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Von der Energieübertragung
Joochen Laabs wird 85. Er schreibt über »Meine Freunde, die Dichter«
Eine »Doppelseitigkeit«, sagt Joochen Laabs, sei schon im Titel seines ersten Gedichtbandes 1970 bemerkbar gewesen: »Eine Straßenbahn für Nofretete«. Tatsächlich war Joochen Laabs Straßenbahnfahrer in Cottbus, bevor er an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden studierte. Als Diplom-Ingenieurökonom veröffentlichte er dann mehrere Bücher, ehe er es wagte, sich ganz der Literatur hinzugeben. Die Veröffentlichung seines neuen, mittlerweile 14. Buchs verbindet sich mit seinem 85. Geburtstag am 3. Juli. Es heißt »Meine Freunde, die Dichter« und ist eine Lebensbilanz. Bevor sie aufs Literarische abhebt, würdigt sie ausdrücklich diejenigen, die »in Wirklichkeit zupacken«. In seinem Essay »Die Dichter und die Ingenieure« von 1983 (wie gut, dass er hier enthalten ist) bekannte er, literarisch aufseiten dieser notwendigen, praktischen Tätigkeiten zu sein. Aber: »Im Leben bin ich aufseiten der Dichter.«
Schon als Heranwachsender war er »in den Bann der Strahlung von Gedichten« geraten: »den Erlkönig sah ich nächtens unter den Chausseebäumen …«. Und dann lag für ihn Chamissos »Schlemihl« unter dem Weihnachtsbaum. »Gefährte Chamisso« hat er auch einen der Aufsätze in diesem Band genannt. Was für ein mitreißendes, sprachmächtiges Plädoyer fürs Lesen!
In packende Geschichten, fremde Gedankenwelten kann man heute auch durch Filme, Serien und Videospiele eintauchen. Im »sprachlichen, rhythmischen Glanz« behauptet Literatur indes ihren Eigenwert. Des Dichters »Energieumwandlung« rühmt Joochen Laabs: »Dass seine Denkenergie, aus der er Wort um Wort die Zeilen fügt, sich in Energie der Vernunft, dass die Energie seiner Empfindungen, die er zwischen die Zeilen steckt, sich in Beistands- und Liebesenergie wandelt.« Die jeweiligen Besonderheiten dieser »Energieumwandlungen« beschreibt er mit erstaunlicher Präzision. Volker Brauns Verse empfindet er beispielsweise als »Grenzsprengungen, Zugriff auf die Welt über die verordnete Verengung hinaus«. Und Gerhard Wolf: »Sein Credo war und ist kein ideologisches, es ist ein ethisches – Wahrhaftigkeit …«. Mit Christa Wolf teilte er das Bestreben, »sich gegen die selbstverschuldete und aufgezwungene Unmündigkeit zur Wehr zu setzen«. Der Literaturwissenschaftler Frank Hörnigk, mit dem er ab 1976 in der Zeitschrift »Temperamente« zusammenarbeitete, »war der personifizierte Kessel Überdruck, intellektuell, analytisch, gesellschaftsreflektierend«.
Am 3. Juli 1978 wurde die Redaktion aus politischen Gründen entlassen. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns gingen die Mächtigen in der DDR umso schärfer gegen alles Oppositionelle vor. Joochen Laabs war davon ganz direkt betroffen. Da war ihm Stefan Heym »ein Wahrheitsvermesser«. Sich zu wehren, wurde ihm »zur Pflicht, zur Existenzfrage für mich selber« – auch »im neuen Land«, als er im PEN wichtige Funktionen übernahm. Texte über Günter Grass, Reinhard Lettau, Kerstin Hensel, Werner Liersch, Matthias Biskupek bis hin zur russischen und US-amerikanischen Literatur bietet der Band. Ein würdigendes Nachwort zum eigenen Schaffen des Autors wäre gut gewesen. Besonders eindrucksvoll für mich: »Der Schattenfänger« über einen jungen Schriftsteller, der sich dem gängelnden DDR-Literaturbetrieb entziehen will, aber die Einsamkeit schwer erträgt.
Nach den Erfahrungen von Krieg und Nachkrieg ist Literatur für Joochen Laabs ein Schutzraum geworden gegen jegliche Vereinnahmung. »Denn die Grundierung eines Romans sind existenzielle Fragen«, sagte er in seiner Rede zur Verleihung des Uwe-Johnson-Preises 2006, »wie man lebt, liebt, leidet und lacht, die menschliche Mühe, zurande zu kommen mit den Umständen, in denen man steckt, wo auch immer.«
Joochen Laabs: Meine Freunde, die Dichter. Quintus-Verlag, 288 S., geb., 24 €.
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