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  • Transgeschlechtlichkeit und Armut

Selbstbestimmung nur für Reiche

Jeja nervt: Der zögerliche Einsatz der Ampelkoalition für bessere Lebensbedingungen für trans Personen

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.
Kein luxuriösen Schönheitsoperationen: chirurgische Maßnehmen zur Angleichung von Gesichtsmerkmalen bei trans Personen
Kein luxuriösen Schönheitsoperationen: chirurgische Maßnehmen zur Angleichung von Gesichtsmerkmalen bei trans Personen

Am Donnerstag stellten Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf der Bundespressekonferenz die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vor, das das Transsexuellengesetz ersetzen soll. Damit werden langwierige, kostspielige und übergriffige Gutachten nicht mehr gebraucht, um Passgeschlecht und Namen zu ändern. Paus lobte, es sei ein »guter Tag für Freiheit und Vielfalt«. Doch passiert ist, außer der Ankündigung von sowieso schon Bekanntem, wenig. Schlimmer noch: Die Eckpunkte fallen sowohl hinter die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziele als auch hinter die vergangenes Jahr ins Parlament eingebrachten Gesetzesentwürfe von Grünen und FDP zurück.

Und: Eigentlich wollten die Ministerien vor der Sommerpause bereits einen fertigen Gesetzesentwurf vorlegen. Doch selbst daraus war bis diesen Donnerstag nichts geworden. Der grüne Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, ließ wissen, dass das Gesetz Mitte 2023 in Kraft treten könne. Selbst wenn diese Zielvorgabe eingehalten werden sollte, bedeutet das noch immer erheblich viel Warten.

Schlimmer wiegt aber, dass die Festsetzung operativer Maßnahmen als Regelleistung im Sozialgesetzbuch, wie es die beiden damaligen Oppositionsparteien noch gewollt hatten, nun auf unbekannt verschoben ist. Selbst auf Nachfrage wurden Paus und Buschmann hier nicht konkret. Karl Lauterbach solle da mal was vorlegen, hieß es, immerhin falle das in seinen Kompetenzbereich. Doch warum wurde sich dann nicht gleich zusammen mit dem Gesundheitsministerium beratschlagt?

Transhasser*innen, etwa bei der »Emma«, frohlocken schon, dass das Streichen des sozialpolitischen Aspekts auf die eigene Stimmungsmache zurückgehe. Und so betonten die Minister*innen während des Pressetermins nicht nur einmal die mangelnde Brisanz, da es ja nur um Amtsvorgänge, nicht aber um Operationen gehe – als sei es eine Stärke und nicht eine Schwäche, geschlechtliche Selbstbestimmung als Privileg der Reichen auszugestalten.

Denn tatsächlich herrscht insbesondere unter transgeschlechtlichen Frauen eine eklatante Schere zwischen Arm und Reich, die sich im Ausmaß von Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, psychischer Gesundheit und Lebenszufriedenheit niederschlägt. Wer sich operative Angleichungen etwa bestimmter Gesichtsmerkmale privat leisten kann, kann oft ein einigermaßen unbehelligtes Leben führen. Für andere stellt bereits der Gang zum Supermarkt eine regelmäßige Herausforderung dar, die mit einem erheblichen, krankmachenden Minderheitenstress und ständiger Bedrohung einhergeht. Wissenschaftliche Fachgesellschaften sehen den Nutzen solcher gesichtsfeminisierender Operationen bei der Verbesserung der Gesundheit mit ähnlich starken Belegen unterfüttert wie Angleichungen der Genitalien. Doch während für die Finanzierung letzterer seit Jahrzehnten erfolgreich Sonderanträge gestellt werden können, gilt für die Gesichts-OPs: selber zahlen oder zu Hause verstecken.

Die körperlichen Merkmale behindern es, sich frei in der patriarchalen Gesellschaft zu bewegen. So wird es noch schwerer, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren und eine Anstellung zu finden, die ausreichend viel Geld abwirft. Ohne Geld aber lassen sich die Operationen nicht bezahlen, mit denen ein Zugang zur Gesellschaft geschaffen würde. Deren Kosten fallen zwar gegenüber den gesundheitlichen Folgekosten ihres Ausbleibens lächerlich klein aus. Trotzdem werden sie nicht erstattet. Warum? Weil die Gesundheitsversorgung für transgeschlechtliche Menschen zum Luxus, zur »Schönheits-OP« erklärt wird. Mit einer Medizin aber, der ein einigermaßen glückliches und selbstbestimmtes Leben der Patient*innen gerne mal zu teuer ist, sind alle Armen in ihrem Leben immer wieder konfrontiert. Das gilt bei abgeschliffenen Adamsäpfeln genauso wie bei der Zahngesundheit, künstlichen Hüften oder Pflegestufen.

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