Der Radsport kommt nach Hause

Die Frankreich-Rundfahrt erlebt in Dänemark eine neue Welle der Begeisterung. Weil das Land auch sportlich große Hoffnungen hat

  • Tom Mustroph, Nyborg
  • Lesedauer: 5 Min.

»Der Radsport kommt nach Hause« – so lautete das Motto des Grand Départs der Tour de France in Dänemark. Der Spruch ist zwar gewaltig überzogen. Weder das Fahrrad selbst noch große Rennen wurden in dem kleinen Nachbarland in Nordeuropa erfunden. Und um dänische Tour de France-Sieger aufzuzählen, benötigt man auch nur einen Finger einer Hand. Aber die Begeisterung im Land ist dennoch enorm.

In Vierer- und Fünferreihen stehen Fans an der Strecke. Es sind Kinder, Familien, Freundescliquen. Die Sponsoren der Tour haben großräumig Trikots und Winkelemente verteilt. Es ist wie vor der Pandemie. Das erwärmt das Herz – und lässt es zugleich vor Furcht erkalten. Wieviel Corona-Viren werden Peloton und Tour-Tross wohl mit nach Frankreich bringen, fragt man sich. Denn Masken trägt hier niemand. Nur im unmittelbaren Bereich der Teambusse wird aufs Tragen des Mund-Nasen-Schutzes geachtet.

Aber vielleicht geht es ja auch gut, denken die meisten. »Es ist wie früher, es ist einfach schön, so viel Zuspruch zu bekommen«, freut sich Jakob Fuglsang, dänischer Radprofi in Diensten des Rennstalls Israel Premier Tech. Bei dem fährt auch Chris Froome. Der viermalige Toursieger, nach zwei Etappen auf Platz 107 von 176 Startern notiert, bezeichnete den Auftakt in Dänemark gar »als den schönsten und emotionalsten Grand Départ einer Tour, den ich je erlebt habe«. Und es wird wohl niemanden geben, der da widerspricht.

Die dänischen Gastgeber erst recht nicht. Mehr als 20 Jahre haben sie schließlich darauf hingearbeitet. Beim Toursieg von Bjarne Riis 1996 kam der Ex-Profi und damalige Sportdirektor Alex Pedersen bereits auf die Idee, die Tour nach Dänemark zu holen. Der damalige Tourchef Jean Marie Leblanc hielt 2002 für möglich. Dann aber schien die Logistik zu kompliziert. Leblanc trat ab. In all den Dopingskandalen der 2000er Jahre spielte auch Dänemarks Radstar Riis eine düstere Rolle. Viel Zeit verging. Riis ist weiter persona non grata und nicht bei der Tour eingeladen. 26 Jahre nach seinem Sieg klappt es zumindest mit dem Grand Départ. Pedersen ist Chef des Events. 12 Millionen Euro hat er bei Land und Städten akquiriert. Und selbst wenn Riis fehlt, so ist mit Jonas Vingegaard doch ein potenzieller Nachfolger in Sicht. Der 25-Jährige wurde Zweiter im letzten Jahr. Im Auftaktzeitfahren war er eine Sekunde besser als sein nomineller Co-Kapitän Primož Roglič, Tour-Zweiter 2020. Und von allen, die sich Hoffnungen auf das Podium machen, ist er auch am nächsten an Titelverteidiger Tadej Pogačar dran.

»Ja, er kann Pogačar herausfordern. Er hat das Zeug dazu. Und ich denke, bei dieser Tour de France wird sich auch eine Gelegenheit ergeben, so wie im letzten Jahr am Mont Ventoux«, erzählt Christian Moberg »nd«. Moberg kennt Vingegaard noch als Teenager, als der in der untersten Nachwuchskategorie C Rennen fuhr. »Ich habe ihn über lange Zeit verfolgt. Ein Schlüsselmoment war, als er beim Großen Preis von Hammel, einem der wenigen Rennen in Dänemark mit echten Bergen, die Konkurrenz abhängte. Danach haben wir ihn in unser Team genommen«, erinnert sich Moberg. Das Team, das er jetzt führt, und für das er damals selbst auch noch als Aktiver fuhr, heißt ColoQuick. Und es ist zu einem Brutkasten des dänischen Radsports geworden. Ein halbes Dutzend Profis in der WorldTour, neben Vingegaard unter anderem noch Bora-Profi Frederik Wandahl und Bahrain-Mann Johan Price-Pejtersen, hat ColoQuick mittlerweile herausgebracht.

Aber Vingegaard ist mit Abstand der Beste. »Er hat enormes Potenzial. Als er zu uns kam, wusste er um viele Dinge von Training und Ernährung ja noch gar nicht Bescheid. Er hat sich Jahr für Jahr enorm verbessert«, sagt Moberg. Internationale Aufmerksamkeit erregte Vingegaard 2018 bei einem Trainingslager im spanischen Calpe. »Wir sind da einen Bergzug für ihn am Coll de Rates gefahren – und er war der Schnellste, schneller als die großen Profis von anderen Teams, die auch gerade da waren, schneller als Leute wie Tejay van Garderen oder Greg van Avermaet«, sagt Moberg – und selbst durch das Telefon glaubt man das Strahlen des dänischen Radsportexperten wahrzunehmen. Danach ging es recht schnell. Team Jumbo Visma wurde aufmerksam, beobachtete eine Saison lang noch die Fortschritte Vingegaards. Und nach Siegen am Mont Blanc und bei der Tour de l’Avenir in Frankreich holte der niederländische Rennstall zur Saison 2019 dann das Klettertalent aus Dänemark.

Als dessen größte Qualität nennt Moberg die Erholungsfähigkeit: »Er kann auch in der dritten Tourwoche die gleichen Watt pro Kilogramm treten wie in der ersten Woche.«

Knapp drei Wochen muss ganz Dänemark also noch abwarten, ob es den zweiten dänischen Toursieger nach Riis geben wird. Für Euphorie am Auftaktwochenende sorgte derweil ein anderer Landsmann: Magnus Cort Nielsen, bei der Teampräsentation noch ein Stimmungsaufheizer der Massen im Tivoli, legte auch mit Leistungen nach. Er holte sich als Ausreißer alle Bergpunkte der 2. Etappe und fährt im gepunkteten Trikot des Bergkönigs durch die Heimat. Ein rundum gelungener Auftakt also, in einem Land, das zwar nicht das Ursprungsland des Radsports ist, in dem die Liebe zum Zweiradsport aber rekordverdächtige Höhen erreicht.

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