Der fatale Hitler

Fatale Männlichkeiten – kollusive Weiblichkeiten in der NS-Ideologie

  • Lothar Tyb'l
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Buch mit dem sperrigen Titel enthält Grundthesen, die herkömmlichen und neuen Sichten auf den deutschen Faschismus nicht entsprechen. Trotzdem oder eben deshalb kann das Buch empfohlen werden. Die Autoren legen ein antifaschistisches Buch vor, das durch die Analyse der Münchener Zeit Hitlers konstituierende Elemente des Zivilisationsbruchs der Nazis deutlich macht und mit sachlichen Argumenten dem Wiederaufleben nazistischer und rechtsextremer Ideologie in der Bundesrepublik entgegentritt. Überzeugend ist die Darstellung der inneren Zusammenhänge zwischen der industriellen Ermordung von Millionen »Juden« im »Holocaust«, der Ermordung von Millionen »Slawen« in dem rassistisch geführten Krieg gegen die Sowjetunion und der Sterilisation und Ermordung von Zehntausenden sogenannter »lebensunwert oder erblich Kranker« im Euthanasieprogramm der Nazis.

Die Überzeugung Hitlers und seiner Parteigänger, dass nur ein mörderischer Rassismus die Lebensgrundlagen der germanischen (deutschen) Rasse und damit die Weiterentwicklung Deutschlands und der Menschheit garantieren könne, lag nach Lerke Gravenhorst diesem tiefsten Bruch in der menschlichen Zivilisation zugrunde. Konkret deckt die Autorin darüber hinaus jene Zusammenhänge auf, die von den Völkermorden an den Afrikanern in Deutsch-Südwest-Afrika und an den Armeniern in der Türkei zur Ausarbeitung des rassistischen Programms Hitlers und der NDSAP schon in seiner Münchener Zeit führten.

Verbunden mit sorgfältig recherchierten historischen Fakten werden hier die beiden Bände von Hitlers »Mein Kampf« und vieler seiner Reden und Publikationen analysiert, die das schon in München konzipierte Mordprogramm der Nazipartei und des 1933 installierten NS-Staates belegen. Das Ganze ist so bedrückend, dass man sich zwingen muss, das Buch nicht aus der Hand zu legen. Man wird von einem Gefühl der Schande erfasst, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die primitive NS-Ideologie und -Politik im vereinigten Deutschland wieder offen ihr Haupt erheben kann.

Dass die überzeugte Feministin und ihre Mitautoren die Analyse der Naziideologie mit dem Gedanken der besonderen Rolle der »fatalen Männlichkeit« Hitlers und der »kollusiven Weiblichkeit« der ihn verehrenden Frauen verwebt, kann aber nicht ungeteilte Zustimmung finden, vor allem nicht, wenn diesen Faktoren eine übergroße Rolle beigemessen wird. Zustimmen kann man bei allen Einschränkungen den Aussagen, dass ein erfolgreicher Kampf gegen Nazismus eine grundlegende Veränderung der Geschlechterbeziehungen einschließt.

Als Psychoanalytikerin verliert Lerke Gravenhorst bei ihrer Betonung der oft vernachlässigten subjektiven Faktoren teils die entscheidende Rolle der sozialökonomischen Grundlagen und politischen Strukturen des Nationalsozialismus/Faschismus aus dem Blick. Deshalb ist sie wohl auch peinlich bestrebt, die vom VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935 geprägte »Formel« des Faschismus zu umgehen, obwohl deren Einseitigkeiten beispielsweise schon mit Hans Günthers Buch »Der Herren eigner Geist«, erschienen in eben jenem Jahr in der Verlagsgesnossenschaft ausländischer Arbeiter in der Sowjetunion, kritisiert worden waren. Mit ihrem feministisch und psychoanalytisch geprägten Herangehen kann die Autorin antifaschistische Gefühle und Haltungen befördern, für ein wirksames politisches Programm gegen Neonazismus und Rechtsextremismus reicht diese theoretische Basis nicht. Die überzogene Fokussierung auf die Person Hitlers und seine Ideologie hätte zudem den schlichteren Titel »Der fatale Hitler« sinnvoll gemacht.

Lerke Gravenhorst u.a.: Fatale Männlichkeiten – kollusive Weiblichkeiten. Zur Furorwelt des Münchner Hitler. Marta Press, 224 S., br., 42 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.