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Was nötig ist, damit Friedensgespräche beginnen
Über die Einschätzungen der führenden deutschen Friedensforschungsinstitute zum Krieg in der Ukraine
Anfang März ist kurz Hoffnung aufgekeimt, dass die Invasion des Kreml in der Ukraine vielleicht doch ein schnelles Ende haben könnte. Nach gerade mal einer Woche nach dem Angriff hatte es die Ukraine geschafft, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Hoffnung währte indes nur kurz, denn die russische Relegation, das wurde schnell klar, wollte für die Ukraine inakzeptable Bedingungen diktieren. Seitdem geht der Krieg mit aller Härte weiter und ein Ende scheint in weite Ferne gerückt. Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview mit dem US-Sender CBS bekräftigt, Russlands Präsident Wladimir Putin sei in der Lage, »den Krieg wirklich lange Zeit fortzusetzen«. Auf dem Petersburger Juristenforum sprach der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, am Donnerstag davon, dass Russland seine Ziele im Donbass in einem Jahr erreichen will.
Russlands Krieg in der Ukraine ist das zentrale Thema des diesjährigen Friedensgutachtens. Deutschlands führende Friedensforschungsinstitute haben untersucht, wie es zum Angriff auf die Ukraine kommen konnte und welche Lösungsansätze möglich sind, vor allem aus deutscher Perspektive. Was schlagen die Wissenschaftler*innen vor?
Zunächst einmal betonen die Forscher*innen in ihrem Gutachten, dass es nur einen Verhandlungsfrieden, nicht aber einen Siegfrieden geben kann. Bis dieser erreicht ist, müsse der Westen entschlossen mit Sanktionen und Waffenlieferungen reagieren. Deutschland komme dabei die Rolle zu, einen möglichen Atomkrieg zu verhindern.
Eine besondere Situation
Russland habe die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung verletzt, stellen die Forscher*innen klar. Und machen deutlich, dass sie der Krieg in der Ukraine vor eine besondere Herausforderung stellt. Die habe dazu geführt, dass man bisherige Erkenntnisse in der Friedensforschung auf den Prüfstand stellen müsse, erklärte Tobias Diebel bei der Präsentation des Gutachtens in Berlin. Er ist Professor für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik an der Universität Duisburg-Essen und stellvertretender Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden.
Sanktionen und Waffen
Russlands Invasion setzte eine bisher nie dagewesene Sanktionsspirale in Gang, die dem Land einen unrühmlichen Spitzenplatz bescherte. Bei Redaktionsschluss waren es 11161 Sanktionen. Erst vor wenigen Tagen schaukelte sich die Situation wegen des Transits russischer Waren vom Kernland über Litauen in die Exklave Kaliningrad hoch. Die baltische Republik hatte das Transportverbot bestimmter Waren mit dem EU-Sanktionspaket begründet. Mittlerweile versucht die Bundesrepublik, eine Lösung zu finden. Moskau sieht die Sanktionen westlicher Staaten als illegitim an. Am Freitag nannte Medwedew, der sich seit Kriegsbeginn von einem Liberalen zum absoluten Hardliner und aggressiven Sprachrohr der Regierung wandelte, die Sanktionen einen möglichen Kriegsgrund.
Aus Sicht der deutschen Friedensforscher*innen sind die »in ihrer Härte präzedenzlosen« Sanktionen ein geeignetes Mittel, um den Krieg zu beenden. Die Wissenschaftler*innen sind überzeugt, dass die Strafmaßnahmen dazu beigetragen haben, »dass das militärisch vermeintlich überlegene Russland bei seinem Angriff auf die Ukraine bislang nur begrenzt erfolgreich war«.
Ob es tatsächlich die Sanktionen waren, die den russischen Vormarsch stoppten, oder vielmehr die teilweise dilettantische Kriegsführung des Kreml, ist ein Punkt, über den Historiker in Zukunft streiten könnten. Der Blick nach Russland selbst lässt zumindest Zweifel aufkommen, dass die Sanktionen ihr Ziel erreichen. Noch hält sich die Wirtschaft und statt sich von der Führung um Putin abzuwenden, führen die Sanktionen eher dazu, dass sich die wirtschaftliche Elite und viele Menschen im Land noch enger um den Präsidenten scharen.
Tatsächlich werden die Auswirkungen von Sanktionen oft überschätzt, sagte Christopher Daase, Professor für Internationale Organisationen an der Goethe-Universität Frankfurt und stellvertretendes geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, dem »nd«. Sie hätten allenfalls einen langfristigen Effekt, seien aber als Mittel politischer Missbilligung sehr wichtig. Auch wenn sie den Kriegsausgang nicht wirklich beeinflussen, seien sie für die Aufrechterhaltung des Völkerrechts unerlässlich, so der Politikwissenschaftler.
Deutlich mehr Chancen, als »friedensstiftendes« Mittel zu wirken, sehen die Wissenschaftler*innen in den umstrittenen Waffenlieferungen. Die Friedensforschungsinstitute hätten es sich nicht leicht gemacht, für Waffenlieferungen an die Ukraine einzutreten, meint Daase. Er verweist auf das Selbstverteidigungsrecht von Staaten, die angegriffen werden. Wegen der Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen durch Russland sei ein direkter militärischer Beistand nicht möglich. Bei der Präsentation des Friedensgutachten zeigte Daase Verständnis für die zögerliche Haltung der Bundesregierung. Sie habe lange versucht, eine Vermittlungsrolle einzunehmen. Erst nachdem sie damit gescheitert war, erfolgte die klare Positionierung und die schrittweise Anpassung der militärischen Unterstützung für die Ukraine.
Die Rolle Deutschlands
Geht es nach den Friedensforscher*innen, kann die Bundesrepublik eine zentrale Rolle in einer möglichen Deeskalation des Konflikts einnehmen. Die Ankündigungen Putins, im Notfall Atomwaffen einzusetzen, werden im Westen sehr ernst genommen. Das Friedensgutachten betont, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden könne. Deutschland müsse sich deshalb dafür einsetzen, die Verbreitung und den Ausbau der nuklearen Arsenale zu verhindern. Die Wissenschaftler*innen sind hier auf einer Linie mit dem Bundeskanzler. Olaf Scholz hatte immer wieder betont, dass es trotz des Aufrüstens kein vergleichbares Umdenken bei Atomwaffen geben dürfe. Als Staat ohne eigene Atomwaffen könne Deutschland über die »nukleare Teilhabe«, also die Beteiligung an der Einsatzplanung von Nuklearwaffen, darauf hinwirken, die Bedeutung von Nuklearwaffen in der Nato-Strategie zu reduzieren, bekräftigt Daase.
Die Rolle Chinas
Die große Unbekannte im Ukrainekrieg ist China. Im April plädierte Jan van Aken, Experte der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Sicherheits- und Friedenspolitik, im »nd«-Interview dafür, die Volksrepublik stärker in die Verhandlungen einzubeziehen. »Warum Olaf Scholz nicht jeden zweiten Tag bei Xi Jinping auf dem Tisch sitzt, verstehe ich nicht«, so van Aken. Er ist überzeugt, dass China kein Interesse am Konflikt in der Ukraine hat. Das Friedensgutachten stuft China hingegen als eine Gefahr ein. »China hat sich bisher hinter Russland gestellt«, betont Daase. Um eine Vermittlerrolle einzunehmen, müsse das Land eine unabhängigere, an geltenden Prinzipien orientierte Position einnehmen, so der Politikwissenschaftler. Dafür müsse der Westen werben.
Das Ziel sind Verhandlungen
Die Ukraine braucht einen Verhandlungsfrieden, davon geht das Friedensgutachten aus. »Ein militärischer Sieg der Ukraine ist ebenso unwahrscheinlich wie ein militärischer Sieg Russlands. Das wissen auch die Bundesrepublik und die Nato. Dauerhaften Frieden wird es nur über eine Verhandlungslösung geben«, betont Daase. Nachdem sich russische und ukrainische Vertreter in den ersten Kriegswochen mehrmals in Belarus und der Türkei getroffen hatten, ohne ein Ergebnis zu erzielen, herrscht Funkstille zwischen Kiew und Moskau. Zuletzt hatte die Nato auf ihrem Gipfel in Madrid Russland zum Gegner erklärt und damit die Tür für eine Verhandlungslösung von westlicher Seite womöglich zugeschlagen. Doch Daase will die Hoffnung nicht aufgeben. »Verhandeln kann man auch mit Gegnern«, sagt der Politikwissenschaftler. Trotz fehlenden Vertrauens sei eine Kooperation möglich, wenn beide Seiten davon profitieren, ist er überzeugt.
Was man dem Kreml anbieten könne, um in Verhandlungen einzusteigen, liege aber nicht in der Hand des Westens. Das müsse alleine die Ukraine entscheiden, betont Daase. Letztendlich müssten beide Seiten das Gefühl haben, durch Verhandlungen mehr zu erreichen als durch Krieg. Erst dann, so der Politikwissenschaftler, könnten Friedensgespräche stattfinden.
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