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Veränderungen nur auf Druck
Die Ungleichbehandlung von Frauen im Fußball zeigt sich auch bei der kommenden Europameisterschaft
Die guten Nachrichten häufen sich. Vor kurzem kündigte der niederländische Fußballverband an, dass sein Nationalteam der Frauen die gleiche Bezahlung erhält wie die Mannschaft der Männer. Auch Bedingungen für Training, Reise und Unterkunft sollen angeglichen werden. Einen solchen Schritt hatten zuvor auch Verbände anderer Nationen angestoßen, etwa in Spanien, Norwegen, England, Brasilien und den USA. Dort erhalten Fußballerinnen die gleichen Prämien wie die Männer.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bleibt dahinter zurück. Sollten die deutschen Frauen die am 6. Juli beginnende Europameisterschaft in England gewinnen, würde jede Spielerin eine Prämie von 60 000 Euro erhalten. Das ist zwar eine Steigerung: Bei der vergangenen Europameisterschaft vor fünf Jahren wären es nur 37 500 Euro gewesen. Und doch ist es vergleichsweise wenig. Die Männer hätten für einen EM-Sieg 2021 jeweils 400 000 Euro kassiert.
Als Grund für das Gefälle nannte der frühere Nationalspieler und aktuelle DFB-Direktor Oliver Bierhoff die unterschiedlichen Einnahmen und Umsätze bei den Turnieren von Frauen und Männern. Der Verband werde allerdings Betreuerstäbe und Ausstattung auf ein ähnliches Niveau bringen. Die Frauen bereiteten sich zuletzt beim Verbandspartner Adidas in Herzogenaurach auf die EM vor – so wie ihre männlichen Kollegen vor wenigen Wochen während der Nations League.
Als größter nationaler Sportfachverband der Welt mit millionenschweren Sponsorenverträgen könnte der DFB das Niveau leicht angleichen – doch selbst das sollte im Jahr 2022 nicht mehr als ein Minimalstandard sein. Von den 16 teilnehmenden Nationen bei der EM der Frauen haben bereits acht Verbände die Prämien angeglichen. Doch diese wiederkehrende Diskussion überdeckt die strukturelle Benachteiligung. Ob Trainingswesen, Medienaufmerksamkeit oder Führungspositionen: Für Mädchen und Frauen bleibt nur ein Fußball zweiter Klasse.
Es würde ohnehin nicht reichen, an der Spitze der Fußballpyramide Geld in den Markt zu pumpen, das legt eine Umfrage von FIFPro nahe. Die internationale Profivereinigung hatte im Jahr 2017 weltweit 3600 Spitzenfußballerinnen befragt. Demnach lag das durchschnittliche Monatsgehalt bei 600 Dollar. Lediglich ein Prozent erhielt mehr als 8000 Dollar im Monat. Mehr als drei Viertel der Spielerinnen verknüpften ihren Leistungssport mit einem anderen Job oder einem Studium. 90 Prozent spielten mit dem Gedanken, ihre Karriere frühzeitig abzubrechen. Wegen fehlender Perspektiven.
Corona hat den Alltag weiter erschwert. Schon vor der Pandemie lag der Zuschauerschnitt in der Frauen-Bundesliga unter 1000. Während der Covid-Beschränkungen brachen Ticketeinnahmen weg, etliche Sponsoren reduzierten ihre Ausgaben. Darunter leiden Klubs, die einen Schwerpunkt auf den Fußball der Frauen legen. Ein Beispiel ist der 1. FFC Turbine Potsdam, der Anfang des Jahrtausends sechsmal die deutsche Meisterschaft und zweimal die Champions League gewann. Am Rand der Sportmetropole Berlin ist Turbine auf kleine und mittelgroße Förderer angewiesen. So kommt der Verein auf einen Jahresetat von einer Million Euro.
Turbine Potsdam hat seit 2012 keinen Titel mehr gewonnen. Seitdem haben der VfL Wolfsburg und der FC Bayern München die Trophäen unter sich ausgespielt. Auch in anderen Ländern Europas bestimmen Klubs, die erfolgreich im Männerfußball sind, die erste Liga der Frauen. In England ist es der FC Chelsea, in Spanien der FC Barcelona, in Frankreich Olympique Lyon. In Deutschland hat sich der siebenmalige Meister der Frauen-Bundesliga, der 1. FFC Frankfurt, vor zwei Jahren Eintracht Frankfurt angeschlossen. Turbine Potsdam kooperiert mit Hertha BSC in Berlin, eine Fusion ist nicht in Sicht.
In Deutschland hat sich der DFB lange auf seinen Erfolgen ausgeruht. Das Nationalteam der Frauen gewann zweimal die Weltmeisterschaft und achtmal die Europameisterschaft. Als Gastgeberinnen der WM 2011 freuten sie sich über beachtliche Fernsehquoten und Sponsoring-Einnahmen. Doch zwischen großen Turnieren blieb die Aufmerksamkeit gering. Der gemeinnützige DFB konnte sich noch nicht dazu durchringen, die Frauen-Bundesliga in eine eigene Organisation auszulagern. So wie bei den Männern, wo sich die Deutsche Fußball-Liga DFL als selbstbewusste Interessenvertretung etabliert hat.
In der Sportindustrie bleibt jenseits des Fußballs der Männer wenig Raum, das spüren auch Handball, Leichtathletik oder andere olympische Sportarten. Wer gegen diese Konkurrenz eine lukrative Marke aufbauen will, braucht Geduld, Geld und einen größeren Stab an Mitarbeitenden. Der englische Fußballverband vermarktet seine Frauenliga seit 2010 als »Women’s Super League«, in enger Partnerschaft mit einer britischen Bank.
Laut Medienberichten erhält die englische Liga allein durch die Vermarktung von Fernsehrechten jährlich rund 17 Millionen Euro. Fußballerinnen, so die Regel in England, müssen von ihrem Sport leben können. Ähnlich ist die Lage in Spanien, wo die großen Klubs in ihren sozialen Medien zunehmend für ihre Frauenteams werben. Die erste Liga dort gewann ein Energieunternehmen als Hauptsponsor und verkaufte ihre Fernsehrechte für drei Millionen Euro pro Saison. Der Zuschauerschnitt liegt weit unter dem der Männer, aber immer wieder führen Kampagnen zu Rekorden. Im April verfolgten in der Champions League der Frauen fast 92 000 Menschen das Heimspiel des FC Barcelona gegen den VfL Wolfsburg.
Solche Bestmarken hätte es schon vor langer Zeit geben können. Anfang des 20. Jahrhunderts war der Fußball bei vielen Frauen beliebt. In Frankreich, Deutschland oder Polen entstanden Wettbewerbe. In England hatte jede größere Gemeinde ein eigenes Frauenteam. 1920 sahen 53 000 Zuschauer ein Spiel in Liverpool. Der englische Verband hatte jedoch Sorge, dass die Aufmerksamkeit für die Männerspiele abnehmen würde – und verbot den organisierten Spielbetrieb für Frauen 1921. Der DFB tat es ihm 1955 gleich. Frauen spielten weiterhin Fußball, doch im wichtigsten Ligensystem waren sie erst ab den 70er Jahren wieder willkommen. Weitere Jahrzehnte sollten vergehen, bis die großen Verbände ein seriöses Interesse für die Fußballerinnen entwickelten.
Manche reagieren auch in der Gegenwart nur auf öffentlichen Druck. Deutsche Spitzenklubs wie Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 haben erst vor kurzem eine Abteilung für Mädchen und Frauen gegründet. Es wird lange dauern, bis ihre Teams aus den untersten Klassen in die europäische Spitze vordringen. Andere Vereine wie der VfB Stuttgart oder Mainz 05 schließen Partnerschaften mit erfolgreichen Frauenklubs ihrer Regionen. Wiederum andere, wie Hertha BSC, halten sich noch zurück. Im Gegensatz zum 1. FC Union, der bereits in der DDR als einer der ersten Vereine eine Frauenabteilung besaß. Zu den Vorzeigeklubs für Mädchen und Frauen gehören allerdings auch die Köpenicker nicht.
Im milliardenschweren Männerfußball könnte die DFL die Frauenförderung zur Bedingung für eine Bundesligalizenz machen. Nachwuchszentren, Partnerschaften mit Schulen oder Marketingabteilungen könnten ihren Fokus stärker auf die weibliche Sphäre des Sports lenken. Doch das reicht nicht. Laut dem Antidiskriminierungsnetzwerk Fare werden weniger als vier Prozent der Führungspositionen im europäischen Fußball von Frauen besetzt. Im DFB-Präsidium sind von 15 Mitgliedern fünf weiblich. Im DFL-Präsidium sitzt eine Frau: Donata Hopfen, seit kurzem auch Geschäftsführerin.
Auch jenseits von Verbänden und Vereinen werden Sponsoren, Sportartikelhersteller oder Fußballmedien in der Regel von Männern geprägt. Laut der Sporthochschule Köln kommen nur in 15 Prozent der Sportberichterstattung Frauen vor. Auch zahlreiche Werbeaktionen für den Fußball der Frauen wurden – bewusst oder unbewusst – auf ein heterosexuelles Männerpublikum ausgerichtet. Zur heimischen Frauen-WM 2011 lautete der Slogan: »20elf von seiner schönsten Seite«. Ein Spielzeughersteller brachte eine Fußball-Barbie auf den Markt. Für ein Kosmetikunternehmen posierten Spielerinnen in engen Abendkleidern, ergänzt mit Internettipps für Make-up und Haarpflege. Und immer wieder lassen sich Fußballerinnen im Playboy ablichten. Offenbar haben einige von ihnen den Eindruck, nur so das Interesse von Sponsoren wecken zu können.
Diese Reproduktion veralteter Geschlechterbilder dürfte einer von vielen Gründen sein, warum sich Frauen weniger im Fußball engagieren. An der Basis hatten sich vor der Pandemie zwar mehr Frauen für eine C-Lizenz als Trainerin bemüht, also für die unterste Kategorie im Kinder- und Jugendfußball. Aber schon eine Stufe höher, an der Schwelle zum Leistungssport, sinkt der weibliche Anteil enorm. Das liegt nicht an fehlender Bereitschaft der Frauen, sondern an verkrusteten Netzwerken, in denen Männer die Entscheidungen für Fortbildungen, Spielpläne und Schiedsrichter-Ansetzungen treffen.
Auch weiter oben sind ehemalige Nationalspielerinnen selten dazu bereit, ihren Jahresurlaub für mehrwöchige Trainerkurse aufzubringen. Selbst in der Frauen-Bundesliga werden die Teams in der Regel von Männern trainiert. Mit wenigen Ausnahmen. Die ehemalige Bundesligaspielerin Carmen Roth übernahm als Trainerin 2017 das Frauenteam von Werder Bremen. Zwei Jahre später hörte sie auf eigenen Wunsch auf und nahm ihren unbefristeten Job bei einer Versicherung wieder auf. So gehen den Mädchen an der Basis sichtbare Vorbilder verloren. Zuletzt schwärmte der DFB zwar von einem Wachstum: Von seinen 7,17 Millionen Mitgliedern seien 2,2 Millionen auf den Plätzen aktiv – darunter aber nur 187 000 Spielerinnen.
Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund haben in den vergangenen Jahren einige Förderprojekte und Führungskräfte-Seminare für Frauen entwickelt. Zumindest der Deutsche Fußball-Bund sträubt sich noch gegen eine verbindliche Frauenquote für seine Gremien. Anders als der Fußballverband in Norwegen, der bereits in den 90er Jahren eine solche Quote eingeführt hatte. Dort sollen mindestens zwei Frauen dem Präsidium angehören, damit sich eine allein nicht als Alibi fühlt. Längst ist das Präsidium zur Hälfte mit Frauen besetzt – an der Spitze steht seit diesem März die frühere Nationalspielerin Lise Klaveness.
Von solchen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt. Jenseits der DFB-Strukturen geht es schneller voran. Ein Netzwerk um die frühere Hamburger Fußballfunktionärin Katja Kraus verlangt den Verbänden Reformen ab. Die Wanderausstellung »Fan.Tastic Females« stellt weibliche Ultras vor. Und das Bündnis »F_in«, Frauen im Fußball, informiert über Sexismus in den Fankurven.
Diese Initiativen werden allerdings von wenigen prominenten Stimmen unterstützt, auch die deutschen Nationalspielerinnen halten sich zurück. Ganz anders in Dänemark, wo Spielerinnen 2017 für eine bessere Bezahlung in Streik gingen. Oder in den USA, wo die Weltmeisterinnen um Megan Rapinoe ihren Verband wegen »finanzieller Diskriminierung« sogar verklagten. Auch dank ihres Engagements werden nun bei der Europameisterschaft der Frauen von der Uefa 16 Millionen Euro an Preisgeld verteilt, doppelt so viel wie bei der letzten EM 2017. Bei der EM der Männer im vergangenen Jahr waren es jedoch 331 Millionen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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