- Kultur
- UK Rassismus
Das Wasser einatmen
Ein kurzer Roman aus dem bürgerlichen englischen Rassismus: »Zusammenkunft« von Natasha Brown
Sie ist schwarz, sie ist erfolgreich und sie ist müde: »Generationen der Aufopferung; harte Arbeit, noch härteres Leben. So viel gelitten, so viel aufgegeben – für diese Chance. Für mein Leben. Und ich habe es versucht, habe versucht dem gerecht zu werden. Aber nach Jahren des Abmühens, des Ankämpfens gegen die Strömung, bin ich so weit, meine Arme sinken zu lassen. Mit dem Strampeln aufzuhören. Das Wasser einzuatmen. Ich bin erschöpft. Vielleicht ist es Zeit, diese Geschichte zu beenden.« Ausgelöst durch eine Krebsdiagnose steht die Bankerin aus Natasha Browns Roman »Zusammenkunft« an einem Tiefpunkt ihres Lebens. Alles steht in Frage: die Karriere, der Freund, vor allem aber die angeblich diverse und tolerante englische Gesellschaft.
Da wäre zum Beispiel ihr Chef. Einmal gab sie seinem Drängen nach und traf ihn zum Abendessen. Obwohl er von ihrem Freund wusste, versucht er sie vor dem Restaurant zu küssen. Im Großraumbüro, in der Bank, beobachtet er sie, ruft sie ständig an, lässt sie dies und das tun, kommentiert ihr Aussehen. Die Kollegen, mit denen sie zum Mittagessen geht, wissen von ihrer »Situation«. Einer sagt: »Er weiß, dass sie keine von denen ist, die einen Vorteil daraus ziehen würden. … Aber, aber jetzt, müsste sie zugeben, dass sie ihm gegenüber und den anderen am Tisch im Vorteil sei.«
Dann bestellt ihr Chef sie in sein Büro. »Er hoffe, sie würde ein bisschen Reife zeigen, sagte er, ein bisschen Wertschätzung. Er stand von seinem Stuhl auf, ging auf sie zu, streifte sie, obwohl das Büro riesig war und er genug Platz hatte. Sie solle das große Ganze sehen und ihre Zukunft und was sein Wort hier zählte.« Ein Managing Director war gerade gefeuert worden, weil er ein Verhältnis mit einer Praktikantin hatte. Aber will sie das? Es sei »das Prinzip«, sagt ihre beste Freundin Rach zu ihr. »›Scheiß auf den Sexismus – mach ihn dir zunutze!‹ Rach war felsenfest davon überzeugt, dass ihr Verhältnis mit einem der Vorstände aus dem Global Department der Bank ihr Vorrecht war: eine Umkehrung und Neudefinition des Themas Belästigung am Arbeitsplatz. Sie bewegten sich heraus aus der Affäre, hinein in etwas, was man Alltag, echte Gefühle nennen könnte.« Was den gefeuerten Managing Director angeht, überlegt Rach, wen die Bank für ihn befördern wird. Es könnte ja auch sein, dass sie eine Frau nehmen: »Eine Frau beschädigt, eine andere befördert – das klingt fair.« Aber die Erzählerin weiß, dass Rach trotz des Zynismus unter alldem leidet.
Ihrem Freund sagt sie, dass es ihr gut geht. Er kommt aus einer alten weißen englischen Familie. Der vierzigste Hochzeitstag seiner Eltern steht an. Aus diesem Anlass soll es ein Fest auf dem Landsitz der Familie geben. Dort sind alle nett und tolerant gegenüber der schwarzen Freundin des Sohnes. Aber sie spürt, dass sie nie dazugehören wird. Als sie den weiten Rasen entlanggeht, wird sie von einem Mann angemacht. Einer, der die Zelte für die Feier aufbaut.
Natasha Brown erzählt nicht nur von der verlogenen Toleranz der britischen Gesellschaft; sie beschreibt auch die Beschädigungen, die die Vorurteile, Demütigungen und die subtile Gewalt in einer nach außen sich divers gebenden Gesellschaft in ihren Opfern hervorruft. Es ist vor allem das, was man als Weißer zunächst nicht wahrnimmt, was unter Nettigkeit und Toleranz verborgen ist, das der Erzählerin das Leben vergiftet. Das dadurch erzeugte Misstrauen führt dazu, dass auch sie an einigen Stellen die Täter stereotyp beschreibt. Vor allem aber stellt dieses Misstrauen alles für sie in Frage: Den Job, den Freund, kurz das komplette Leben in einem Land, von dem sie, obwohl sie dort geboren wurde, das Gefühl hat, nie zur Ruhe kommen zu können. »Es ging nur ums Überleben, so wie eine Memme im Internat überlebt. Generationsübergreifendes Durchhalten, ohne Bedeutung oder Erinnerung.«
Natasha Brown: Zusammenkunft. A.d.Engl. v. Jackie Thomae. Suhrkamp, 113 S., geb., 20€.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.