- Politik
- Flut im Ahrtal
»Katastrophe ist nicht Kreisliga«
Der Polizist Andy Neumann hat zwei Bücher über die Flut im Ahrtal geschrieben
Ihr neues Buch, das die Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr zum Anlass hat, enthält ein Kapitel zum Klimawandel. Darin beziehen Sie sich auf den Club of Rome und die Grenzen des Wachstums. Was hat Ihnen das vor der Flut gesagt?
Andy Neumann ist Polizist beim Bundeskrimalamt. Dort beschäftigt er sich auch mit Großlagen wie Terroranschlägen. Neumann lebt im Ahrtal. Im letzten Jahr hat er mit »Es war doch nur Regen!?« einen "Spiegel"-Bestseller verfasst. In dem Buch beschreibt er die Erlebnisse seiner Familie in der Flutnacht und den folgenden Wochen. Pünktlich zum Jahrestag der Katastrophe erscheint mit »Vergiss mal nicht!« ein neues Buch, das politischer ist. Neumann macht sich darin Gedanken über Klimawandel, Katastrophenschutz und das Handeln der Entscheider.
Vor der Flut war mir das alles nur als Stichwort durch meinen besten Freund bekannt. Er ist sehr umweltaffin und hat oft darüber gesprochen. Daher kannte ich die Inhalte im Kern, habe mich aber nicht näher damit auseinandergesetzt, das muss ich zugeben. Angeregt durch meine Frau, versuchen wir schon länger, als Familie nachhaltig zu leben. Nach der Flut habe ich jedoch noch einmal ein ganz anderes Bewusstsein entwickelt. Ich fange gerade erst an, mich in die Themen einzulesen und will das noch intensivieren. Weil ich glaube, die Uhr läuft für uns einfach ab. Wir können versuchen, Katastrophen besser zu bewältigen, wir können uns strukturell besser aufstellen, aber die Frage, ob wir die Ursachenbekämpfen sollten, wäre ja durchaus als erste zu stellen.
Sie plädieren stark für persönlichen Einsatz zum Schutz des Klimas. Kann das ausreichen?
Ob das reicht oder nicht, das wird die Zeit zeigen. Ich glaube nicht, dass jeder bis zu seiner Schmerzgrenze gehen müsste, wenn wir uns nur alle verändern. Da ist die Politik natürlich auch gefragt, durch Subventionen usw. bestimmte Möglichkeiten anzubieten, wenn wir etwa über Photovoltaik oder E-Mobilität reden, damit die breite Masse mitmachen kann. Von der Politik gesamtgesellschaftliche Lösungen zu erwarten, die nur über Zwänge funktionieren könnten, das halte ich für überambitioniert, das wird nicht gehen. Es braucht eine größere Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen. Und selbst wenn wir hier in Deutschland mit Zwängen arbeiten würden, was ich für falsch hielte, würden wir am Rest der Welt scheitern. Es braucht eine Idee, der die Menschen folgen. Ob das dann nur mit Schmerzen, also mit noch mehr Naturkatastrophen geht – ich hoffe nicht. Ich wünschte mir, wir könnten vom Kleinen ins Größere die Menschen für mehr Nachhaltigkeit begeistern.
Bei einer Anhörung im Bundestag haben Sie kürzlich Reformideen für den Katastrophenschutz skizziert. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Meine Kernthesen sind relativ klar. Es muss aufhören, dass Katastrophe »Kreisliga« ist. Man muss klar benennen, was eine Katastrophe ist, was nicht in allen Bundesländern gemacht wird, und muss dann entsprechende Strukturen schaffen. Das geht bei den Kreisen los. Man braucht die Kräfte, man braucht Schulungen, man braucht Räumlichkeiten und man Übungen. Wenn es knallt, muss man vor Ort in der ersten Phase der Menschenrettung in der Lage sein, alles richtig zu machen. Das gilt besonders für die Führungsstrukturen, die Kräfte draußen leisten ja immer ein Maximum. Eine Ebene darüber müssen die Länder zumindest Landeskrisenstäbe bilden, bis hin zu Landesämtern für Katastrophenschutz, die sie in die Lage versetzen, Katastrophenschutz fürs ganze Land zu denken und auch einsatzfähig zu sein, wenn ein Ereignis ein Ausmaß annimmt, das ein Kreis allein nicht bewältigen kann, oder wenn mehrere Kreise gleichzeitig betroffen sind.
Welche Rolle soll der Bund spielen?
Der Bund sollte als treibende Kraft etabliert werden. Das geht nur über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Aus meiner Sicht muss man den radikalen Schritt gehen und das Grundgesetz ändern. Dann kann das BBK als Zentralstelle fungieren und, wie es das Bundeskriminalamt auch macht, konzeptionell in Vorleistung gehen, koordinieren und die Länder mitziehen. In letzter Konsequenz könnte das BBK bei länderübergreifenden Katastrophen selbst die Einsatzführung übernehmen.
Glauben Sie, dass etwas von Ihren Vorschlägen bei der Politik angekommen ist?
Ich wurde in einer Plenardebatte im Bundestag mehrmals zitiert, was mich sehr gefreut hat und auch hoffnungsfroh stimmt, da meine Thesen offensichtlich hängengeblieben sind. Außerdem habe ich festgestellt, dass sowohl bei den Sachverständigen als auch bei den Fraktionen alle unterm Strich einig waren, dass es nicht bleiben kann, wie es ist. Natürlich mit politischen Absichten dahinter und ein bisschen Blame Gaming. Aber es wurde ausdrücklich festgestellt, dass das Thema dauerhaft begleitet und weiterentwickelt werden soll.
Wie bewerten Sie, was bisher an Veränderungen im Katastrophenschutz angestoßen wurde?
Naja, es ist bislang faktisch gar nichts geändert. Da fällt eine Bewertung schwer. Ich fand es sehr interessant, dass ein Abgeordneter in der Anhörung aus einem Evaluationsbericht zum Elbhochwasser 2002 zitierte. Das ist 20 Jahre her, und wenn man nur den Text und die darin geschilderten Probleme gehört hat, hätte man es auch für einen aktuellen Bericht halten können. Das ist schon einigermaßen erschreckend.
Zum Abschluss: Wie sieht es aus Ihrer Sicht gerade im Ahrtal aus?
Sehr durchwachsen. Wir haben unglaublich viel Licht und Hoffnung, auch viel Wiederaufbauwillen und tatsächlichen Wiederaufbau, der schon erledigt ist. Aber es gibt Menschen gibt, die noch immer vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, bei denen sich bis heute nichts getan hat. Dass es die Landesregierung nicht geschafft hat, sich darum zu kümmern, das ist für mich einer der größten Skandale. Aus diesem epochalen Versagen kommt die Landesregierung aus meiner Sicht nicht raus. Dass Menschen wie ich, die versichert sind und einen breiten Freundeskreis haben, gut vorankommen, ist eine Binsenweisheit. Aber es gibt auch Menschen, die vielleicht alt oder krank sind, die kaum Angehörige haben, die vielleicht nicht versichert waren. Die fühlen sich alleingelassen, und manche sind auch tatsächlich alleingelassen. Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Und es spielt keine Rolle, ob das einen Menschen betrifft oder 100. Jetzt, ein Jahr nach der Flut, dürfte es nicht einen einzigen solchen Fall mehr geben.
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