Wasserstoff oder Wärmewende

Vattenfall trägt nicht zur Dekarbonisierung des Berliner Fernwärmenetzes bei, kritisieren Klimaschützer*innen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Klima halte er für eines der wichtigsten Themen, das es momentan gibt. »Ich glaube, das ist ernst«, sagt Rob Kaufmann. Er ist eines der 100 Mitglieder des Klima-Bürger*innenrats, der von Ende April bis Ende Juni Handlungsempfehlungen zur Erreichung der Berliner Klimaziele für die Politik erarbeitet. Kaufmann schätzt an dem Gremium, dass er auch ganz andere Perspektiven als die eigene kennenlerne. So habe er unter anderem bereits mit einem Vermieter über energetische Sanierungen diskutiert, der sich Sorgen um seine Mieteinnahmen mache. Das erzählt er den Teilnehmer*innen einer Online-Begleitveranstaltung des Bürger*innenrats mit dem Titel »Wie gelingt die Wärmewende?« in der vergangenen Woche, zu der die Initiativen Klimaneustart Berlin und Mehr Demokratie Berlin/Brandenburg eingeladen haben.

Denn auch hier geht es darum, unterschiedliche Perspektiven auf die Wärmeversorgung zu diskutieren, vom Berliner Energiekonzern Vattenfall über Umweltverbände bis hin zum Mieterverein. Die Devise ist zwar, im Fernwärmenetz möglichst viel erneuerbare Energie aus Strom und Abwärme zu nutzen und möglichst wenig Wasserstoff und Biomasse. Aber »das geht alles nicht mit Hauruck«, sagt Andreas Schnauß, der bei Vattenfall für die Wärme zuständig ist. Und ganz ohne Wasserstoff werde es auch nicht funktionieren. »Mir ist keine Studie bekannt, die ohne Wasserstoff in der Fernwärme auskommt. Gutachter sehen da viel Potenzial«, behauptet Schnauß. Zurzeit werden daher entsprechend Leitungen gebaut, »durch die für eine bestimmte Übergangszeit noch Gas fließt«, so Schnauß. Letztlich gehe es Vattenfall aber auch um »Investitionssicherheit«.

Julia Epp vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin und Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), die zum Thema Wasserstoff forscht, macht ihn daraufhin auf eine 2021 veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) aufmerksam, die den Einsatz von Wasserstoff für wenig effizient erklärt und zahlreiche Alternativen aufzeigt. »Die Rolle des Wasserstoffs im Wärmesektor ist unklar bis nicht priorisiert«, klärt sie auf. Die Technologie sei noch gar nicht ausreichend erforscht, um zu schnellen nachhaltigen Lösungen beitragen zu können. Die bisherigen Pläne von Vattenfall und Senat würden nicht dazu beitragen, im erforderlichen Klimabudget zu bleiben, kritisiert Epp mit Blick auf aktuelle Investitionen in Abfallverbrennung und Gas. Zwar könne Epp verstehen, dass Vattenfall Investitionssicherheit brauche, »aber dann ist es ja umso ironischer, dass auf Gas gesetzt wird«, findet die Wissenschaftlerin. Denn um diese Infrastruktur auf vermeintlich nachhaltigen Wasserstoff umzurüsten, müsse noch einmal Geld hineingesteckt werden. Hinzu komme bei fossilem Gas die Abhängigkeit von anderen Ländern.

Auch Eric Häublein vom Bürgerbegehren Klimaschutz kritisiert Andreas Schnauß’ Darstellung des Berliner Fernwärmenetzes: »So eine rosarote Welt, so ist es de facto nicht«, stellt er klar. Noch immer gebe es zehn Kohle- und Gaskraftwerke sowie Biomasse- und Müllverbrennungsanlagen. Vattenfall werde der Verantwortung zur Dekarbonisierung nicht gerecht. »Ich bin langsam richtig sauer!«, sagt Häublein. Für ihn liegt das Problem darin, dass das Wärmenetz vor 20 Jahren privatisiert wurde, um die kommunalen Kassen aufzufüllen. Berlin müsse es unbedingt zurückkaufen, denn die Stadt könne auch Investitionen tätigen, die sich erst über einen längeren Zeitraum rechnen, und die Wärme zu gerechteren Preisen anbieten. Außerdem unterliege das Netz nur in kommunaler Hand der demokratischen Kontrolle. Nun wolle Vattenfall verkaufen, »und wir wünschen uns auch einen vernünftigen Preis, denn die fossilen Anlagen sind nicht mehr viel wert«, betont Häublein.

Reiner Wild, Vorsitzender des Berliner Mietervereins, macht darauf aufmerksam, dass Berlin die Wärmewende »sozialverträglich kaum hinbekommen« werde. Bislang würden die Kosten für energetische Sanierungen häufig auf Mieter*innen umgelegt, da es für Eigentümer*innen keine Verpflichtung gebe, öffentliche Förderungen in Anspruch zu nehmen. Laut einer eigenen Untersuchung komme im Schnitt das Vierfache an Mietsteigerung auf einen Anteil an Heizkostenersparnis. Wild fordert, die Umlagemöglichkeit zu reduzieren, Fördermöglichkeiten zu erhöhen und zu energetischen Sanierungen zu verpflichten. Diese Rahmenbedingungen könne aber nur der Bund ändern, »und das wird er im Moment nicht tun«, prophezeit er. Berlin komme derzeit nicht zu einer Sanierungsrate von mehr als einem Prozent, obwohl es Modelle für eine verpflichtende, stufenweise Sanierung der Gebäude gebe. »Die Politik ist bislang feige gewesen« und habe »viele Jahre verschlafen«, in denen Sanierungen zu deutlich niedrigeren Baukosten und Zinsen möglich gewesen wären, als sie es jetzt sind, kritisiert er.

Dem Klima-Bürger*innenrat rät Reiner Wild, »radikal, konsequent und laut« zu sein, »weil es so viele Hemmnisse an allen Ecken gibt. Wir brauchen einen immerwährenden Impuls.« Auch Eric Häublein hofft auf die Empfehlungen des Rates – und dass eine davon vielleicht die Rekommunalisierung des Wärmenetzes betreffen wird.

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