Wasser marsch trotz Mangels

In Sachsen versucht man, die Trinkwasserversorgung an den Klimawandel anzupassen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 8 Min.

Vier Männer stehen in der sengenden Sonne im Süden von Leipzig, einen Steinwurf vom Völkerschlachtdenkmal entfernt. Es ist mitten am Tag, die Sonne brennt wieder einmal unerbittlich. Die Blumenwiese zu ihren Füßen ist verdorrt. Seit Wochen regnet es in der Stadt viel zu wenig. Im gesamten Frühling fielen in der sächsischen Großstadt nur 48,9 Liter Regen je Quadratmeter, nicht einmal die Hälfte dessen, was in der Jahreszeit im langjährigen Mittel vom Himmel kam. Zugleich schien die Sonne etwa im März 244 Stunden, fast doppelt so viel wie üblich. Die Folge: Die Natur leidet. Weiden sind gelb und rascheln, Bäume lassen die Blätter hängen oder verlieren sie schon im Juni. Immerhin: Die vier Herren – ein Minister, ein Bürgermeister, ein Verbandsvertreter und der Chef eines städtischen Unternehmens – müssen nicht dürsten. Klares, sauberes Wasser befindet sich in Karaffen auf Stehtischen vor ihnen und außerdem in einem riesigen, 1500 Kubikmeter fassenden Stahlbehälter 36 Meter über ihren Köpfen: im Wasserturm Probstheida, der Teil der Leipziger Trinkwasserversorgung ist.

Dass die Wasserkaraffen auf den Stehtischen auch an einem Tag mit 30 Grad zuverlässig am Hahn gefüllt werden konnten; dass in der 600 000-Einwohner-Stadt Hände gewaschen, Blumen gegossen, Waschmaschinen angestellt und vielleicht sogar verdorrte Rasenflächen gesprengt werden können, sehen die Menschen in Leipzig wie in Deutschland generell als selbstverständlich an. Ist es bisher auch, sagt Ulrich Meyer, der Chef der Leipziger Wasserwerke (LWW). Zwar steige der Bedarf an Trinkwasser an heißen Tagen spürbar an. In Dresden etwa lag er kürzlich an einem Tag mit 39 Grad um ein Drittel höher als üblich. Dennoch gilt: Aus jedem deutschen Wasserhahn sprudelt jederzeit Trinkwasser. Ob das so bleibt? »Gerade reden alle von Erdgas«, sagt Meyer in Anspielung auf einen drohenden russischen Lieferstopp, absehbare Knappheit und eine mögliche Rationierung. »Aber Wasser«, fügt er hinzu, »ist auch ein Thema.«

Bei dem Termin im Wasserwerk Probstheida geht es um die Zukunft der Trinkwasserversorgung in Sachsen. Die ist bislang sicher – dank Entscheidungen und Investitionen vor über 100 Jahren, betont Florian Reißmann vom Verband der Energie und Wasserwirtschaft. In Leipzig ging 1866 ein erstes Wasserwerk in Betrieb. Der Wasserturm Probstheida, ein Koloss mit zwei wasserspeienden Fischen am Portal, wurde 1907 errichtet. In dem Jahr hatte der Leipziger Stadtrat fünf Millionen Mark in den Kauf eines Areals in Canitz gesteckt, das 25 Kilometer entfernt am Ufer der Mulde liegt und auf einem ergiebigen Grundwasserreservoir sitzt. Dort wurde ein Wasserwerk errichtet, aus dem Leipzig bis heute einen Teil der jährlich 36,9 Millionen Kubikmeter Trinkwasser bezieht. Man könne den »Weitblick der Vorväter« nur loben, sagt Meyer. Über eine Leitung gelangt das Wasser nach Leipzig, wo sich zu Füßen des Wasserturms begrünte Hügel wölben. Was aussieht wie Hünengräber, sind unterirdische Behälter, in denen das Wasser aus Canitz mit dem aus drei weiteren Wasserwerken sowie von außerhalb gemischt wird. »Ein Viertel des Leipziger Bedarfs«, sagt LWW-Sprecherin Katja Gläß, »kommt aus dem Fernwassernetz Elbaue-Ostharz, das 750 Kilometer Rohre umfasst und Talsperren im Harz ebenso anzapft wie Brunnen in der Elbaue.«

Zahl der Hitzetage erhöht sich

Bisher sprudeln all diese Quellen zuverlässig: Die Talsperren, von denen es auch in den sächsischen Mittelgebirgen 23 für Trinkwasser und 30 für Brauchwasser gibt, füllt zum Gutteil der schmelzende Schnee im Frühjahr; auch Grundwasserleiter werden bisher durch versickernde Niederschläge stetig erneuert. Doch das ändert sich, und Politik wie Wasserwirtschaft müssen reagieren. »Wasser kommt künftig nur dann mit der gleichen Gewissheit wie heute aus dem Hahn, wenn wir handeln«, sagt der grüne sächsische Umweltminister Wolfram Günther. Vor ihm auf dem Stehtisch liegt ein 213 Seiten starker Band, der gravierende Veränderungen prognostiziert. Die »Grundsatzkonzeption öffentliche Wasserversorgung 2030« untersucht unter anderem Veränderungen durch den Klimawandel. In Sachsen wird es wärmer, es regnet weniger, die Sonne scheint länger. Ein Szenario, das die Autoren des Bandes zugrunde legen, geht davon aus, dass sich die Zahl der Hitzetage im Laufe des 21. Jahrhunderts von fünf auf 45 pro Jahr erhöht. An solchen Tagen steige der Trinkwasserbedarf »typischerweise auf Spitzenwerte«, heißt es in dem Bericht. Kritisch sei vor allem, wenn mehrere solcher heißen Tage aufeinanderfolgten. Das könne »die Kapazitäten zur Trinkwasserversorgung überfordern«. Der höhere Bedarf ist bereits jetzt erkennbar. In Leipzig sank der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch nach 1990 zunächst von 115 auf 86 Liter am Tag im Jahr 2011. Inzwischen ist er wieder auf knapp 100 Liter gestiegen. Eine mögliche Erklärung ist laut LWW-Chef Meyer, dass in heißen Sommern mehr Trinkwasser in Gärten und an Bäume vergossen wird.

Doch nicht nur der Wasserverbrauch steigt, auch die Quellen fließen spärlicher. Ein Szenario, das für die Konzeption zugrunde gelegt wurde, geht davon aus, dass in Sachsen im Zeitraum 2071 bis 2100 zehn Prozent weniger Niederschlag fallen als heute. Dabei gibt es regionale Unterschiede. In Ostsachsen dürfte das Defizit weit größer sein als etwa im Erzgebirge; dass Wasser fehle, werde in der Lausitz »die neue Normalität« sein, sagte Günther kürzlich bei einem Termin an der Schwarzen Elster, die derzeit stellenweise ausgetrocknet ist. Zugleich sorgen viel Sonnenschein und geringere Wolkenbildung für starke Verdunstung. Schon in den Dürrejahren 2018-20 wurde eine »extreme Verdunstungsrate« konstatiert. Die Folge: Es sickert kaum noch Niederschlag ins Grundwasser. Der Prognose zufolge werden im letzten Viertel des Jahrhunderts in Sachsen im Mittel knapp 700 Liter Niederschlag je Quadratmeter fallen, von denen aber fast 600 Liter verdunsten, statt in den Boden einzudringen.

Der Bericht merkt an, dass etliche Entwicklungen, die in Szenarien berechnet worden seien, in der Realität viel früher eingetreten seien. Schon die zurückliegenden trockenen Jahre seien »in bisher nicht beobachtetem Maß von einem extremen, großräumigen Sinken der Grundwasserstände« geprägt gewesen. Man müsse davon ausgehen, dass es Mitte des Jahrhunderts im sächsischen Tiefland »regelmäßig« Jahre ohne relevante Grundwasserneubildung geben werde. Gleichzeitig dürfe aber laut Wassergesetz des Freistaats »nicht mehr Grundwasser entnommen werden, als sich neu bildet«, wie die Konzeption betont. Von 70 »Grundwasserkörpern« in Sachsen sei bereits bei zwölf der »mengenmäßige Zustand … als schlecht einzustufen«. Sie liegen einer Karte zufolge vor allem in den Braunkohlerevieren der Lausitz und südlich von Leipzig, wo für die Tagebaue viele Milliarden Kubikmeter Grundwasser abgepumpt wurden und das Wassersystem heute schwer geschädigt ist. Aber auch um Dresden, im Raum Torgau und im Zittauer Gebirge gibt es Probleme. Generell müsse die Wasserwirtschaft bei fortschreitender Trockenheit und Dürre »schon kurz- bzw. mittelfristig mit systemischen Änderungen des Wasserhaushaltes rechnen«, sagt der Bericht.

Auf diese muss man sich einstellen, sagt Günther zu Füßen des Probstheidaer Wasserturms: Die Wasserversorgung müsse umgebaut, »das System krisenfester und resilienter« werden. Dazu seien Investitionen von 1,4 Milliarden Euro nötig. Viele Ideen gibt es schon: So sollen die Talsperren, die vorwiegend im Erzgebirge und Vogtland liegen, besser verbunden und womöglich auch eine neue errichtet werden. Sie liefern 39 Prozent des Trinkwassers in Sachsen, das über Fernleitungen in die großen Städte und trockenere Regionen geleitet wird. In Leipzig soll eine Ringleitung geschlossen werden. In der Lausitz arbeitet der Bergbausanierer LMBV an einem Speichersystem, in dem der im Winter reichlicher fallende Niederschlag für dürre Sommermonate zurückgehalten werden soll.

Neben großen Investitionen bei den Wasserversorgern seien auch private Nutzer gefordert, sagt der Minister: »Es geht um große Maßnahmen und viele kleine.« Grundstücksbesitzer könnten darüber nachdenken, ob sie zur Bewässerung von Gärten Regenwasser in Zisternen auffangen. Generell sei das Speichern von Wasser »ein Megathema«, sagt Günther: »Alles Wasser, was kommt, muss zurückgehalten werden.« So könnten kleinere Gewässer in der Landschaft wieder hergestellt und Gräben zur Entwässerung beseitigt werden. Leipzig, merkt Umweltbürgermeister Heiko Rosental (Linke) an, entwickelt Ideen, um eine »Schwammstadt« zu werden, in der Regenwasser möglichst stark zurückgehalten und genutzt statt in die Kanalisation geleitet wird.

Nutzungskonflikte sind absehbar

Dennoch ist nicht sicher, dass das Wasser in Zukunft noch jederzeit für alle reicht. Es könne bei steigendem Wasserbedarf zu »Konkurrenzsituationen« kommen, wird in der Wasserkonzeption gewarnt: zwischen privaten Haushalten, der Industrie, dem Naturschutz und der Landwirtschaft. Bauern könnten angesichts zunehmender Trockenheit verstärkt auf künstliche Bewässerung auch von Feldern setzen, sagen Fachleute und schauen besorgt auf die Folgen für das Grundwasser. Im Notfall müssen Behörden einzelnen Nutzern im Wortsinn den Hahn abdrehen. »Wir reden da zwar noch nicht über Triage«, sagt eine Referentin aus Günthers Ministerium: »Aber es geht darum, bei Nutzungskonflikten zu intervenieren.« Schon jetzt müssen Behörden in Sachsen den Bürgern wegen anhaltender Trockenheit immer öfter verbieten, Bäche und Seen anzuzapfen. Die »Entnahme von Wasser mittels Pumpen zur Beregnung eigener landwirtschaftlich genutzter Flächen oder Hausgärten« sei bis Mitte Oktober einzustellen, verfügte kürzlich etwa der Landkreis Nordsachsen. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis 50 000 Euro.

Im Wasserwerk Probstheida bemüht man sich derweil darum, dass das Leipziger Wasser weiter reichlich sprudelt. Der Wasserturm sei dabei eigentlich nur noch ein historisches Relikt, sagt Katja Gläß, die Sprecherin der LWW. Technisch sei die Anlage, die einst für den Wasserdruck in mehrstöckigen Mietshäusern sorgen sollte, nicht mehr nötig. Florian Reißmann findet das technische Bauwerk trotzdem faszinierend – weil es die Weitsicht der Wasserwirtschaftler vor 100 Jahren bezeugt. »Jetzt müssen wir das System für die nächsten 100 Jahre ertüchtigen«, sagt er. Derweil brennt die Sonne vom Himmel, die Wiese dörrt vor sich hin und die Karaffen auf den Stehtischen sind leer.

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