Zu wenig Respekt vor dem Mahnmal

Vertreter von Sinti und Roma kritisieren Planungen für S-Bahn-Tunnel

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 6 Min.
Für manche Angehörige ermorderter Sinti und Roma ist das Mahnmal wie eine Grabstätte.
Für manche Angehörige ermorderter Sinti und Roma ist das Mahnmal wie eine Grabstätte.

»Es ist wichtig, dass wir Verbündete haben, auch Nicht-Roma darüber sprechen und solidarisch sind«, sagt Hristo Kyuchukov vom Roma Zentrum für interkulturellen Dialog am Freitagabend im »About Blank« nahe des Ostkreuzes. Eingeladen wurde, um über den Schutz des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Zusammenhang mit dem Bau der sogenannten »City-S-Bahn« zu diskutieren. Seit Pläne für die Trassenführung im Tiergarten 2020 bekannt wurden, fürchten Angehörige der Minderheit um das Denkmal.

Die S21 wird zunächst vom nördlichen Ring zum Hauptbahnhof führen. Von dort soll sie anschließend im zweiten Bauabschnitt bis zum Potsdamer Platz verlängert werden. Pläne, nach denen direkt neben dem Denkmal eine Baugrube für einen Tunnel begonnen hätte, sorgten vor zwei Jahren für Kritik. Die mittlerweile von der Bahn angedachte Variante sieht vor, dass auf dem Gelände selbst nicht in offener Bauweise gearbeitet wird. So könne die Oberfläche unangetastet und der Zugang durchgehend möglich bleiben. »Außerdem kann auf eine von ursprünglich zwei geplanten Baugruben in direkter Nähe zum Denkmal verzichtet werden«, erklärt ein Bahnsprecher gegenüber »nd«.

Das von dem Künstler Dani Karavan konzipierte Denkmal besteht aus mehreren Arbeiten. Zentrales Element ist das runde Wasserbecken mit seinem schwarzen Granitboden, in dessen Mitte sich eine Wildblume befindet, die täglich durch das Absenken einer Stele unterirdisch ausgetauscht wird. Der dafür nötige Versorgungstunnel würde durch die Arbeiten an der S-Bahn-Linie ebenso berührt werden und müsste zunächst an anderer Stelle neugebaut werden, um den Austausch durchgängig gewährleisten zu können.

Das Denkmal erinnert an den Porajmos, den Völkermord an den Sinti und Roma. Für manche ist es auch ein symbolischer Grabort. »Mein Vater, meine Mutter, meine Schwestern und mein kleiner Bruder wurden in Vernichtungslagern der Nazis ermordet und haben kein Grab, an das ich gehen und Blumen legen könnte«, sagte der niederländische Überlebende Zoni Weisz im vergangenen Jahr als er eine alternative Routenführung der S21 forderte. Jana Mechelhoff-Herezi von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, welche die vier Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel verwaltet, befürchtete am Freitag, dass die Baustelle eine massive Lärmbelästigung darstellen werde. »Über Jahre wäre so ein würdiges Gedenken nicht vorstellbar.«

Anders hatte sich im vergangenen Jahr Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, geäußert, nachdem die Deutsche Bahn in Gesprächen von den ursprünglich angedachten Eingriffen abwich. »Es muss aber doch uns allen klar sein, dass der öffentliche Nahverkehr in Berlin dringend ausgebaut werden muss – und dass es uns vorgehalten werden würde, wenn wir hier als Sinti und Roma gegen die Interessen der gesamten Berliner Bevölkerung stehen wollten«, so Rose in Richtung jener, die »in einer totalen Ablehnung des S-Bahn-Baus verharren«.

»Die S21 hat die Konflikte zwischen den Organisationen der Minderheit enorm verschärft«, erklärte am Freitag Christoph Leucht von der in der Bildungsarbeit aktiven Hildegard-Lagrenne-Stiftung.

Der Zentralrat ist nicht die einzige Vertretung von Sinti und Roma in Deutschland. Ihre Interessen sehen vor allem die ab den 1960er-Jahren zugewanderten oder geflüchteten Roma nicht im Zentralrat repräsentiert und gründeten andere Organisationen. Aus der Gruppe deutscher Sinti entstanden ebenfalls weitere Interessenvertretungen. So wurde der Bau des 2012 eingeweihten Denkmals auch durch einen Streit des Zentralrats mit der Sinti Allianz Deutschland verzögert.

Leucht kritisierte, dass die Bahn und das Land Berlin vor allem mit dem Zentralrat gesprochen hätten. »Diese Idee, dass man sich einen Partner für einen Deal aussucht und mit diesem spricht, ist für mich ein Anzeichen dafür, dass es um die Gleichberechtigung nicht gut bestellt ist.« Einhellig forderten die Teilnehmer der Diskussion am Freitag, dass weitere Organisationen an der Planung beteiligt werden müssen.

Die Chance wäre da. Denn mit dem Baubeginn dieses Abschnitts ist laut Deutscher Bahn nicht vor Ende des Jahrzehnts zu rechnen. »Derzeit befindet sich die DB noch in einer sehr frühen Planungsphase für diesen Bauabschnitt, noch deutlich entfernt von den gesetzlich geforderten Beteiligungs- und Genehmigungsverfahren«, so ein Sprecher gegenüber »nd«.

Die Berliner Mobilitätssenatorin hätte wohl auch bereits signalisiert, dass sie auf andere Stimmen zugehen wolle, hieß es bei der Veranstaltung am Freitag. Eine »nd«-Anfrage an Jaraschs Senatsmobilitätsverwaltung von Donnerstag blieb aus »Kapazitätsgründen« unbeantwortet.

Die Probleme bei der Trassenfindung rühren daher, dass Berlin in den 90er Jahren auf eine gemeinsame Realisierung der Tunnel für die U5-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof und den neuen S-Bahn-Tunnel vom Hauptbahnhof zur Bestandsstrecke Richtung Potsdamer Platz verzichtete. Zunächst gab es nicht einmal eine Trassenfreihaltung. Der Bundestag stellte sich später mit der Begründung von Sicherheitsbedenken gegen Trassierungsvorschläge der Deutschen Bahn. Nun sollen zwei eingleisige Tunnel das Parlamentsgebäude im Reichtstag umschließen. »Aufgrund der in diesem Bereich bereits vorhandenen umfangreichen unterirdischen Bauwerke (U-Bahn-Tunnel, Straßentunnel, Fernbahntunnel, Tunnelanlagen der Parlamentsgebäude) bestehen für die Trassenführung der neuen City-S-Bahn enge räumliche Restriktionen«, heißt es von der Deutschen Bahn. »Für die möglichen Varianten bleibt nur ein sehr schmaler Korridor bestehen, in dem sich auch das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma befindet«, so der Sprecher weiter.

Der Bau der Strecke wird auch eine harte Probe für die Fahrgäste der Bestandsstrecke sein. Denn für den Anschluss an die heute als Abstellanlage genutzten Gleise wird die Verbindung zwischen Potsdamer Platz und Friedrichstraße wahrscheinlich für rund anderthalb Jahre gesperrt werden müssen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, den südlichsten dritten Abschnitt der neuen Trasse zwischen den Bahnhöfen Yorckstraße und Potsdamer Platz über den neuen Umsteigebahnhof Gleisdreieck, fertigzustellen. »Damit hätten die Fahrgäste der Südäste während der Sperrung nicht nur eine deutlich kürzere und bequemere Umstiegsmöglichkeit zur U2 als am Potsdamer Platz, sie könnten auch erstmals von den Nord-Süd-S-Bahnlinien auf die U1 umsteigen«, sagt IGEB-Sprecher Jens Wieseke dem »nd«.

Die Strecke steht insgesamt unter keinem guten Stern. Im März gab die Deutsche Bahn bekannt, dass wegen coronabedingten Lieferschwierigkeiten das erste Teilstück vom Nordring zum Hauptbahnhof nicht wie geplant Ende des Jahres in Betrieb gehen kann. Ein neuer Termin sollte Mitte des Jahres genannt werden. Das ist bis heute nicht geschehen.

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