Fatale Abhängigkeit von der Atomkraft

Auch Deutschlands Photovoltaik rettet Frankreich aktuell vor dem Blackout. Sie produziert mehr Strom als dortige AKW

  • Ralf Streck, Hendaye
  • Lesedauer: 4 Min.

In Deutschland wird aktuell darüber debattiert, kein Gas mehr zur Stromerzeugung einzusetzen. Gleichzeitig werden derzeit aber auch hierzulande Gas und Kohle verstromt, um Frankreich vor dem Blackout zu retten. Der Atompark ist altersschwach und von Korrosion geplagt. Derzeit ist die Hälfte der 56 französischen Atomkraftwerke wegen Wartungsarbeiten und technischer Probleme abgeschaltet. Nun kommen auch noch die Hitzewelle und die Dürre hinzu, die dafür sorgen, dass Kühlwasser fehlt, da die Flüsse zu warm sind und wenig Wasser mit sich führen. AKW haben in Frankreich einen Anteil von 70 Prozent am Strommix.

»Ist nicht cool«, titelt die französische Tageszeitung »Liberation« zur Tatsache, dass Atomkraftwerke die Gewässer künftig auch noch zusätzlich aufheizen dürfen. Notmaßnahmen angesichts der Hitzewelle beinhalten, dass Umweltvorschriften für die Einleitung von Kühlwasser in längst zu warme Gewässer »vorübergehend« gelockert werden, um den Weiterbetrieb von Meilern zu ermöglichen. Schon nach der Hitzewelle 2003 waren die Grenzwerte verwässert worden. Nun wurden sie weiter gelockert, um Atommeiler nur herunterzuregeln, sie aber nicht abschalten zu müssen.

Dies wurde bisher schon vier Kraftwerken genehmigt. Die sollen auf einem »minimalen Leistungsniveau weiterarbeiten«, heißt es im verabschiedeten Erlass. Zum Beispiel die vier Reaktoren in Bugey dürfen nun weiter Kühlwasser entnehmen und aufgewärmt wieder in die Rhone einleiten, solange die Erwärmung nach der Vermischung der Abwässer »im Tagesmittelwert drei Grad Celsius nicht überschreitet«. Die Atomaufsichtsbehörde ASN hatte Ausnahmegenehmigungen bis zum 8. August auch für die Kraftwerke Golfech (Département Tarn-et-Garonne), Blayais (Gironde) und Saint-Alban (Isère) beantragt. Genehmigt werden sie, »wenn es für das reibungslose Funktionieren des Stromnetzes notwendig ist«, unterstreicht der Stromkonzern EDF. Es gehe um »die Aufrechterhaltung eines Mindestleistungsniveaus« der Kraftwerke, um die »Sicherheit des Stromnetzes zu gewährleisten«. Trotz allem bleiben von theoretisch 4 Gigawatt (GW) Leistung zum Beispiel in Bugey nur 900 Megawatt übrig.

Damit räumt EDF letztlich ein, dass wirtschaftliche und nicht Umweltbelange im Vordergrund stehen. Was der Energiekonzern, der wegen explodierender Schulden nun vollständig verstaatlicht werden soll, nicht sagt, ist, dass es beim Umweltfrevel auch darum geht, Geld zu sparen. Die EDF-Schulden dürften im laufenden Jahr auf mehr als 60 Milliarden Euro ansteigen, wird geschätzt. Das hat auch damit zu tun, dass die steigenden Strompreise im Wahljahr von der Regierung gedeckelt wurden. Zwar kann so das energiepolitische Märchen vom billigen Atomstrom aufrechterhalten werden, doch die Schulden werden den Verbrauchern nun über den Staatshaushalt aufgeladen.

Von maximal 64 Gigawatt Atomstromleistung im ganzen Land waren am Donnerstag nur 25 GW übrig, also etwa 40 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland erzeugt über Photovoltaik aktuell zeitweilig mehr Strom als alle französischen Atomkraftwerke zusammen. In Frankreich kämpft man daher um jedes Megawatt. Die Bevölkerung wird, wie zuletzt schon im Frühjahr, zum Stromsparen aufgerufen, um den Blackout abzuwenden.

Erneut macht der Klimawandel deutlich, dass Atomkraft schon wegen Kühlproblemen nicht die Lösung der Energieprobleme ist. Schon 2019 mussten in Frankreich deshalb zehn Prozent der Leistung heruntergeregelt werden. In diesem Jahr wurde diese Maßnahme sogar schon im Frühjahr notwendig. Richtig eng könnte es aber auch im Winter werden, wenn in der Spitze bis zu 100 GW gebraucht werden und Photovoltaikstrom aus Deutschland nur begrenzt fließen kann.

Derweil muss Frankreich zudem wieder viel Strom teuer im Ausland einkaufen und treibt damit die Preise an den Strombörsen weiter hoch. Das Atomkraftland hängt – wieder einmal – am europäischen Tropf, damit sein Netz nicht kollabiert. Der Atomexperte Mycle Schneider schätzt, dass Frankreich in der Spitze »11 GW von allen Nachbarn« importiert, »mehr als 30 Prozent aus Deutschland wie mitten im Winter«. Deutschland stabilisiert Frankreich auch mit Photovoltaikstrom, was deutsche Verbraucher besonders teuer zu stehen kommt: Erstens halten wir Reservekapazitäten bereit, die Frankreich fehlen; und Stromkunden bezahlen auch hier hohe Preise, weil die erratische französische Energiepolitik die Preise sogar im Sommer hochtreibt, wo eigentlich viel billiger Strom aus Solaranlagen bereitsteht.

Doch französische Politiker reden weiterhin gern davon, dank der Atomkraftwerke unabhängig von russischem Gas zu sein. Nur verstromen andere russisches Gas, um Frankreich aus der Patsche zu helfen. Die Energiewende werde dank der Atomkraft gelingen, fabuliert zudem Premierministerin Élisabeth Borne weiter. Dabei ist der Traum von der AKW-Renaissance längst zum Albtraum geworden. Frankreichs einziger Neubau in Flamanville in der Normandie an der Atlantikküste sollte eigentlich seit zehn Jahren Strom liefern, verbrennt aber weiterhin nur viel Geld. Statt geplanten 3,3 Milliarden Euro sind die Kosten auf 20 Milliarden Euro explodiert. Viele mit erneuerbaren Energien betriebene Anlagen hätte man damit errichten können – und die hätten seit vielen Jahren Strom produzieren können.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -