Knochenmüll bis zum Platzen

Überraschung: Im Kapitalismus werden auch Lebensmittel möglichst billig hergestellt

Ausgerechnet die, denen man so etwas nun wirklich als Letzte zugetraut hätte, sollen Geflügelwurst aus minderwertigen und ekelerregenden Zutaten hergestellt haben. Betroffen sind Handelsmarken mit Namen wie »gut und günstig«, bei denen genauso mit hochwertigsten Zutaten gerechnet werden durfte wie bei den Produzenten. NDR und »Spiegel« nennen hier »Wiesenhof« und »immer wieder Tönnies«. Sie erinnern sich, das ist der Großschlachter mit den Corona-Ausbrüchen in der Schlachthelfer-Intensivhaltung, der seither nur noch 15 000 bis 20 000 Schweine pro Tag schlachtet und ethisch so was von geläutert ist, dass er sein Büro ökologisch-nachhaltig mit dem eigenen Heiligenschein ausleuchtet.

Es geht um »Separatorenfleisch«, das eigentlich nur verarbeitet werden darf, wenn es auf der Packung angegeben wird: Reste der Reste der Fleischverarbeitung also, bei denen kleinste Fetzen von Bindegewebe, Fett oder Sehnen, die noch an Knochen hängen, durch sehr feine Siebe gepresst werden. Dadurch entsteht ein Brei, dessen Handelspreis bei wenigen Cent pro Kilo liegt – und in die Wurst kommt.

Der Rest heißt Marktwirtschaft und ist das Wirtschaftssystem, auf das wir alle so stolz sind, dass wir es rund um die Uhr in Schulbüchern, Talkshows und Parlamenten lobpreisen lassen. »Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis«, »der Markt regelt alles von alleine«, »je billiger du produzierst, desto höher der Profit«, und nicht zu vergessen: »Freiheit«. Die Lebensmittelbranche hat vor allem Vorletzteres verstanden und packt so viel Billigkram (Palmfett, Zucker, Leckeres von der chemischen Industrie) in ihre Produkte, dass die Gewinne mindestens so adipös sind wie die Menschen, die den Fraß essen wollen oder müssen. Das Prinzip dahinter ist nichts Neues. Auch an Tankstellen, in der Pharmaindustrie und auf dem Wohnungsmarkt lassen sich auf Kosten der Allgemeinheit riesige Gewinne erzielen. Und die Herstellungskosten eines in Fernost produzierten Fantrikots liegen bei zwei, drei Euro. Verkauft werden sie in der Fußball-Bundesliga für 80 bis 120 Euro.

Nun ist nicht alleine der Kapitalismus Schuld an all dem, unser Verhältnis zu Lebensmitteln ist so pervertiert, dass die Industrie leichtes Spiel hat. Wer etwas mehr Geld für Essen und Trinken ausgibt, gilt in Deutschland als Snob. Teure Autos, Bildschirme und Urlaube hingegen gelten, sofern man sie sich leisten kann, als Selbstverständlichkeiten. Die gleichen Menschen, die bei Tauben oder Kormoranen zu wütenden Tierrechtlern werden, haben keinerlei hörbares Problem damit, dass Tag für Tag Millionen Schweine, Hühner und Puten nur aufwachsen, um für den Preiskampf an der Wursttheke gequält zu werden. Mein Problem mit Sahra Wagenknecht, deren Bereitschaft, selbstständig zu denken, ich grundsätzlich schätze, ist derzeit dann auch nicht, dass sie gerne gute Dinge wie Hummer isst. Ich hätte mich sogar sehr gefreut, wenn sie am vorletzten Wochenende ein paar Stunden bei einem schönen Menü verbracht hätte. Das wäre weit sympathischer gewesen, als wenige Minuten nach dem Ende des Erfurter Parteitags das Neueste vom eigenen Egotrip in die Mikrofone zu blasen und kundzutun, dass die frischgewählten Vorsitzenden (und damit auch die Mehrheit der Delegierten, die ja gerade für selbige gestimmt hatten) untauglich seien.

Was aber tun, wenn man gerade mal nicht viel Lust auf geschredderten Knochenmüll hat? Vielleicht einfach mal selbst kochen und dann merken, dass die Oma, die genau das noch jeden Tag getan hat, gesünder und billiger gelebt hat als wir Discounter-Menschen. Andererseits wird Privatismus alleine weder den Hühnern helfen noch den Menschen, die unsere Billigklamotten nähen. Da ist es doch erfreulich, wenn man weiß, dass der Kapitalismus auch sein Gutes hat. Das Allerbeste an ihm ist, dass er sich in ein paar Jahren selbst abgeschafft haben wird. Der Moloch frisst schließlich auf genau die Art und Weise Rohstoffe, wie es Mr. Creosote in Monty Pythons »Der Sinn des Lebens« tut. Auch der braucht nach dem hundertsten Teller nur noch ein klitzekleines Pfefferminzplätzchen. Dann platzt er.

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