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Kampf der Kulturen zwischen England und Spanien

Wuchtige Engländerinnen treffen im Viertelfinale der Europameisterschaft auf spielende Spanierinnen

  • Frank Hellmann, Brighton
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem 0:0 im Februar wollen die Engländerinnen um Ellen White (v.) jetzt Spanien mit Maria Leon bezwingen.
Nach dem 0:0 im Februar wollen die Engländerinnen um Ellen White (v.) jetzt Spanien mit Maria Leon bezwingen.

Die notorisch unruhige Stadt Brighton hat eigentlich alle Zutaten für ein stimmungsvolles Fußballfest bei dieser Europameisterschaft in England. Unmengen netter Pubs, in denen Dart gespielt, Bier getrunken und Sport geschaut wird. Eine Gay-Szene, die Abertausende Menschen anzieht. Internationales Publikum, das sich auf der riesigen Strandpromenade nicht ins Gehege kommt. Und Heerscharen junger Studenten, die sich offen für die vielen Touristen zeigen, die bei längeren Aufenthalten mehr als nur die berühmte Seebrücke sehen wollen.

Es war also wohl kalkuliert von Englands Verband, dass dessen Fußballerinnen hier zunächst ihr wichtigstes Gruppenspiel gegen Norwegen absolviert haben: Der 8:0-Torrausch gegen die völlig zerstrittenen Skandinavierinnen kam wie eine riesige Welle daher, die Ada Hegerberg und Co. einfach überspülte. Und genauso soll es im Falmer Stadium auch im Viertelfinale gegen die Spanierinnen an diesem Mittwochabend beim zweiten Auftritt der Gastgeberinnen in Brighton aussehen, nachdem »Three Lionesses« eine Vorrunde mit drei Siegen und 14:0 Toren hingelegt haben.

Doch vielen kommt es so vor, als sei die angekündigte Schlechtwetterfront schon zuvor aufgezogen. Im Lensbury Resort, dem englischen Teamquartier in Tedington, herrscht eine angespannte Stimmung, seit Nationaltrainerin Sarina Wiegman am vergangenen Wochenende positiv auf Corona getestet worden ist. Ausgerechnet die Niederländerin, die mit bemerkenswerter Coolness den Siegeszug in bester Anlehnung an ihren Heimtriumph 2017 mit den »Oranje Leuwinnen« orchestriert hatte, muss sich isolieren.

Teambesprechungen wurden zudem ins Freie verlegt, Medientermine abgesagt. Das drückt auf die Stimmung. Immerhin haben die Tests bislang ergeben, dass es trotz Wiegmans Kontakten zu anderen Mitgliedern des Betreuerstabs wohl zu keinem Massenausbruch gekommen ist. »Ich fühle mich gut und stehe in den Startlöchern, aber ich muss warten. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben«, sagte Wiegman am Dienstag. Sollte ihr Coronatest am Spieltag nicht negativ ausfallen, wird sich die 52-Jährige von ihrem Assistenten Arjan Veurink vertreten lassen, wobei die kluge Taktikerin Wiegman unbedingt vor, während und nach dem Spiel mit dem gesamten Trainerstab in Kontakt bleiben will.

Sie weiß schließlich genau, dass ihr Team mit einer erstaunlich sicheren Torhüterin Mary Earp, einer bislang fehlerlosen Abwehrchefin Millie Bright, der mit fünf EM-Toren überragenden Flügelspielerin Beth Mead und der Rekordtorschützin Ellen White gegen die Spanierinnen auf viel mehr Widerstand treffen wird als gegen Österreich, Norwegen oder Nordirland. »Spanien hat eine sehr gute Mannschaft. Aber die haben wir auch.«

Dennoch wird dieses Viertelfinale der Lackmustest für die Leistungsstärke, wenn die Engländerinnen eben nicht ständig im Vorwärtsgang ihr dynamisches Flügelspiel durchbringen können. Es kündigt sich ein Kampf völlig unterschiedlicher Fußball-Kulturen an. So reist auch der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund, Joti Chatzialexiou, an die englische Südküste, wobei der 46-Jährige erwartet, dass es ein langer Abend inklusive Verlängerung und Elfmeterschießen werden könnte. Für ihn zählen die Spanierinnen neben England, Deutschland und Frankreich aufgrund ihrer spielerischen Qualitäten immer noch zu den absoluten Topteams dieser Europameisterschaft. Und damit auch als möglicher Anwärter für das Finale in Wembley.

Doch nach den Ausfällen von Weltfußballerin Alexia Putellas und Rekordtorjägerin Jennifer Hermoso fehlt der Punch in letzter Instanz, was zuvor schon ein Problem des Teams von Trainer Jorge Vilda darstellte. Beim 1:0 gegen Dänemark passte sich die »Seleccion« gepflegt die Bälle zu, aber der Zug zum Tor fehlte wie schon zuvor beim 0:2 gegen Deutschland teilweise völlig. Es ist fast schon grotesk, wie Vildas über die Jahre sorgsam zusammengepuzzelte Auswahl bei dieser EM die Tore erzielt hat: viermal mit dem Kopf, einmal per Elfmeter.

»Es ist seltsam, weil wir klein sind, aber es ist gut für uns, dass wir mehr Möglichkeiten haben, Tore zu erzielen, auch mit dem Kopf«, sagte Aitana Bonmatí, die sich in Abwesenheit der beiden Starspielerinnen zu einer dominierenden Figur entwickelt hat. Noch immer ist Spanien bei keinem großen Turnier ins Halbfinale gekommen. England hat hingegen bei der WM 2015, der EM 2017 sowie der WM 2019 bereits die Viertelfinalhürde übersprungen.

Vilda aber will sich davon nicht beeindrucken lassen: »Natürlich wird dies das bisher härteste EM-Spiel angesichts des Niveaus, auf dem England spielt – und sie sind der Gastgeber, mit den Fans im Rücken. Aber das ist etwas, das uns motiviert.« Der 41-Jährige versicherte: »Wir mögen Herausforderungen.« Er scheint gewillt, den Partycrasher zu spielen, damit in Brighton wenigstens mal eine Nacht Ruhe herrscht.

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