In der nächsten Welle der Pandemie

Maskenpflicht im Nahverkehr gilt wegen steigender Corona-Zahlen, aber die Impfpflicht wird nicht durchgesetzt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Aktuell werden in Brandenburgs Krankenhäusern 235 Corona-Patienten behandelt. 26 liegen auf der Intensivstation und zwölf werden beatmet. Damit ist das Gesundheitswesen weit entfernt von einer Überlastung. Lediglich 3,6 Prozent der verfügbaren Intensivbetten sind mit Corona-Patienten belegt. Bis zehn Prozent ist noch alles im grünen Bereich. Erst dann springt die Ampel auf Gelb, bei 20 Prozent dann auf Rot.

»Die Landesregierung glaubt noch immer, wir befinden uns in einer gefährlichen Pandemie«, höhnte die Landtagsabgeordnete Daniela Oeynhausen (AfD). Das rot-schwarz-grüne Kabinett verlängerte die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen bis zum 20. Juli. Doch bei hochsommerlichen Temperaturen eine »weiße Tüte« zu tragen, sei »kein Vergnügen«, sagte Oeynhausen, die von Beruf Ärztin ist. Sie habe in der Bahn alte Menschen mit FFP2-Maske und Schweißperlen auf der Stirn gesehen. In solchen Fällen gelte, so habe sie im Studium gelernt: »Fenster auf und frische Luft reinlassen«.

Die Corona-Zahlen vor drei Wochen und jetzt
  • In den zurückliegenden sieben Tagen haben sich 387 Brandenburger je 100 000 Einwohner mit dem Coronavirus infiziert. Vor drei Wochen lag die Sieben-Tage-Inzidenz noch bei 124.
  • Waren am 7. Juni 2,6 Prozent der im Bundesland verfügbaren Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt, so sind es nun 3,6 Prozent.
  • Gesunken ist im Vergleich zum 7. Juni die Impfquote: von 68,6 auf 68,1 Prozent. Das hängt laut Potsdamer Gesundheitsministerium damit zusammen, dass vom Robert-Koch-Institut für das vierte Quartal 2021 die Impfdaten aus dem Meldeportal der Kassenärztlichen Vereinigung durch die Impf-Abrechnungsdaten der Ärzte ersetzt wurden.
  • Am 7. Juni wurden in den Krankenhäusern 142 Corona-Patienten behandelt. Jetzt sind es 235. Auf den Intensivstationen liegen nun 26 dieser Patienten, damals waren es 18.
  • Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 wurden im Land Brandenburg 5709 Todesfälle gemeldet. af

    Und so beantragte die AfD im Landtag, die Maskenpflicht aufzuheben. Die Impfpflicht für Beschäftigte von Kliniken, Arztpraxen, Pflegeheimen und Pflegediensten sollte gleich mit kassiert werden. Beide Anträge lehnte der Landtag am Freitag ab. »Sie machen mich innerlich aggressiv«, erklärte die Grünen-Abgeordnete Carla Kniestedt. Gerade jetzt, wo die Züge mit dem günstigen 9-Euro-Ticket brechend voll sind, komme man sich in der Bahn »sehr, sehr nah«. Darum bleibe es bei der Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr. Laut einer Umfrage seien auch zwei Drittel der Deutschen dafür.

    Der Abgeordnete Andreas Büttner (Linke) bezeichnete den Vorstoß der AfD als »populistischen Quark«. Er rief empört: »Wie viele Tote brauchen Sie denn, bis sie es mal endlich kapieren?« Oeynhausen hatte gemeint, es gebe zwar Coronafälle, doch die endeten selten auf der Intensivstation. Für die meisten Brandenburger sei die Infektion eine ungefährliche »saisonale Atemwegserkrankung«.

    Aber seit drei Wochen steigt nicht allein die Zahl der Infektionen rapide. Es liegen auch wieder mehr Infizierte in den Krankenhäusern und es werden auch wieder Todesfälle gemeldet – am Freitag beispielsweise zwei aus dem Havelland und einer aus Potsdam-Mittelmark. »Wir befinden uns gerade in der nächsten Welle«, betonte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne), von Beruf ebenfalls Ärztin. Medizinisches Personal sollte geimpft sein, meinte sie. Doch rund 7800 Beschäftigte in Kliniken und in der Pflege haben keinen Impfnachweis vorgelegt, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Damit liegt die Impfquote bei 92 Prozent, in der gesamten Bevölkerung beträgt sie nur 68 Prozent. Für die übrigen acht Prozent wird die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht momentan nicht durchgesetzt. Bisher haben die Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte von ihrem Emessensspielraum Gebrauch gemacht und noch kein einziges Beschäftigungsverbot ausgesprochen und ihres Wissens auch noch kein Bußgeld verhängt, erläutert Ministerin Nonnemacher.

    Der SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann zählte Punkte aus, die für oder gegen die faktische Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sprechen. Eigentlich sollte sie ja nur eine Vorstufe zur allgemeinen Impfpflicht sein, auf die sich der Bundestag aber nicht verständigen konnte. Die Impfung schütze zwar nicht zuverlässig gegen eine Ansteckung, mit der zweiten Impfung reduziere sich das Ansteckungsrisiko aber um 21 Prozent und mit der dritten um weitere 20 Prozent, sagte Lüttmann unter Berufung auf eine norwegische Studie. Lüttmann schloss seine Ausführungen mit den Worten: »Diese Debatte gehört in den Bundestag, nicht in den Landtag.«

    Doch der Bundestag hat bereits zwei Vorstöße zur Abschaffung der Impfpflicht abgelehnt, erinnerte der Abgeordnete Ronny Kretschmer (Linke). Er erzählte von seiner Großmutter, die bald 94 Jahre alt wird und zuhause von einem Pflegedienst betreut wird. Er habe ein hohes Interesse, so sagte Kretschmer, dass die Pflegekräfte, die da kommen, Maske tragen, sich desinfizieren und geimpft sind. Im konkreten Fall sei es glücklicherweise so. Von Hause aus ist Kretschmer selbst Krankenpfleger und kann die »Verschwörungslitanei« der AfD, der Impfstoff sei angeblich nicht sicher, schon nicht mehr hören. Der Politiker versäumte aber nicht, auch berechtigte Kritik an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu erwähnen: dass sie so bürokratisch sei, dass selbst der Hausmeister eines Pflegeheims geimpft sein müsse und dass sie ausgerechnet das medizinische Personal bedränge, dass doch in der Corona-Pandemie »an vorderster Front« gestanden habe, anfangs sogar völlig ungeschützt.

    Diese Impfpflicht gilt befristet bis Ende des Jahres.

    Wir-schenken-uns-nichts
    Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

    Das »nd« bleibt gefährdet

    Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

    Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


    → Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
    → Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
    → Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
    → Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
    → Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

    Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.