• Kultur
  • Nachruf auf Dieter Wedel

Durchstreichen, weitergehen?

Zum Tode des Fernseh- und Festivalregisseurs Dieter Wedel

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Nachrufe in einem Feuilleton sind kein Verschönerungsverein, sondern Versuch, aus der Unmittelbarkeit eines Todes Gegenwartsdeutung zu versuchen: Was bleibt? An Zumutung oder Anmutung? An Stoff für Bildung und Herzensbildung? Nachruf ist Selbstanrufung, so, wie Erinnerung generell auffordert: Frag nicht, was war; frag, was ist! Fälle gibt es, in denen eine moralische Empörung zur Stunde der kulturlosen Vereinfacher wird, nach Art des Strindberg’schen Festungshauptmanns im „Totentanz»: die störenden Dinge „durchstreichen und weitergehen!» Dieter Wedel ist so ein Fall.

Er war einer der Großen deutscher Fernsehgeschichte. Der Tod beklagenswert, der Mann am Ende anklagenswert. Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, das zuständige Münchner Gericht meldete den Tod des 82-Jährigen, dessen Prozess nun nicht stattfinden wird. Verehrung und Verachtung stoßen sich hart im Raum. Dieser Raum, das kann man so sagen, sind sehr viele Leute. Verstricker und Verstrickte, ein Leib- und Seelenknäuel.

Der Autor und Regisseur war einer der erfolgreichsten Fernsehromanciers: „Der große Bellheim», „Der Schattenmann», „Die Affäre Semmeling». Wirtschaftwunder, Aufstiegsträume, Ordnung des Staates und Wildnis antibürgerlicher Visionen – seine Filme verbanden auf brillant fließende Weise Story und Sinn, Sozialkern und Spannungsblüte. Ein Perfektionist – aber auch Plagiator. Denn die Seelenverwandtschaft mit der schillernden Einfangkraft des US-Films ließen ihn unbedenklich Anleihen bei Coppola, Scorsese, Stone und Allen nehmen; Strafzahlungen minderten nicht seinen leidenschaftlichen Schwung bei Aneignung und Adaption.

Wenn ich an Wedel denke, dann zuerst an eine wirkliche Schauspielerschaft. Er hat sie zu auffälliger Größe entworfen, er bestrich ihre Aura mit Hollywood-Glitzer: Leslie Malton, Stefan Kurth, Julia Stemberger, Heinz Hoenig, Veronica Ferres, Ulrich Tukur, Jennifer Nitsch oder Heiner Lauterbach. Hilmar Thate, im Mehrteiler „Der König von Sankt Pauli»: Sein breites Lachen hat malmende Kraft. Seine gedrungene Wucht verströmt proletarische Grazie, kämpferische Romantik. Ein Bruder Baals, aber einer, der uns zeigt, dass auch Zügelung, Gefasstheit und also just jene Spannungen, die unaufgelöst bleiben, eine große Sinnlichkeit besitzen. Wedels Regie in Hochform.

Oder Mario Adorf, bei den Nibelungen-Festspielen vor dem Dom zu Worms. Die begründete er mit Wedel. Dessen monomanische Intendanz jedoch trieb den sprengenden Keil in die Beziehung. Adorf gab den Hagen von Tronje, dieses mythendeutsche Inbild der plankalten Schurkerei. Mitten im Sommer-Spektakel der überzeugende Einblick in eine nahezu hochmoralische Schlitterpartie ins Abgründigste. Das Verbrechensfähige im Rationalisten: zum Erschaudern menschlich. Wedels Regie, wieder in Hochform. 

Auch Dieter Mann vom Deutschen Theater spielte später den Hagen in Worms. Unter der staatsmännischen Etikette die harte Haut des Soldaten, der kein Kriegsende kennt. Mit einem Fußtritt schloss er den Deckel von Siegfrieds offenem Sarg. Mann – folternd selbstbeherrscht, als wolle er jede Sekunde zur Dauer dehnen – entfaltete einen kleinen Kosmos aus Widersprüchen, die so sanft ineinanderflossen, als sei nichts natürlicher als der gemeinsame Pakt von Güte und Grausamkeit. Wedels Regie: erneut in Hochform.

Aber eben auch dies: „Ich erlebte ihn als einen Eitelkeitstyrannen. Ständig befasst mit Regentschaft. Einen der Schauspieler putzte er derart herunter, dass ich ihn unterbrach und forderte, ein Mindestmaß an Anständigkeit und Fairness ein- und die Arbeit bitte nicht aufzuhalten. Ziemliche Funkstille dann für den Rest der Zeit. Das war nicht meine Welt.» So Dieter Mann in Gesprächen, die ich mit ihm für das Porträtbuch „Schöne Vorstellung» führte, 2016. Immer ist die Luft voller Anzeichen, ehe sie uns vor Erschrecken wegbleibt.

Wedel war unberechenbar, hochempfindlich. „Kunst ist eine Art Intensivstation für die Seele», sagte er vor Jahren im nd-Interview. Er amputierte die Widerstandsorgane anderer – und die ließen es geschehen, weil es dazu diente, das gelingende Wesen Aufführung zu erschaffen. Ein Endgültigkeitswühler. Der wusste: Ins Feuer kann man fasziniert starren, ins Eis nicht. Also befeuerte er, glühte, frostkalt im Ego.

Als er 2015 die Leitung der Bad Hersfelder Festspiele übernahm, überzeugte er mit drei Stunden „Martin Luther – der Anschlag», einer dramatischen Collage: Wie lässt sich angesichts der Übel dieser Welt noch die Existenz Gottes beweisen, schon gar dessen Allmacht? Gott: eine Missbrauchsgeschichte. Denn was jeweils rebellisch zur Welt kam, war nie der neue Gott, nie eine siegreiche vernünftige Idee, nicht die volkstiefe Läuterung, sondern nur immer, unter wechselnden ideologischen Hebammen, eine weitere kriminelle Fehlgeburt.

Die Vorwürfe gegen Wedel sind das Zeichen, das über ihn hinausweist: Wie viel Verschweigen ringsum – und warum? Weil Erfolg der wirksamere Gesetzgeber ist. Und Wedel hatte Erfolg, in dem viele ihren Sonnenplatz hatten. Keiner lässt doch seine guten Aussichten gern im Stich. Zudem in einem Gewerbe, in dem die Scheinwerfer täglich Gauklers Haut zerfetzen; er bietet sie lustvoll feil, und das Publikum klebt kein Pflaster darüber.

So bleibt dieser prägende Künstler Teil einer Reihe, sagen wir: von Genet bis Kinski, die davon erzählt, dass Talent und Charakter nicht unbedingt Verwandte sind. Mitunter werden wir mit Werken belohnt, deren bedenklicher Preis Mahnung bleibt: Halte dich, moralsicher, niemals für unanfechtbar. Du magst gewinnen noch und noch – irgendwann stehst du mit irgendeiner Kläglichkeit mitten im Universum, allein. Ehrgeiz zum Beispiel: Das ist Angst, die nach vorn flieht, wo die gerechte Bestrafung wartet. So jedenfalls die Hoffnung der Opfer.

Erzählten davon nicht letztlich auch die Arbeiten Wedels? System gegen Seele. Bitter, dass diese Wahrheit, die Teile seines Werkes so glänzend machte wie Edelmetall, am Ende eine Rostspur über sein Leben zog.

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