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Ostseeurlaub als Wirtschaftsförderung
Ifo-Institut sagt dem Osten für 2023 ein gutes Wachstum voraus – vorausgesetzt, das Erdgas fließt
Wenn alles gut geht, wird’s gut. Auf diese zunächst etwas absurd wirkende Formel lässt sich die jüngste Konjunkturprognose der Dresdner Filiale des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung bringen. Sie sagt Ostdeutschland für das laufende Jahr ein »halbwegs vernünftiges Wachstum« von 2,9 Prozent voraus, wie Vizegeschäftsführer Joachim Ragnitz es formulierte, und für das kommende Jahr sogar von 3,5 Prozent. Allerdings basiert die Prognose auf Annahmen, die vor Mitte Juni getroffen wurden, und steht damit unter starkem Vorbehalt – nämlich dem, dass die seither eskalierte Erdgaskrise nicht in leeren Speichern und Rationierungen zumindest für Teile der Wirtschaft gipfelt. Falls das geschehe, sagt Ragnitz, werde die Bundesrepublik in eine tiefe Rezession rutschen. Die Folgen würden Ostdeutschland genauso treffen wie den Rest des Landes.
Ragnitz hält das Schreckensszenario allerdings für nicht sehr wahrscheinlich. Jüngsten Vorhersagen zufolge wird es angesichts der jetzt erreichten Füllstände der Speicher und einer sparsamen Verwendung im ungünstigsten Fall höchstens zu einer »leichten Knappheit am Ende der Heizperiode«, also im Frühjahr 2023 kommen. Daran, dass Teile der Industrie von der Gasversorgung abgeklemmt werden müssen und zunächst diese Branchen sowie daraufhin die Wirtschaft insgesamt massiv einbrechen, »schrammen wir vermutlich ganz knapp vorbei«, sagt der Wissenschaftler. Im Winter 2023 seien dann, so hofft er, LNG-Terminals gebaut und alternative Quellen für die Gasversorgung erschlossen. Komme es wider Erwarten nicht dazu, werde Ostdeutschland nicht mehr und nicht weniger getroffen als die Bundesrepublik insgesamt. Zwar ist der Osten stärker von russischem Erdgas abhängig. Die Industriebranchen, die viel Gas zum Heizen oder als Rohstoff benötigen, sitzen aber eher im Westen. Unterm Strich, sagt Ragnitz, »gleichen sich die Folgen aus«.
Behalten die Experten recht und der Gas-GAU bleibt aus, nimmt die Wirtschaft im Osten nach zwei dürren Jahren an Fahrt auf. Die guten Aussichten basieren zum einen auf der Annahme, dass es nicht zu erneuten Lockdowns wegen der Corona-Pandemie kommt – und zwar weder in Deutschland und Europa noch in China, von wo die hiesige Wirtschaft viele Produkte bezieht. Zwar halte China bisher an einem strengen Zero-Covid-Kurs fest, sagt Ragnitz: »Aber sie wollen auch ihre Waren verkaufen und müssen Geld verdienen.« Die Folge wäre, dass sich auch die Probleme in vielen Lieferketten »zunehmend auflösen«. Diese ebenso wie die steigenden Energiepreise zögen in der Industrie momentan »die Entwicklung noch etwas herunter«, so der Forscher. Dem produzierenden Gewerbe sagt das Ifo-Institut für 2022 deshalb auch nur 0,8 Prozent Wachstum voraus. Dafür rechnet es für 2023, wenn die Lieferketten wieder reibungslos funktionieren, mit satten 7,3 Prozent Zuwachs.
Deutlich stärker angetrieben wird das Wachstum in diesem Jahr vom Dienstleistungssektor, also von Handel, Gastronomie, der Reisebranche und Konzertveranstaltern. Diese hatten seit 2020 besonders stark unter den Beschränkungen wegen Corona gelitten. Jetzt können sie wieder öffnen – und die Konsumenten nehmen die Angebote an, auf die sie zuletzt hatten verzichten müssen. Von einer »zurückgestauten Nachfrage« spricht Ragnitz. Die Branche werde »mit ihrer starken Expansion das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr treiben und die Probleme in der Industrie kompensieren«, heißt es in der Prognose. Daran ändere auch die Sorge der Bürger vor der galoppierenden Inflation nichts, sagt Institutsmitarbeiter Robert Lehmann. Für 2022 geht das Institut von einer Inflationsrate von 6,8 Prozent aus, etwa wegen steigender Heiz- und Spritkosten. Lehmann verweist aber zugleich darauf, dass viele Menschen in der Pandemiezeit mehr gespart hätten als üblich, sodass »viel Geld auf den Konten liegt«. Die Sparquote sei von 10,8 auf 15 Prozent gestiegen. Das Ersparte stecken viele Menschen jetzt in Restaurantbesuche oder in Reisen. Auffällig ist, dass der Boom bei den Dienstleistern in Sachsen geringer ausfällt als im übrigen Ostdeutschland. Der Grund: Die beliebtesten touristischen Ziele, etwa die Ostsee, lägen eben nicht in Sachsen.
Mittelfristig gehen die Forscher nicht davon aus, dass sich die jetzigen Wachstumsraten halten lassen. Hauptgründe sind die demografische Entwicklung und der daraus resultierende Mangel an Fachkräften. 2022 werde die Zahl der Erwerbstätigen noch einmal um etwas mehr als ein Prozent wachsen, danach aber stagnieren, weil es schlicht an Menschen fehle, die neue Jobs annehmen könnten. Zum Teil lasse sich das durch Zuwanderung kompensieren, sagt Ragnitz, aber das Potenzial dürfe nicht überschätzt werden. Klüger handelten Unternehmen, die technische Innovationen nutzten, um künftig mit weniger Personal auszukommen.
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