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  • Gewalt gegen Obdachlose

Tod des Obdachlosen Marcel K.: Sie vergessen ihn nicht

Aktivisten kämpfen um Aufmerksamkeit für den Tod des Obdachlosen Marcel K.

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Nicht so schnell wegzuwischen: In der Brückenstraße in Niederschöneweide erinnern Aktivisten an den Polizeieinsatz. Die Beamten sehen die Anschuldigungen ungern.
Nicht so schnell wegzuwischen: In der Brückenstraße in Niederschöneweide erinnern Aktivisten an den Polizeieinsatz. Die Beamten sehen die Anschuldigungen ungern.

Es gibt Kartoffel- und Linsensuppe. Zwei Bottiche stehen auf dem Biertisch, daneben eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Kiste mit gekühltem Wasser. Es ist heiß an diesem Nachmittag Ende Juni vor der Habersaathstraße 40-48 in Mitte. Die A-Küche, ein anarchistisches Kochkollektiv aus Niederschöneweide, hat trotzdem den vertrauten Kiez verlassen und bietet auf der Mahnwache gegen Obdachlosigkeit kostenlos oder gegen Spende Essen und Getränke an.

Hannes schöpft Suppe, sucht nach Milch für den Kaffee, unterhält sich nebenbei. Seit November ist er Teil der A-Küche, einer »Kommunikationsplattform mit dem Kiez und den Obdachlosen«, wie er zu »nd« sagt. Hilfe und politische Vernetzung gehören dabei zusammen. So auch an diesem Tag: Hannes hat vor den Suppentöpfen Flyer ausgelegt. »Aus Trauer wird Wut!« steht darauf, es ist ein Aufruf zur Demonstration. Am kommenden Samstag will die A-Küche an Marcel K. erinnern, der am 20. April bei einem Polizeieinsatz in Niederschöneweide schwer verletzt wurde und eine Woche darauf im Krankenhaus starb – für das Kollektiv ein klarer Fall von tödlicher Polizeigewalt.

Die Polizei stellt den Einsatz so dar: Wegen eines Hausfriedensbruchs in die Brückenstraße gerufen, hätten die Beamten K. und zwei weitere Männer in einem Treppenhaus aufgefunden und zum Gehen aufgefordert. K. hätte sich geweigert, die Beamten getreten, geschlagen und mit einer Bierflasche beworfen, woraufhin die Polizisten sich mit Pfefferspray verteidigt hätten. Als K. kollabierte, reanimierten sie ihn und riefen den Rettungsdienst.

Hannes glaubt diese Darstellung nicht. Er kannte K. über die selbstorganisierte Nachbarschaftshilfe in dem Ortsteil von Treptow-Köpenick: von den Essensausgaben, vom Spendenzaun, den Gesprächen, die dabei entstehen. K. war obdachlos, saß meist vor einer Bank-Filiale am Michael-Brückner-Platz und musste oft ins Krankenhaus, erzählt Hannes, unter anderem wegen einer offenen Wunde am Knie. Abgesehen davon, dass er K. nie als aggressiven Menschen erlebt habe, hätte er aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme sowieso nicht gefährlich sein können. »Er konnte nicht einmal richtig laufen. Der Einsatz muss überzogen gewesen sein.«

Dazu kommen die Berichte zweier Augenzeugen, die den Aktivisten der A-Küche bekannt sind. Laut deren Schilderungen hätten sie nicht im Treppenhaus eines Wohnhauses, sondern in einer Durchfahrt zum Hinterhof des Gebäudes in der Brückenstraße geschlafen. Die Beamten hätten ohne Vorwarnung an K.s verletztem Bein gezogen, erzählt Marcel, Teil des Koch-Kollektivs und zufällig Namensvetter von K. Nachdem K. nicht aufgestanden sei, um zu gehen, hätten zwei der sechs Einsatzbeamten nicht nur Pfefferspray genutzt, sondern auch auf ihn eingeschlagen. Die zwei Zeugen und Freunde von K. wollen nicht mit der Polizei reden, »die sind traumatisiert«, sagt Marcel.

Zwar teilten Polizei und Staatsanwaltschaft vor gut zehn Tagen mit, dass bereits seit Anfang Juni Ermittlungen gegen zwei Polizisten wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge liefen. Aus einer Antwort vom Donnerstag auf eine Schriftliche Anfrage der Berliner Linke-Abgeordneten Niklas Schrader und Stefanie Fuchs geht hervor, dass die verdächtigen Polizisten aus dem Abschnitt 35 des Bezirks Treptow-Köpenick stammen. Sie sind trotz der Ermittlungen weiterhin im Dienst, es läuft kein Disziplinarverfahren gegen sie.

Hannes glaubt, dass nur der bisherige öffentliche Druck überhaupt zu den Ermittlungen geführt habe: »Ohne unsere Mobilisierung hätten sie die Sache im Sande verlaufen lassen.« Er und Marcel haben den Eindruck, dass die Polizei nicht Aufklärung, sondern Vertuschung im Sinn hat. Sie erzählen von einer Polizeikontrolle am 23. Mai: Gerade mit Plakaten unterwegs, die im Kiez über den Polizeieinsatz vom 20. April informieren sollten, wurden sie von Zivilbeamten aufgegriffen. »Die sind mit gezogener Knarre aus dem Auto gesprungen«, so Hannes. »Hände an den Kopf, auf den Boden, Handschellen. So haben wir eineinhalb Stunden gewartet.« Hannes vermutet, dass die Polizisten eine Plakatieraktion zum tödlichen Ausgang des Polizeieinsatzes gegen K. vereiteln wollten. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Aktivisten aber noch nichts von K.s Tod. »Als sie gesehen haben, dass nichts Neues draufsteht, hat einer gesagt: ›Ach, den Text kennen wir ja schon.‹«

In der Antwort auf die Schriftliche Anfrage heißt es in Bezug auf die Polizeikontrolle am 23. Mai, die Beamten hätten keine Schusswaffen gezogen. Die beiden Männer seien wegen Verdachts auf Sachbeschädigung durchsucht und »mit Handfesseln gesichert« worden, um anschließend auf der Wache ihre Identität festzustellen. Aus der Antwort geht zudem hervor, dass auch hierbei ein Polizist aus Abschnitt 35 beteiligt war.

Nachdem die Aktivist*innen der A-Küche über Umwege von Marcel K.s Tod erfahren hatten, versammelten sie sich am 3. Juni mit Kerzen, Blumen und Banner in der Brückenstraße. Die Polizei ließ nicht auf sich warten: Zuerst forderten Beamte die Gruppe auf, woanders zu trauern, dann entfernten sie mit Wasser das »Tatort«, das mit Sprühkreide auf den Gehweg geschrieben stand. So berichtet es Marcel.

Vieles bleibt unklar. Ab wann wusste die Polizei von Marcel K.s Tod? Die Pressestelle der Polizei erklärt, sie habe erst nach eigener Recherche am 3. Juni von dem Tod erfahren. Zugleich war aber schon Anfang Mai von der Staatsanwaltschaft eine Obduktion angeordnet worden – ohne das Wissen der Polizei? Sind die Beamten von Abschnitt 35 unverhältnismäßig hart gegen die mutmaßlichen Plakatierer vorgegangen? Hier steht Aussage gegen Aussage.

Für Samstag hoffen Marcel und Hannes auf einige Hundert Demonstrant*innen und öffentliche Aufmerksamkeit. Marcel K. soll vor dem Vergessen bewahrt werden.

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