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Geschätzt, aber nur geduldet
Kollegen setzen sich für aserbaidschanischen Flüchtling ein
Es gibt in Deutschland nahezu keine langfristigen Bleiberechtsperspektiven für Geflüchtete aus Aserbaidschan. Auch Samir Safarzade aus Neumünster hat es deswegen schwer. Immerhin wurde aber seine Abschiebung mit Stichtag 18. Juli nun gerade noch abgewendet. Arbeitskollegen wollten sich bei einer Demonstration für den 30-Jährigen einsetzen. Das Transparent mit der Aufschrift »Fachkräftemangel? Den Besten schieben wir ab!« blieb am Dienstag aber zusammengerollt.
Der Protest war nach dem Beschluss der Ausländerbehörde der mittelholsteinischen Stadt nicht mehr nötig. Die Behörde hatte die Duldung des bestens integrierten Flüchtlings um ein weiteres Jahr verlängert. Die aktuelle Duldung war ohnehin noch bis zum 23. September datiert. Umso willkürlicher erschien die zunächst angeordnete Abschiebungsverfügung.
Samir Safarzade spricht fließend Deutsch, hat in Neumünster seinen Hauptschulabschluss gemacht, eine Ausbildung als Koch abgeschlossen und eine feste Arbeitsstelle. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt also selbstständig und bezieht keinerlei Transferleistungen. Safarzade ist in der Küche des »Kiek In« beschäftigt. Das Haus wird als Jugendherberge, Internat, Volkshochschule und Veranstaltungszentrum genutzt. Safarzade wird hier geschätzt und ist beliebt. Der Plan, für sein Bleiberecht auf die Straße zu gehen, ging also nicht zufällig von seinen dortigen Kollegen aus. Rückendeckung bekamen sie außerdem von Organisationen wie dem DGB, der VVN-BdA und dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac.
Der Asylantrag Safarzades wurde im Jahr 2020 abgelehnt. Seitdem muss er mit einem jeweils befristeten Duldungsstatus und bleibender Ungewissheit Vorlieb nehmen. Im vergangenen Jahr hat er erklärt, nach seiner Einreise 2013 mit einem Touristenvisum falsche Angaben zu seiner Identität gemacht zu haben. Er machte sich jünger, um als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling registriert zu werden und dadurch womöglich Aufenthaltsprivilegien zu erhalten. Nach eigenen Angaben hat Safarzade sein Heimatland verlassen, um nicht zum Militärdienst herangezogen zu werden.
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Glück und Stolz über seine erbrachte Integrationsleistung wichen nun plötzlich der Angst. Denn Safarzade musste fürchten, dass er nach einer erzwungenen Rückkehr in sein Geburtsland Aserbaidschan womöglich direkt inhaftiert wird, weil er sich dem verpflichtenden Militärdienst entzogen hatte. Das »Kiek In« machte den Fall jetzt öffentlich und fragt, wie es um das Fingerspitzengefühl in der Ausländerbehörde bestellt ist. Dort argumentierte man bisher, die damalige Lüge Safarzades sei »nicht heilbar«.
Diese Tonlage widerspricht aber gerade den Bemühungen der Ampel-Koalition, ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht gesetzlich zu installieren. Zu den ersten Gratulanten für Safarzades zunächst positive Wende gehörte Tobias Bergmann, SPD-Oberbürgermeister von Neumünster. Der Sozialdemokrat macht sich nach eigenen Worten für eine Neubewertung des Falles in seiner Behörde stark.
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