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- Atomwaffenverbotsvertrag
Tödliche Gefahr für die Menschheit
Erstes Treffen der Unterzeichnerstaaten des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen in Wien setzt Zeichen
Noch nie seit der Kuba-Krise 1962 erschien die Gefahr eines Atomkrieges so real wie in diesen Tagen. Russlands Krieg in der Ukraine und der neue Konfrontationskurs der Großmächte setzen den Rest an Rationalität aufs Spiel, dank der das Gleichgewicht des Schreckens nicht in gegenseitige Zerstörung umschlägt. Geschätzte 13 100 Atomsprengköpfe befinden sich weltweit in den Arsenalen von neun Staaten. Und es könnten künftig noch mehr werden. Diese Sorge war eines der Themen der dritten »Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen«, die am Montag in Wien abgehalten wurde.
Sie bildete den Auftakt zu einem am Dienstag begonnenen dreitägigen Treffen von Vertretern von rund 80 Staaten in der österreichischen Hauptstadt. Alle teilnehmenden Länder haben eins gemeinsam: Sie haben den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) unterzeichnet, der die Massenvernichtungsmittel grundsätzlich ächtet. Das Regelwerk war am 22. Januar 2021 in Kraft getreten. Es soll den seit Jahrzehnten geltenden Nichtweiterverbreitungsvertrag (NPT) ergänzen. Doch sowohl die Atommächte als auch die Nato lehnen den TPNW ab.
Deutschland nimmt als Beobachter an der TPNW-Konferenz teil. Vor dem Wiener Treffen der Vertragsstaaten hatte die Linke-Vorsitzende Janine Wissler scharfe Kritik an der deutschen Position geübt. »Es ist eine Schande, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag noch nicht unterzeichnet hat«, sagte Wissler am Dienstag in Berlin. Sie forderte die Bundesregierung auf, den Verbotsvertrag sofort zu unterzeichnen. »Leider tut sie mit der Anschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge im Moment das Gegenteil«, kritisierte die Linke-Politikerin. Zum Auftakt des dreitägigen Treffens in Wien warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres am Dienstag in einer Videobotschaft vor der alles zerstörenden Kraft der Atomwaffen: »Wir müssen diese Waffen vernichten, bevor sie uns vernichten.«
Die einleitende thematische Konferenz in Wien war Teil einer Serie: Nach Norwegen 2013 und Mexiko 2014 war nun Österreich an der Reihe, das den TPNW-Vertrag initiiert hatte. Die Stoßrichtung dieser Konferenzen ist klar. »Die Risiken von Atomwaffen sind so groß, dass ein Festhalten an ihnen unverantwortlich ist und an ihrer Ächtung kein Weg vorbeiführt«, hieß es in einer Ankündigung. Wie sehr Wunsch und Realität dabei auseinanderklaffen, zeigt allerdings schon der Vertrag selbst, der am 7. Juli 2017 auf einer Konferenz der Vereinten Nationen mit den Stimmen von 122 Staaten angenommen wurde: Sanktionsmechanismen sind darin nicht vorgesehen. Faktisch handelt es sich also um einen Aufruf auf Ebene der Vereinten Nationen.
Laut Außenministerium in Wien sollte die Tagung einen Überblick über die Risiken von Atomwaffen bieten. Österreich organisiere die Konferenz »in der Absicht, die Auseinandersetzung mit den fundierten Argumenten voranzubringen, die den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen zugrunde liegen«, hieß es vorab.
Eröffnet wurde die Konferenz von der UN-Abrüstungsbeauftragten Izumi Nakamitsu und dem früheren Chef der UN-Atombehörde, Mohamed El-Baradei. Außer den Experten sprachen am Montag in Wien auch Opfer von Atomwaffentests. Insgesamt nahmen mehr als 600 Vertreter von Staaten, internationalen Organisationen, der Zivilgesellschaft sowie führende Wissenschaftler teil. Die nukleare Abrüstung habe für die Vereinten Nationen höchste Priorität, hatte Izumi Nakamitsu in ihrer Eröffnungsrede betont: »Diese Waffen haben das Potenzial, alles Leben auf der Erde auszulöschen.«
Behandelt wurde auch die Frage von Umweltschäden durch Atomtests, von Auswirkungen von Hyperschallraketen sowie von Risiken und Folgen des Einsatzes von künstlicher Intelligenz im Militärbereich. Pünktlich zur Eröffnung drang die harte Realität durch: Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew sprach sich öffentlich gegen Abrüstungsgespräche mit den USA aus, diese seien »schlecht für Russland«.
Die Möglichkeit eines atomaren Konflikts sei den meisten Menschen bisher wie eine »abstrakte Gefahr« erschienen, erklärte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg zu Beginn der Konferenz am Montag. »Aber jetzt nicht mehr: In den vergangenen Wochen haben wir Drohungen und Erpressung mit Atomwaffen erlebt«, beklagte der ÖVP-Politiker. Russlands Vorgehen bezeichnete Schallenberg dabei als »absolut unverantwortlich und vollkommen inakzeptabel«. Der »Status quo« sei angesichts der existenziellen Bedrohung durch solche Waffen für die Menschheit keine Option.
Vor allem neue Technologien haben die Risikolage verändert: Durch kleinere taktische Nuklearwaffen könnte die Hemmschwelle für den Einsatz nuklearer Waffen sinken. Die Digitalisierung führe zu einer leichteren Verfügbarkeit von gefährlichen Technologien auch für nichtstaatliche Akteure, wurde auf der Tagung gewarnt.
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