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Zwei Tories ohne Substanz

Nach dem Fernsehduell zwischen Liz Truss und Rishi Sunak bleiben viele Fragen offen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war keine Liebeskomödie, Billy Crystal und Meg Ryan waren im Fernsehstudio von Stoke-on-Trent nirgendwo zu sehen. Eher handelte es sich um eine konservative Horror-Show. Eine kluge blonde Dame begegnete einem Wirtschaftsexperten mit indischem Hintergrund. Betrüblich für die Tories: Es handelte sich dabei um die BBC-Moderatorin Sophie Raworth und ihren Finanzkollegen Faisal Islam aus Bengal, nicht um die beiden Machtkonkurrenten Liz Truss und Rishi Sunak. Diese fetzten sich gegenseitig wie bei früheren Fernsehauftritten und fielen einander rüde ins Wort. Sunak redete zu schnell, Truss in penetrant hohem Ton. Derweil konnte sich Labour-Chef Keir Starmer vor Siegesgewissheit die Hände reiben: Von beiden ging anscheinend keine Gefahr für die Opposition aus. Eine Gefahr für Britannien dagegen schon.

Bei den Tory-Abgeordneten war der aus Boris Johnsons Regierung zurückgetretene Ex-Finanzminister Sunak beliebter, bei den 160 000 Konservativen Parteimitgliedern, die die letzte Entscheidung über den neuen Premier bis Anfang September treffen sollen, lag jedoch Truss laut einer Umfrage mit 62 Prozent klar vorne. Ihre Treue zu Johnson scheint sich auszuzahlen: Die Außenministerin trat vorletzte Woche trotz aller Anfechtungen nicht zurück und bleibt daher bei verbliebenen Freunden Johnsons im Lande erste Wahl. Die frühere Brexit-Gegnerin gibt sich inzwischen geläutert als hundertprozentig überzeugte Ausländerfeindin aus, will Johnsons Nordirland-Protokoll trotz Warnungen der früheren Partner abschaffen und Bootsflüchtlinge nach Ruanda abschieben. Juristische Bedenken, das Risiko eines Handelskrieges gegen die EU, ablehnende Stellungnahmen des Europäischen Gerichts für Menschenrechte hin oder her – solcher Populismus zieht bei Parteifreunden offenbar.

Truss verlangt auch sofortige Steuersenkungen, um Firmen und Reiche zu entlasten: Arme und Obdachlose zahlen bekanntlich kaum Steuern, hätten aus diesem Füllhorn nichts. Es würde unterm Strich den Steuerzahler nichts kosten, sondern sich sofort durch mehr Wirtschaftswachstum bezahlt machen, so Märchenerzählerin Truss. Und zwei plus zwei macht fünf.

Da musste Sunak der Kontrahentin in der Debatte die Leviten lesen, denn eine Wirtschaftspolitik im Geist des Prinzips Hoffnung geht ihm gegen den Strich. Das tat er dann auch, versprach zwar seinerseits, die Steuern zu senken, aber erst, wenn die Inflation besiegt und das Wachstum wieder angekurbelt sei. Kurz: Der wirkliche Finanzfachmann sprach seiner Gegnerin die Wirtschaftskompetenz mit Recht ab. Die Steuern sind in der Tat niedriger als in Frankreich oder Deutschland, sofortige Entlastungen weder nötig noch zu verkraften. Wer jedoch wie Sunak wegen der eigenen Vergangenheit als Hedgefonds-Besitzer sowie der Ehe mit einer Millionärin Maßanzüge für mehr als 4000 Euro trägt, weckt auch bei den eigenen Anhängern Neidgefühle. Und bei Rassisten Skepsis. Also hatte er trotz besserer Logik in der Debatte einen schweren Stand. Sein Versuch, an den angeblich illegalen Einwanderern noch das Mütchen zu kühlen und ihnen noch mehr Hindernisse als Truss in den Weg zu legen, dürfte vielleicht einige Tory-Mitglieder überzeugen, aber bei der 2024 fälligen Parlamentswahl bei gemäßigten Konservativen, sofern es diese noch gibt, nicht verfangen. Daher die verhaltene Freude bei Labour.

Was bei den erregten Wortwechseln nicht genügend zur Sprache kam, war der durch Tory-Kürzungen kaputtgesparte Zustand des Nationalen Gesundheitsdienstes, der auch wegen der alternden Bevölkerung dringend neue Investitionen braucht. Bei den Kandidaten Fehlanzeige. Boris Johnson hatte bei seinem Machtantritt den Bau von 40 neuen Krankenhäusern versprochen, aber auch nach drei Jahren gibt es diese nur auf dem Papier. Auch seine angebliche Liebe zu Bussen hat die teuren Fahrpreise außerhalb Londons nicht reduziert. Überhaupt war das Thema Klimakrise trotz Rekordtemperaturen von 40 Grad Celsius Anfang vergangener Woche bei dem Premieraspiranten Sunak und seiner Gegenspielerin Truss kaum der Rede wert. Hier wirkt jedoch auch Starmers Beschwörung von »Wachstum, Wachstum, Wachstum« in einer am gleichen Tag in Liverpool gehaltenen programmatischen Rede ebenfalls wenig überzeugend.

Kurz: Die britische Politik bietet zur Zeit kein erfreuliches Bild, die Debatte zwischen dem mit wirtschaftspolitischen und rechnerischen Dummheiten auffallenden Thatcher-Verschnitt Truss und dem besserwisserischen, reichen Schnösel Sunak bot wenig Erleuchtung oder Unterhaltungswert. Viel Geschrei, wenig Wolle.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Survation unter 1032 Wählern ergab, dass 39 Prozent der britischen Öffentlichkeit der Meinung waren, Sunak habe sich in der Debatte am besten geschlagen, gegenüber 38 Prozent, die Truss für besser hielten. An der größeren Beliebtheit von Truss bei der Tory-Parteibasis dürfte das aber nichts ändern. Zwei TV-Duelle stehen indes noch aus. Sunak wird sich nicht geschlagen geben.

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