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Zwergenaufstand

Ein antifaschistisches Kleingartenspektakel: Das Musiktheater »Miniathüringen« am Theaterhaus Jena

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwischen den Songs schildern die Zwerge den Konflikt
Zwischen den Songs schildern die Zwerge den Konflikt

»Gibt es in Thüringen wirklich nur Nazis und Perverse?«, fragt sich das Kollektiv Wunderbaum in ihrer aktuellen Inszenierung am Theaterhaus Jena zum letzten Mal. In den vergangenen vier Jahren näherte sich die niederländische Theatergruppe ihrer Umgebung an. Ob in die Kneipe »Zur Wartburg« in Jena oder die Kleingartenkolonie, ihre Erkundungstouren verarbeiteten sie in unterhaltsam verdichteten Theaterabenden, in denen soziologische Studie auf Spektakel trifft. »Miniathüringen« beschließt die Zeit unter der Kollektivleitung, die am Theaterhaus Jena alle vier Jahre wechselt. In dem Lehrstück, das die KulturArena Jena in diesem Jahr eröffnet, geht es darum, »wie die Leute verkackt haben – wie bei Brecht«.

Was wie ein Scherz für regelmäßige Theatergänger*innen daherkommt, rückt den Abend zurecht in die Nähe des epischen Theaters. Die Fabel ist in den Grundzügen bekannt: Brigitte – auch »Gulag-Gitti« genannt – gibt nach langen Jahren und vielen prüfenden Blicken ihr Amt als Vorstand der Kleingartenkolonie ab. Sie kontrollierte die Einhaltung des Bundeskleingartengesetzes und verteidigte so die Parzellen gegen Sonderkündigungsrechte und Immobilienumnutzung. Doch wer soll nun die Verantwortung übernehmen? Niemand stellt sich zur Wahl auf. Da rührt sich etwas jenseits demokratischer Beschlüsse. Torsten, ein kompetenter Mann mit Führungsqualitäten und arischem Profil, übernimmt Aufgaben in der Kolonie. Er nennt sich »Kommissarischer Vorstand«. Der Kleingärtner mit Hitler-Gartenzwerg möchte nun auch das Vereinslokal übernehmen. Bevor man in der Anlage die Petunien vor lauter NSU-Helfern nicht mehr sieht, schreiten die anderen Mieter*innen ein und verhindern, dass die Vereinsstruktur von rechts unterwandert wird.

»Wer seinen Kleingarten nicht pflegt, der überlässt Europa den Autokraten« – so die Moral der Geschichte, die auf einen Fall im Herbst vergangenen Jahres zurückgeht. Im Jenaer Gartenverein »Am Birnstiel« arbeitete Steven Schmied an der Übernahme von Gartenlokal und Vorstandsposition. Er habe »lange zurückreichende Kontakte in die Jenaer Naziszene um NSU-Helfer Ralf Wohlleben«, heißt es in einem Artikel des Rechercheportals Jena-SHK, das dort eindeutig antisemitische Äußerungen und nationalsozialistische Parolen versammelt, die er in den sozialen Medien verbreitet hat. Auch durch die öffentliche Aufmerksamkeit konnte Schmied als Vorstand verhindert werden, die schwarz-weiß-roten Flaggen bleiben trotzdem präsent in den Kleingartenanlagen Thüringens und anderswo.

Diese Geschichte um kollektives Fast-Versagen wird erzählt von den Gartenzwergen, die als teilnehmende Beobachter*innen zwischen den Hecken das Kleinbürgertum bezeugen. Ihr Auftritt ist spektakulär: Gezogen von einem Rasentraktor, purzeln die aufgedreht-bunten Figuren auf die Bühne. Die sie zu Beginn umgebende kindliche Fröhlichkeit verflüchtigt sich schnell, denn der Abend ist gespickt mit – zum Ende redundanten – Fick-Witzen. In einer energetischen Gruppenchoreografie starten die fünf Schauspieler*innen ihren Auftritt und singen: »Ich liebe meinen Garten. Alles, was ich brauche, ist hier.« Im Laufe des Abends wird die Handlung immer wieder von den unterhaltsamen Liedern unterbrochen, die von den Musikern Moritz Bossmann, Salim Bouamama, Wilhelm Hinkel und Thomas Schläfer quer durch alle Genres unterstützt werden.

Zwischen den Songs schildern die Zwerge den Konflikt, der – wie schon am Anfang verkündet – mit einem Happy End aufgelöst werden wird. Nicht der Ausgang, sondern der Gang der Handlung steht im Vordergrund, und der retardierende Charakter der Lieder, der den Abend in einzelne Episoden zerteilt, hilft, den Sog des Spektakels zu unterbrechen. Das Publikum steht auf, holt sich noch ein Bier, einige rufen ihre Meinung den Schauspieler*innen zu. Auch wenn die Stimmung ausgelassen ist und der Blick zuweilen abschweift, ist allen präsent, was dieses antifaschistische Kleingartenspektakel verhandelt. Opportunismus in der Parzelle führt nicht gleich zur Ausbreitung der Autokratie in Europa, aber zur Etablierung nazistischer Strukturen.

Damit es nicht zu ernst oder belehrend scheint, zerstreut das Kollektiv die bedrückenden Gefühle mit Feuerwerk und Publikumspartizipation. Clowneske Elemente, Mitmachaktionen und eine augenzwinkernde Haltung gegenüber den bearbeiteten Themen zeichnet Wunderbaum aus, die ihre Stückentwicklungen zusammen mit dem Ensemble erarbeiten. Für ihr Wirken am Theaterhaus Jena erhielten sie den Martin-Linzer-Theaterpreis 2022, den Michael Helbing, Redakteur der Zeitschrift »Theater der Zeit« und Alleinjuror, im Rahmen des Niederländischen Theatertreffens an sie überreichen wird. Dem Prinzip der niedrigen Hierarchien treu bleibend, übernimmt in der kommenden Spielzeit ein »Ensemble-Rat« das Haus. Der ständig wechselnde künstlerische Rat und der Umstand, dass die Mitarbeiter*innen des Hauses Gesellschafter der gGmbH sind, machen die Jenaer Bühne zu einem besonderen, wegweisenden Modell. Weder das Durchregieren eines Intendanten noch das kunstferne Diktat der Geschäftsführung kompromittieren die Theaterproduktion. Dadurch entstehen seit Jahren in der kleinen Universitätsstadt experimentelle und progressive Arbeiten, die in besonderem Maße mit ihrer Umgebung in Austausch treten und zugleich eine überregionale ästhetische Strahlkraft entwickeln.

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