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Zaghafte erste Schritte
Ein Stahlunternehmen in Thüringen versucht, klimafreundlich zu wirtschaften. Mit bislang nur kleinen Erfolgen
Es sind tatsächlich einige Sachen, auf die Boris Kasper verweisen kann, wenn er darüber spricht, was sie bei HFP Bandstahl schon alles unternommen haben, um den Energieverbrauch des Unternehmens zu senken. Manche dieser Dinge sind ziemlich trivial und in vielen bewusst wirtschaftenden Privathaushalten inzwischen Standard. Wie etwa die Umstellung der Beleuchtung auf LED-Technik. Alleine das, sagt der Geschäftsführer des in Bad Salzungen ansässigen Traditionsunternehmens, spare dort etwa 120 Tonnen Kohlendioxid ein. Pro Jahr. Andere Dinge sind komplexer, sparen aber noch mehr Treibhausgas ein. Kasper gibt zu, dass sie bei HFP bestenfalls die ersten Maßnahmen hin zum klimaneutralen Arbeiten unternommen haben. »Wir reden hier noch nicht von wirklich großen Schritten Richtung CO2-Neutralität«, sagt er.
Diese Worte Kaspers sind eine offene und ehrliche Zustandsbeschreibung dafür, wo die globale, die europäische, die deutsche und auch die Thüringer Wirtschaft bei dem Versuch steht, auf absehbare Zeit ohne den Ausstoß von Kohlendioxid zu arbeiten, beziehungsweise das CO2, dessen Ausstoß sich nicht vermeiden lässt, irgendwie zu kompensieren. Realistisch betrachtet ist dieser Versuch lange noch nicht ausgereizt. Das zeigt sich umso mehr, wenn man bedenkt, dass HFP mit seinen 250 Mitarbeitern ein Vorzeigeunternehmen in Sachen Energieeffizienz und Kohlendioxideinsparung ist. Andere Firmen sind längst noch nicht so weit.
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Letzteres wird nicht zuletzt dadurch offenbar, dass gerade viele Wirtschaftslenker des Landes zu Dieter Sell und seinem Team von der Thüringer Energie- und Green-Tech-Agentur kommen, um sich überhaupt erst mal eine CO2-Bilanz für ihre Unternehmen aufstellen zu lassen. Ohne einen Überblick darüber, welche Maschinen und Geräte in einer Firma überhaupt wie viel Energie aus welchen Quellen verbrauchen, ist an sinnvolle Einsparkonzepte gar nicht zu denken. Daraus lässt sich schließen, dass sich zu viele Unternehmen bislang überhaupt noch nicht ernsthaft damit beschäftigt haben, wie sie Energie und Kohlendioxid einsparen können.
Was die Unternehmen, die jetzt zu Sell kommen, zu einer solchen Bilanzierung treibt, ist ziemlich trivial: Es geht ums Geld. Infolge der zuletzt massiv gestiegenen Energiekosten suchen sie nach Einsparpotenzialen. Antrieb für eine sogenannte Dekarbonisierung der Wirtschaft ist also nicht nur der Klimaschutz mit langfristigen Zielen. Denn es sollen auch künftige Generationen auf diesem Planeten gut leben können, wenngleich zuletzt die Zweifel daran größer geworden sind, ob eine Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad noch zu erreichen ist.
Spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dessen Folgen für die Energiepreise ist vielen Geschäftsführern bewusst geworden, auf was für einem fragilen Fundament Unternehmen stehen, wenn sie nicht ohne fossile Energieträger auskommen können. In Thüringen trifft das derzeit noch immer auf die meisten Firmen zu. Nach Daten des Thüringer Wirtschaftsministeriums sind im Freistaat beispielsweise etwa 70 Prozent der Unternehmen im produzierenden Gewerbe auf fossile Energie angewiesen.
Zu den umfangreicheren Maßnahmen, die Kasper und seine Kollegen bei HFP unternommen haben, um weniger Energie zu verbrauchen, gehört die Dämmung von Behältern, die warme Flüssigkeiten enthalten, der Umstieg von dieselbetriebenen Gabelstaplern auf Elektroantrieb und der Aufbau einer Photovoltaik-Anlage. Alles in allem spart das zusätzlich zur LED-Beleuchtung noch einmal etwa 1000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ein. Um eine Relation zu geben: Jeder Deutsche verbraucht nach Angaben des Umweltbundesamtes im Durchschnitt etwa 11 Tonnen Kohlendioxid jährlich.
Das, was HFP zur Dekarbonisierung bislang beiträgt, ist also schon einiges. Aber Kasper sagt auch, dass der Energieverbrauch von HFP alleine so groß sei wie der Verbrauch einer Kleinstadt wie Bad Salzungen mit 16 000 Einwohnern. Damit wird ohne weitere Zahlenspiele klar, dass diese Einsparungen in dem Unternehmen bislang doch relativ klein sind. HFP – wo Stahlbänder für die Automobil- und Lebensmittelbranche hergestellt werden – habe, sagt Kasper, durch all seine bisherigen Klimamaßnahmen ungefähr acht Prozent des Kohlendioxids einsparen können.
Einige Klimaschutzmaßnahmen sind allerdings gar nicht so leicht umzusetzen, wie es auf den ersten Blick scheint, der Bau von Solarzellen auf die Dächer etwa. Dafür mussten manche Dachkonstruktionen aufgerüstet werden, sagt Kasper, damit sie die zusätzlichen Lasten der Photovoltaikmodule auch tragen können. Auch die Investitionen, die solche Bauarbeiten erfordern, sind nicht unerheblich.
Schaut man auf den gesamten Freistaat, dann summieren sich die zur Dekarbonisierung der Wirtschaft nötigen Investitionskosten auf eine gewaltige Summe. Alles in allem müssten in die Thüringer Unternehmen bis 2045 etwa neun Milliarden Euro investierten werden, um CO2-neutral zu sein, sagt Thüringens Wirtschaftsstaatssekretär Carsten Feller. Auch wenn er in Aussicht stellt, dass das Land in den nächsten Monaten verschiedene Richtlinien zur Wirtschaftsförderung so überarbeiten wolle, dass die Unternehmen in diesem Zusammenhang möglichst viel Unterstützung vom Staat erhalten können, warnt Feller doch vor allzu großen Erwartungen an die staatlichen Hilfen. »Wir werden das natürlich nicht ganz übernehmen können«, sagt er. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Wirtschaft einen erheblichen Teil der Investitionen selbst stemmen muss. Das sind Kosten, die sich die Unternehmen auf die eine oder andere Art und Weise von Kunden wiederholen dürften.
Dennoch leitet Kasper aus dieser Beziehung zwischen der Wirtschaft und ihren Kunden einen hoffnungsvollen Ausblick ab. Denn trotz aller großen und kleinen Schwierigkeiten ist er ziemlich optimistisch, dass das von ihm geführte Unternehmen bis 2030 tatsächlich CO2-neutral produzieren wird. »Ich denke, das ist zu schaffen«, sagt er und hofft dabei wie viele andere Wirtschaftsvertreter auf technische Neu- und Weiterentwicklungen beispielsweise bei der Wasserstofftechnologie, von Batteriespeichern oder Akkus.
Sell, der auch Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ist und dort der Frage nachgeht, wo die Rohstoffe der Zukunft herkommen sollen, will derartigen Optimismus zwar nicht zerreden. Allerdings gibt er sich gerade mit Blick auf Wasserstoff und Akkus deutlich nüchterner als Kasper und auch viele Politiker, die geradezu euphorisiert sind, wenn sie laut über die Möglichkeit nachdenken, demnächst Stahl mithilfe von grünem Wasserstoff herzustellen. »Langfristig wird da schon was gehen«, sagt Sell. Dennoch sei es illusorisch, die Produktion in energieintensiven Unternehmen wie Stahlwerken kurzfristig auf Wasserstoff umzustellen. »An der dafür erforderlichen Infrastruktur haben wir ja wenig bis gar nichts.« Vielmehr verweist er auf Schätzungen, die davon ausgehen, dass Deutschland bis zum Jahr 2050 etwa die Hälfte des Wasserstoffs, den man braucht, um Erdgas zu ersetzen, importieren muss – aus welchen Quellen und auf welchen Wegen auch immer. Das könnte die Klimabilanz von »grünem Wasserstoff« deutlich beeinträchtigen.
Der Blick auf Akkus wiederum legt auch aus Sicht von Sell die großen auch ethischen Probleme des Aufbaus von klimaneutralen Gesellschaften offen. Für Akkus nämlich werden bekanntermaßen Seltene Erden gebraucht, die vor allem außerhalb Europas abgebaut werden. Von Menschen, die dafür schlicht und ergreifend ausgebeutet werden. »Es gibt auch seltene Erden, die in Europa gefördert werden können, aber das ist dann eben viel teurer, weil hier ganz andere Umweltschutzauflagen gelten«, erklärt Sell. Deshalb werde das kaum gemacht. Eigentlich brauche man globale Mindeststandards für deren Gewinnung, wie es sie in der Textilindustrie oder der Landwirtschaft bereits gibt. Obwohl die in den Branchen allzu oft nicht beachtet werden.
Kasper setzt dennoch auch darauf, dass die Erwartungen von Kunden eine »große Triebfeder« sein werden, um sein Unternehmen zur CO2-Neutralität zu bringen. Denn die erwarteten zunehmend, dass ihre Geschäftspartner möglichst grün produzierten. »So was katalysiert auch.« Die kleinen Schritte hin zu mehr Klimaverträglichkeit gehe man inzwischen immer schneller. »Und wenn wir das Tempo weiter anziehen, dann ist CO2-neutrales Wirtschaften auch zu schaffen.«
Das freilich provoziert die Frage, ob den Kunden wirklich bewusst ist, dass Klimaneutralität eigentlich nur auch mit irgendeiner Art des Verzichts zu erreichen sein wird. »Worüber wir gar nicht reden, ist, dass wir uns bescheiden müssen in unserem Lebensstil«, sagt Sell und verweist beispielhaft auf einen vielfach gefeierten Pionier der Elektromobilität: den US-Autobauer Tesla, dessen Fahrzeuge heute regelmäßig mit mehr als 400 PS auf der Straße unterwegs sind und ähnlich schnell beschleunigen wie Sportwagen mit Verbrennungsmotoren. »Wer braucht so was? Wer baut so was? Wer kauft so was?«, fragt er. Elektroautos könne man auch sehr viel ressourcenschonender bauen. »Aber das ist überhaupt nicht auf dem Zettel.«
Ebenso wenig wie es reicht, bei HFP die Lampen auszutauschen, reicht es eben nicht, den Verbrenner durch den E-Motor zu ersetzen.
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