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  • Filmreihe »Perspectives of Ukrainian Cinema«

Krieg und Alltag

Die Filmreihe »Perspectives of Ukrainian Cinema« wird bis Ende Juni in Berlin, Hamburg und Leipzig gezeigt

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.
In »Atlantis« nähert sich Regisseur Valentyn Vasyanovych den Schrecken des Krieges mit düsteren, postapokalyptischen Bildern.
In »Atlantis« nähert sich Regisseur Valentyn Vasyanovych den Schrecken des Krieges mit düsteren, postapokalyptischen Bildern.

Irgendwo in der Einöde der südlichen Ukraine bleibt das Auto einer OSZE-Delegation liegen. Der Übersetzer Lukas macht sich auf den Weg, um Hilfe zu holen, und ahnt nicht, dass eine lange Odyssee durch die Steppe vor ihm liegt. Eine skurrile Begegnung mit verschrobenen Menschen an bizarren Orten jagt die nächste, Lukas erlebt Gewalt und Verzweiflung, Gastfreundschaft und sogar Liebe. Der junge Mann aus Kyjiw, dessen ordentlich gebügeltes Hemd im Lauf des Films immer schmutziger und zerknitterter wird, lernt eine völlig neue Realität kennen. »Hier ist die totale Anarchie, wenn du dich dran gewöhnst, kannst du überleben«, erklärt ihm der Dorfbewohner Vova.

Der Film »Volcano« des Regisseurs Roman Bondarchuk zeigt mit viel Witz, wie Lukas, der die Provinz anfangs mit herablassender Verachtung betrachtet, mit der Zeit immer besser versteht, wie das Leben dort funktioniert, und schließlich selbst Teil davon wird. Die atmosphärischen Bilder beschönigen nichts und sind trotzdem eine liebevolle Hommage an die Bewohner*innen der ukrainischen Steppe. »Volcano« gehört zu den Highlights der Filmreihe »Perspectives of Ukrainian Cinema«, die bis Ende Juni in Berlin, Hamburg und Leipzig gezeigt wird. Insgesamt neun Dokumentar-, Kurz- und Spielfilme können dort bei freiem Eintritt angesehen werden. Die Auswahl der Filme spiegelt die Vielfalt der ukrainischen Filmlandschaft wider und ermöglicht den Zuschauer*innen interessante Einblicke in die ukrainische Kultur und Gesellschaft.

Der Krieg, wie er vor Beginn der russischen Invasion im Februar bereits seit 2014 den Osten der Ukraine erschütterte, ist dabei das dominierende Thema. In fast allen gezeigten Filmen spielt der Krieg eine Rolle, manchmal bloß als Erwähnung am Rande, doch meist steht er im Mittelpunkt. Die Regisseur*innen stellen sich der Frage, wie man im Krieg, mit dem Krieg und trotz des Krieges leben kann. Wie ein Alltag aussehen kann, der von Gefahr und Zerstörung geprägt ist.

Zu einem Teil der Normalität ist der Krieg auch im Film »Territory of Empty Windows« geworden. Wenn man die aktuellen Bilder der zerstörten Straßenzüge von Mariupol vor Augen hat, wirken die Szenen dieses kurzen Dokumentarfilms besonders berührend. Regisseurin Zoya Laktionova porträtiert die Stadt aus der Perspektive verschiedener Generationen und zeigt sowohl die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als auch Szenen aus der Gegenwart vor Beginn der aktuellen Invasion: Arbeit im Stahlwerk, Alltagsbegegnungen, beschauliche Szenen am Strand. Der nur wenige Kilometer entfernte Krieg um die Separatistengebiete wird dabei zu einer Anekdote: »Ich kam gerade vom Markt, da fingen sie an zu schießen«, erzählt ein Mann nebenbei beim Tee und lacht, als wäre es eine lustige Geschichte.

In den Filmen »Klondike« und »Atlantis« wird der Krieg zu etwas Existenziellerem. Sie zeigen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit im Angesicht von Tod und Zerstörung. In »Atlantis« nähert sich Regisseur Valentyn Vasyanovych den Schrecken des Krieges mit düsteren, postapokalyptischen Bildern. Er zeigt eine Zukunft nach dem Krieg: Die Ukraine scheint zwar als Siegerin daraus hervorgegangen zu sein und auch die Krim konnte zurückerobert werden, doch große Teile des Landes sind nicht mehr bewohnbar, die Erde ist voller Minen, Gift und Leichen. »Atlantis« zeigt, dass im Krieg auch die Gewinner*innen sehr viel verlieren, und findet erschreckende Bilder für die Konsequenzen, die die Kämpfe noch lange nach ihrem Ende haben werden.

Regisseurin Maryna Er Gorbach erzählt in ihrem Film »Klondike« die Geschichte von Irka und Tolik, einem jungen Paar aus dem Donbas. Das kleine Dorf, in dem sie leben, wird 2014 zur Kriegsfront. Die Konfliktlinie verläuft dabei mitten durch die Nachbarschaft, und in ein und derselben Familie gibt es Anhänger*innen beider Seiten. Der Hass und die Gewalt, die der Film deutlich zeigt, wirken so noch sinnloser und schrecklicher. Klar ist: Das Kind, das Irka erwartet, hat an diesem Ort keine Zukunft.

Doch es gibt auch hoffnungsvollere Filme, die den Krieg zum Thema haben, zum Beispiel der Dokumentarfilm »The Earth is Blue as an Orange«, der ebenfalls eine Familie im Donbas porträtiert. Die alleinerziehende Mutter hat sich bewusst dafür entschieden, ihre Heimatstadt nicht zu verlassen, da irgendjemand dort bleiben muss, um sie anschließend wieder aufzubauen, wie sie sagt. Zusammen mit ihren Töchtern dreht sie einen Film, der das Leben im Kriegszustand zeigen soll.

Die Frage, wie man den Krieg in Bildern einfangen, wie man ihn filmisch erzählen kann, zieht sich durch die meisten Beiträge der Filmreihe. Die Lösungen sind so verschieden wie überzeugend. Die direkteste Antwort hat Regisseur Roman Liubiy gefunden. Sein Film »War Note« besteht aus Aufnahmen, die Soldat*innen an der Front selbst mit Handys, GoPros und Camcordern gefilmt haben. Es sind keine heroischen Szenen, keine Inszenierungen mit patriotischen Reden, sondern sie zeigen die Banalität des Soldat*innenalltags. Es sind Leute, die ihren Job machen, der oftmals daraus besteht, auf etwas zu warten oder den alten Raketenwerfer im Hinterhof zu reparieren, der nicht richtig funktioniert. Dabei lassen sich die Soldat*innen die Laune nicht verderben: »Kann ich furzen, während du filmst?«, fragt einer. Es wird viel zusammen gelacht und gescherzt. Die Aufnahmen von tatsächlichen Kämpfen sind im Kontrast zu dieser Lockerheit besonders bedrückend. Die Szene mit dem Kind zum Beispiel, das aufgeregt über ein Feld läuft und »Mama, unser halbes Haus ist weggeschossen« ruft, geht einem lange nicht aus dem Kopf. Auch weil man weiß, dass es eben keine Inszenierung ist.

Diejenigen Filme der Reihe »Perspectives of Ukrainian Cinema«, die den Krieg thematisieren, machen diesen greifbar, weil sie ihn aus verschiedenen Perspektiven zeigen und ganz verschiedene Geschichten über ihn erzählen. Plakative Heldenerzählungen sucht man dabei zum Glück vergeblich.

Der schönste Film der Reihe hat gar nichts mit dem Krieg zu tun und konzentriert sich ganz auf die Freuden und Schrecken des Alltags. »My Thoughts are Silent« handelt von Vadym, einem 22-jährigen Tontechniker, der von einer Karriere als Musiker in Kanada träumt. Er hält sich über Wasser, indem er Geräusche für Videospiele aufnimmt. Für das Spiel »Noahs Arche« erhält er den Auftrag, Tiergeräusche zu sammeln. Für die Aufnahme eines seltenen Vogels, der in den Bergen Transkarpatiens lebt, gibt es ein Extrahonorar. Zusammen mit seiner Mutter fährt Vadym durch die Westukraine und macht sich auf die Suche nach dem Vogel. Unterwegs prallen die verschiedenen Zukunftspläne von Mutter und Sohn aufeinander. Während er fest entschlossen ist auszuwandern, hat sie Angst vor der Einsamkeit und fordert baldmöglichst Enkelkinder. Bei den skurrilen, überzeichneten Szenen voller Situationskomik, die Regisseur Antonio Lukich meisterhaft inszeniert, spielen Klang und Rhythmus genauso wie in Vadyms Leben eine wichtige Rolle. Ein ungewöhnlicher Film, der gleichzeitig traurig und sehr komisch ist.

Dass im Rahmen von »Perspectives of Ukrainian Cinema« auch solche Filme gezeigt werden, die sich nicht mit dem Krieg beschäftigen, macht deutlich, wie wichtig es ist, die Ukraine nicht auf die aktuelle Lage zu reduzieren. Und es macht Hoffnung, dass dieser Krieg irgendwann vorbei sein wird und es wieder Raum für andere Themen geben wird, denen sich die ukrainischen Filmemacher*innen mit ihrer Kreativität und ihrer Vielfalt an Stilen widmen können.

Die Filmreihe ist bis zum 30. Juni in Berlin, Hamburg und Leipzig zu sehen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen zum Programm unter www.deutsche-kinemathek.de

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