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- WM-Qualifikation der Basketballer
Dennis Schröder und viele Wackelkandidaten
Der NBA-Spieler steht vor einem langen Sommer mit den deutschen Basketballern. Großes Ziel ist die Heim-EM
Jetzt sind es schon 43. Ob man überhaupt noch von einer Auswahlmannschaft sprechen kann, wenn in nur knapp vier Jahren so viele verschiedene Basketballprofis ins deutsche Nationalteam berufen worden sind, ist sicherlich diskutabel. Die Nationaltrainer dieser Sportart sind aber auch wahrlich nicht zu beneiden, wenn sie alle paar Monate vor dem nächsten Länderspielfenster wieder bei den großen Klubs betteln gehen, nur um sich einen Korb nach dem anderen abzuholen, bis sie dann ein Team von Vertretern kleinerer Vereine zusammengebastelt haben. Der Weigerung der NBA und der Euroleague, ihre Stars mitten in der Saison abzustellen, sowie der Starrsinnigkeit des Weltverbands Fiba ist es zu verdanken, dass speziell Qualifikationsspiele für große Turniere regelmäßig nur von B-Nationalmannschaften ausgetragen werden. Jetzt aber scheint sich das für den deutschen Bundestrainer Gordon Herbert zumindest ein ganz klein wenig zu ändern.
Zum WM-Qualifikationsduell in Estland an diesem Donnerstag sowie zum Heimspiel am Sonntag gegen Polen kann der Kanadier auf den besten deutschen Basketballer der vergangenen Jahre bauen: Dennis Schröder ist ungewöhnlich früh im Sommer zur Nationalmannschaft gestoßen und will dem Team nicht erst im Herbst bei der EM, sondern schon jetzt auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 2023 helfen. »Natürlich ist das noch besser, weil Dennis bei den WM-Qualifikationsspielen dabei sein wird, bei denen wir ja normalerweise auf alle NBA-Akteure verzichten müssen. Damit setzt er ein großartiges Beispiel für alle anderen Nationalspieler«, freute sich Herbert jüngst im nd-Interview.
Der Deutsche Basketball-Bund (DBB) profitiert einerseits davon, dass Schröders NBA-Team aus Houston die Playoffs verpasste und er danach schon genug Zeit für einen Urlaub hatte. Andererseits steht der Braunschweiger wie vor einem Jahr noch ohne Vertrag für die anstehende Saison da. Damals verhinderte dieser Umstand noch die Olympia-Teilnahme Schröders, weil er auf einen hochdotierten langjährigen Vertrag in der NBA hoffte und der DBB dafür eine hohe Versicherung für den Fall einer schweren Verletzung hätte abschließen müssen. Nun ist entweder Schröders Marktwert nach einem eher durchschnittlichen Jahr stark gesunken, oder die Corona-Angst unter den Versicherungsunternehmen ist geringer geworden, sodass dieses Thema anno 2022 gar keins mehr ist.
Neben Schröder ist auch NBA-Kollege Isaac Bonga schon dabei. Seine Toronto Raptors standen zwar in den Playoffs, doch Bonga wurde so gut wie nie eingesetzt, sodass es kaum Bedarf für größere Regenerationsmaßnahmen gab. Ansonsten muss Herbert dann aber doch wieder auf Akteure aus Frankfurt, Weißenfels oder Braunschweig zurückgreifen, die er später mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für die Heim-EM im September in Köln und Berlin nominieren wird. Auch das B-Team spielt meistens gut genug, aber eben auch nicht immer. Das musste Herbert gleich zum Debüt als Bundestrainer bei der 66:69-Heimniederlage in Nürnberg vor gut einem halben Jahr schmerzlich erfahren. Der Gegner damals: Estland.
Im Anschluss fing sich das immer wieder neu besetzte Team und feierte Auswärtserfolge in Polen und Isreal sowie daheim erneut gegen die Israelis. Nun geht es zum Rückspiel nach Estland, und die Hoffnungen ruhen auf Dennis Schröder, der diesmal den Unterschied machen soll, wenn kein anderer deutscher Spieler in schwierigen Situationen den Korb trifft.
Dabei geht es dem 28-Jährigen aber vor allem aber um die Eingewöhnung ins Team vor der Europameisterschaft, für die er sich viel vorgenommen hat. Schröder will endlich mal etwas gewinnen, nachdem für ihn bei Welt- und Europameisterschaften immer wieder viel zu früh die Heimreise anstand. Speziell an Berlin hat er keine guten Erinnerungen. Im letzten Vorrundenspiel der Heim-EM 2015 gegen Spanien vergab der Spielmacher in der Arena am Ostbahnhof drei Sekunden vor Schluss einen Freiwurf zur Verlängerung.
Ein Sieg hätte das Weiterkommen bedeutet, so aber ging Dirk Nowitzkis Karriere im DBB-Team unrühmlich zu Ende, die Olympiateilnahme in Rio war auch so gut wie futsch, und Schröder schwor sich, diesen Makel irgendwann wieder gutzumachen. »Das war sehr bitter vor sieben Jahren. Wir haben hier noch eine Rechnung offen, und ich trainiere täglich dafür, eine neue Chance zu bekommen, um zu beweisen, was wir können«, sagte Schröder jüngst in Berlin.
Das mit dem Einspielen für die EM wird aber schwierig, solange er nicht mit den späteren EM-Kandidaten auf dem Feld steht. Noch fehlen Daniel Theis (Boston Celtics) und Maxi Kleber (Dallas Mavericks) sowie die Euroleague-Profis Maodo Lo, Johannes Thiemann (Alba Berlin) und Andreas Obst (Bayern München), die allesamt vor Kurzem noch in den Playoffs der NBA und der Bundesliga aktiv waren. Albas Malte Delow ist zudem Corona-positiv, der mittlerweile 33-jährige Kapitän Robin Benzing braucht nach einer kräftezehrenden Saison in Italien auch eine Pause. Moritz Wagner muss noch einen neuen NBA-Vertrag aushandeln. Und ob sein Bruder Franz mit 20 Jahren überhaupt nominiert wird, ist offen.
Wenn alle kommen, hat der DBB viele Spitzenathleten beisammen, die Herbert dann zu einem Team formen muss. »Jeder, der sich ein bisschen im Basketball auskennt, weiß, die EM könnte sehr aufregend werden. Die deutsche Mannschaft ist schon krass«, sagte Henning Harnisch, Europameister von 1993, zuletzt im DBB-Podcast. »Eine Mannschaft braucht immer so einen Moment«, der sie zusammenschweiße. Die Olympiaqualifikation 2021 für die Spiele in Tokio sei so einer gewesen: »Da hat man die Freude und das Miteinander gespürt. Das war sehr wichtig, und vielleicht kommt jetzt der nächste Schritt.« Dennis Schröder stand damals nicht auf dem Feld, war dem Team aber extra nach Kroatien hinterhergereist, um die Kollegen anzufeuern.
In Estland wird er nun mit ganz anderen Spielern auf dem Parkett stehen, von denen er mindestens die Hälfte in zwei Monaten auch nicht wiedersehen wird, wenn in Köln die EM-Vorrunde startet. Ob sich auf diese Art die eingespielteren Gegner aus Frankreich, Litauen und Slowenien schlagen lassen, muss sehr infrage gestellt werden. Selbst die Esten haben einen viel festeren Kern. Vom Hinspiel sind acht Akteure nun wieder mit dabei, bei den Deutschen gerade einmal vier. Da aber weder Herbert noch Schröder diese Situation ändern können, konzentrieren sie sich erst einmal auf die zwei anstehenden Partien. Werden sie gewonnen, ist die erste Hürde auf dem Weg zur WM im nächsten Jahr geschafft. Und über die EM kann man sich ja danach noch genug Sorgen machen.
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