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- Klimaaktivismus
Freiheit für Autos statt Zukunft für Kinder
Die Eltern gegen die Fossilindustrie »bedanken« sich bei der FDP für das Ausbremsen der Verkehrswende
Niemand bremst so gern wie die FDP. Wenn es um die Verkehrswende geht, um ein Tempolimit oder um das Verbot von Verbrennermotoren. Vollgas geben die Liberalen dafür beim A100-Ausbau oder bei Pendler*innenpauschalen. Das gilt es zu feiern. Denn: »Wollen wir wirklich die Autolobby zerstören für die Zukunft unserer Kinder?«, fragt Jörg Finus die knapp 30 Partygäste, die sich am Freitagnachmittag mit Sekt und Luftschlangen vor der Bundesgeschäftsstelle der FDP in der Reinhardtstraße in Mitte eingefunden haben. Finus steht im Anzug auf dem Dach seines silbernen VW, und auch die anderen Eltern gegen die Fossilindustrie, die zu der Aktion eingeladen hatten, haben sich zu dem Anlass schick gemacht.
In Wirklichkeit halten sie »dieses Gerede über Freiheit« natürlich für »blanken Egoismus«, wie Petra Nielsen dem »nd« sagt. Sie und ihre fünf Mitstreiter*innen, die sich über die Parents for Future kennen und die Eltern gegen die Fossilindustrie gegründet haben, um auch mal ungehorsamere Aktionen zu machen, wollen an diesem Tag allerdings zeigen, dass Klimaaktivismus auch Spaß machen kann. »Wir haben das Image als Spaßbremsen und wollten mal was Lustiges machen, das man von Eltern nicht erwartet«, sagt Nielsen. Zum Beispiel ein Auto in der Einfahrt der FDP-Zentrale parken und mit bunten Fingerfarben Slogans wie »Freiheit für Autos« oder »Lindner for President« daraufschreiben. Als nächstes klettert Klimaaktivist Tadzio Müller aufs Autodach und klagt: »Autofahrer werden heutzutage diskriminiert, so wie früher die Schwulen!«
Jörg Finus setzt sich eine Volker-Wissing-Maske auf und wirft, den Bundesverkehrsminister mimend, Spielgeldscheine auf die Umstehenden, die sich VW-, BMW- oder Mercedes-Schilder angesteckt haben und »Scheiß aufs Klima!« brüllen. »Der Tankrabatt hat die deutschen Steuerzahler drei Milliarden Euro gekostet und das ist auch gut so«, erklärt Petra Nielson, als sie ans Mikro tritt. Das Beste daran sei, dass das Geld nicht bei Geringverdiener*innen, sondern vor allem bei den Leistungsträger*innen gelandet sei, die dicke Autos volltanken müssen, und bei den armen Ölkonzernen, die mit steigenden Preisen zu kämpfen hätten. Das reiche aber noch nicht: »Wir fordern das Tankticket: Neun Euro zahlen und den ganzen Monat unbegrenzt tanken!«, ruft die junge Mutter zum Abschluss ihrer Rede.
Aber auch die Berliner SPD steht verkehrswendetechnisch auf der Bremse: »Wir waren sehr enttäuscht, dass das Volksbegehren ›Berlin autofrei‹ abgewendet wurde«, sagt Sofia Rodriguez dem »nd«. Petra Nielson wünscht sich für ihre fünf- und ihre dreijährige Tochter vor allem Sicherheit auf Berlins Straßen, längere Grünphasen der Ampeln, mehr Spielstraßen und allgemein mehr Grünflächen an Stelle von Straßen und Parkplätzen. Viele Eltern würden ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren, weil sie das sicherer finden, »aber machen den Schulweg dadurch für alle anderen Kinder unsicherer«, kritisiert sie. Nielson hat selbst keinen Führerschein und findet es »absolut machbar«, sich in Berlin mit Kindern ohne Auto fortzubewegen.
Zum Ende der Aktion wird es emotional: Als Eltern müsse man darauf vertrauen, dass die ganze Gesellschaft auf die Kinder aufpasse, sagt Marit Schatzmann. Sie sei wütend, »dass ihr dieses Vertrauen jeden Tag mit den Füßen tretet, ihr Schweine«, brüllt sie unter Applaus in Richtung FDP-Zentrale, von der sich trotz des Trubels allerdings niemand blicken lässt. Außerdem sei sie sauer darüber, dass nicht ehrlich über die Konsequenzen der autofreundlichen Verkehrspolitik für das Klima gesprochen werde. »Das gibt mir als Mutter das Gefühl, ich muss mein Kind in einer unwürdigen Gesellschaft aufwachsen lassen. Das ist verdammt schwer«, findet Schatzmann. Deshalb wollen die Eltern gegen die Fossilindustrie auch zivilen Ungehorsam leisten, für die Zukunft ihrer Kinder. Die Zukunft der Autos wurde nun ja bereits gebührend gefeiert.
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