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Die Angst vor der Zeitmaschine
US-Repräsentantenhaus verabschiedet Gesetzesentwurf zum Schutz der »Ehe für alle«
Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete am Dienstag einen Gesetzesentwurf zum Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe. Für den »Respect for Marriage Act« stimmte eine breite Mehrheit von 267 Ja-Stimmen bei 157 Gegenstimmen, fast ein Viertel der Republikaner stimmten mit ihren demokratischen Kollegen mit Ja. Falls diese überparteiliche Zusammenarbeit im Senat fortgeführt wird, würden gleichgeschlechtliche Ehen künftig kraft Bundesgesetz geschützt – auch wenn das Oberste Gericht das Recht auf solche Vermählung auf ähnlich spektakuläre Weise kippen sollte wie zuletzt im Falle Roe vs. Wade das Recht auf Abtreibung.
Zwar hat der leitende Richter Samuel Alito in seiner Urteilsbegründung zu Roe vs. Wade erklärt, dass diese Entscheidung keine Auswirkungen auf andere Gesetze haben solle. Sein Kollege Clarence Thomas stellte allerdings in Aussicht, künftig auch das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe auf den Prüfstand zu stellen. Dieses Recht hatte das US-Verfassungsgericht 2015 in der Entscheidung Obergefell vs. Hodges abgesichert. Auch Alitos Urteilsbegründung öffnet weiteren Einschränkungen Tür und Tor. Demnach könnten alle Gesetze, die nicht der ursprünglichen Sprache und Gedankenwelt der Verfassung aus dem Jahr 1787 entsprechen, für tendenziell hinfällig gehalten werden. Das Gericht argumentiert nicht komplex, sondern agiert als eine Art Zeitmaschine.
Jetzt, da der Kollateralschaden vor den Augen der Wähler so präsent ist, wollen sich die Demokraten als Partei der sozialen Moderne positionieren. Sie wissen, dass ein Großteil der Bevölkerung in dieser Frage eine andere Meinung hat: 71 Prozent der US-Amerikaner befürworten laut Umfragen die gleichgeschlechtliche Ehe, unter republikanischen Wählern sind es 55 Prozent. Deswegen überrascht es wenig, dass prominente Republikaner wie Liz Cheney oder Elise Stefanik in Sachen Homoehe gemeinsam mit den Demokraten stimmten. Selbst aus den Südstaaten kam Unterstützung: Die Republikanerin Nancy Mace aus South Carolina twitterte nach ihrer Ja-Stimme: »Wenn homosexuelle Paare genauso glücklich oder unglücklich verheiratet sein wollen wie heterosexuelle Paare, dann sollen sie das ruhig tun. Glauben Sie mir, ich habe es mehr als einmal versucht.« Die Parteiführung ließ den Abgeordneten in der Entscheidung freie Wahl.
Selbst republikanische Hardliner wie Ted Cruz aus Texas spürten offenbar Gewissenskonflikte. In einem Podcast bezeichnete Cruz die Gerichtsentscheidung Obergefell vs. Hodges zwar als »sträfliche Vernachlässigung« von 200 Jahren amerikanischer Geschichte – er warnte aber vor einer Aufhebung des Gesetzes. Die Auflösung bestehender Ehen und Familien wäre »mehr als nur ein bisschen chaotisch«. Und auch Republikaner, die wie der Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy aus Kalifornien, gegen den »Respect for Marriage«-Akt gestimmt haben, argumentierten eher verhalten: Für die Wähler seien andere Themen wichtiger.
Sollte der »Respect for Marriage Act« nicht verabschiedet werden, könnte das Oberste Gericht das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe kippen und auch hier die Gesetzgebung in die Hände der Bundesstaaten legen. Aktuell sind Homoehen in 30 Bundesstaaten nicht explizit erlaubt. Das heißt, sie werden nicht geschlossen, müssen aber kraft Obergefell vs. Hodges anerkannt werden. Ohne dieses Recht könnte die Anerkennung für bereits geschlossene Ehen wegfallen. Dieses Szenario lässt offenbar selbst hart gesottene Republikaner vor der eigenen Zeitmaschine erschrecken.
Sollte sich die im Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetzgebung auch im Senat durchsetzen, wäre der »Defense of Marriage Act« hinfällig, der die Ehe für Mann und Frau reservierte, ebenso wie andere alte Gesetze, die auf Landesebene weiterhin gelten, etwa das Verbot sogenannter mixed-race marriages (Ehen zwischen weißen US-Amerikanern und Schwarzen und Indigenen Menschen und Personen of Color). Der demokratische Fraktionschef im Senat, Chuck Schumer, begrüßte die Novellierung, gab aber keine Abstimmungspläne vor den Zwischenwahlen im November bekannt. Dann wählen die USA einen neuen Kongress und Teile des Senats. Auch der Fraktionsvorsitzende der Republikaner, Mitch McConnell, hat noch nicht zu erkennen gegeben, ob er eine solche Wahl freigeben würde. Um das Gesetz im Senat zu verabschieden, müssten mindestens zehn Republikaner dem Entwurf zustimmen.
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