertel, bei der Stadt und Land etwa ein Sechstel, die Howoge meldet keinen einzigen Mieter aus dem Bereich.
»Bei der Stadt und Land und der Howoge besteht Nachholbedarf bei der Vergabe von Gewerbeeinheiten an soziale Einrichtungen und Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Gerade diese Träger haben es besonders schwer, geeignete Flächen zu finden«, sagt Niklas Schenker. Ihnen müssen die landeseigenen Wohnungsunternehmen mehr Angebote machen, fordert er. »Die vorrangige Vergabe an Kleingewerbe, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie soziale Träger wollen wir in der Novelle der Kooperationsvereinbarung noch stärker verankern«, kündigt er an.
Die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Senat und den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften muss neu verhandelt werden. In ihr werden die sozialen Vorgaben, die das Land macht, niedergeschrieben, beispielsweise die durchschnittliche Miethöhe im frei finanzierten Teil des Bestands, oder wie viel Prozent der Wohnungen an Inhaberinnen und Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen vermietet werden sollen. Eine substanzielle Verbesserung der Sozialquoten scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand der Gesellschaften und der SPD, die Vereinbarung ist schließlich mit kleinen Veränderungen fortgeschrieben worden.
Im Dezember 2021 meldete die WBM angesichts rasant steigender Baukosten Neuverhandlungsbedarf an. Ursprünglich hatte zur Jahresmitte 2022 eine neue Kooperationsvereinbarung vorliegen sollen, nun soll das erst zum Jahresende der Fall sein.
»Für die Mietentwicklung braucht es klare soziale Vorgaben, die wir in der Kooperationsvereinbarung festschreiben wollen«, sagt Schenker. »Für die Berlinovo muss endlich ein tragfähiges Konzept gefunden werden. Ihr gesamter Bestand sollte den Vorgaben der Kooperationsvereinbarungen unterliegen«, fordert er. Wegen ihrer Geschichte und weil bei einigen Fonds, denen die Liegenschaften formal weiterhin gehören, immer noch geringe Anteile Privatanlegern gehören, ist das rechtlich jedoch problematisch. Bisher ist es nicht gelungen, die privaten Anteilseigner komplett herauszudrängen.
»Eine vielfältige und kleinteilige Gewerbestruktur ist ein wichtiger Faktor für die Schaffung von lebenswerten Quartieren«, begründet Niklas Schenker sein Engagement im Gewerbemietbereich. Durch die steigenden Gewerbemieten und die Einbußen während der Corona-Pandemie stehe vielen Gewerbetreibenden, Kultureinrichtungen und sozialen Trägern das Wasser bis zum Hals. »Es droht die Verödung ganzer Nachbarschaften«, warnt er. Es sei ein wichtiges Signal für den Erhalt der vielfältigen Gewerbe- und Kulturangebote, dass die landeseigenen Unternehmen in den vergangenen vier Jahren ihren Bestand an Gewerbeflächen um fast 17 Prozent ausgeweitet haben. »Wir brauchen mehr landeseigene Gewerbeflächen durch Re-Kommunalisierung und kommunalen Neubau«, fordert er. Allerdings dann auch im Gewerbebereich mit verbindlichen sozialen Vermietungsvorgaben.
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