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Die Mozart-Geige

Ein Mozart-Wochenende als wesentlicher Teil des großen Musikfestivals Mecklenburg-Vorpommern

  • Gerhard Müller
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Geige wanderte von Musikerhand zu Musikerhand, bis sie in den Besitz des Mozarteums gelangte.
Die Geige wanderte von Musikerhand zu Musikerhand, bis sie in den Besitz des Mozarteums gelangte.

Ein junger Mann betritt das Podium, schwarzlockiger Wuschelkopf, freundlich lächelnd; in den Armen, schützend geborgen, eine Geige. Ein Raunen geht durch den Saal – Mozarts Geige. Eigentlich wird sie im Salzburger Mozarteum verwahrt, aber an diesem Juli-Wochenende ist sie hierher gekommen, nach Ulrichshusen, an den vornehmsten und exklusivsten Ort des Musikfestivals Mecklenburg-Vorpommern. Der junge Geiger ist Emmanuel Tjeknavorian, er drückt das Instrument wie eine Braut an die Brust, doch damit nicht genug. Ihm sind vom Mozarteum außerdem zwei Brautjungfern zur Seite gestellt, die die Geige nicht aus den Augen lassen und auf Schritt und Tritt begleiten. Denn wenn sie verloren ginge … Nicht auszudenken!

Es sind aber nur zwei Damen, vielleicht aus Personalmangel. Der Prinz Tamino in der »Zauberflöte« wurde immerhin von drei Damen bewacht. Aber eine dritte Dame ist auch hier zugegen, die neue Intendantin Ursula Haselböck, eine Wienerin wie die beiden Geiger Emmanuel und Wolfgang Amadé (aha!). Sie begrüßt das spannungsgeladene Auditorium mit herzlichen Worten und gibt das Podium frei für Emmanuel und die Geige. Diese sieht aus wie jede andere italienische Violine, rötlich-bräunlich lackiert, mit schwarzem Griffbrett und silbern glänzenden Saiten. Der Beifall macht, was er immer tut – er brandet auf, obwohl noch kein einziger Ton erklungen ist.

Zuerst spricht der Geiger über das Instrument und dessen Geschichte. Der italienische Geigenbauer Pietro Antonio dalla Costa (1740–1768) hat es, wie ein Zettel im Inneren des Resonanzkörpers bezeugt, im Jahr 1764, also acht Jahre nach Mozarts Geburt, in Treviso gebaut. In Mozarts Besitz kam es um 1781, als er nach Wien übersiedelte und an der »Entführung aus dem Serail« zu arbeiten begann. Da hatte Mozart das professionelle Violinspiel und die Salzburger Hofkapelle allerdings bereits aufgegeben. Seine berühmten fünf Violinkonzerte hat er auf dieser Geige nie öffentlich gespielt, aber in häuslichem Kreise erklang sie oft; auch bei jenem Konzert im Dezember 1790, mit dem Mozart seinen Freund Joseph Haydn nach London verabschiedete. Das war ihre letzte Begegnung. Denn ehe Haydn nach Wien zurückkehrte, war Mozart unerwartet gestorben.

Die Geige wanderte von Musikerhand zu Musikerhand, bis sie in den Besitz des Mozarteums gelangte. Eine private Gönnerin hatte 2013 Mozarts Violine gekauft und der Stiftung Mozarteum Salzburg geschenkt – unter der Bedingung, dass sie tatsächlich gespielt würde, und das ist seither auch der Fall. Emmanuel Tjeknavorian ist ihr Favorit und dieses Jahr auch Artist in Residence der Mecklenburger Musikfestspiele.

Es existiert jedoch noch eine andere Mozart-Violine, jene, auf der Mozart 1773 bis 1775 in Salzburg seine Violinkonzerte spielte. Sie wurde durch den Geiger Christoph Koncz für das Konzertleben zurückgewonnen und befindet sich heute ebenfalls in den Sammlungen des Mozarteums.

Die Reden enden, und das Konzert beginnt. Ein zweiter Musiker betritt die Bühne, der Pianist Kit Armstrong, ein anderes Wunderkind. Sie sind ein Traum-Duo für die Violinsonaten von Mozart, und der wunderbare Moment tritt ein, in dem wir staunend den zarten und zugleich verstörend intensiven Geigenklang vernehmen, der einst Mozart inspirierte. Denn für dieses Instrument sind die Sonaten komponiert, eigentlich Klaviersonaten mit einer zugefügten obligaten Violinstimme. Spektakuläre Virtuosenstücke sind es nicht, und wer dergleichen erwartet hatte, war vielleicht enttäuscht. Es sind intime, geistreiche Dialoge zwischen zwei Instrumenten, als wären es zwei Menschen, die zärtlich oder aufgeregt miteinander sprechen, sich widersprechen oder einträchtig duettieren. Ein eigentümlicher Märchenzauber liegt über dieser Musik, und wer sie einmal gehört hat, der ist ihr verfallen und vergisst sie nie.

Neun Veranstaltungen brachte dieses Mozart-Wochenende in Ulrichshusen, die die wechselnden Aspekte der Mozart’schen Violinmusik beleuchteten oder auch, wie Dr. Ulrich Leisinger, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Mozarteum Salzburg, Leopold Mozarts »Gründliche Violinschule« darstellten. Auf die Sonaten folgten Quartette, Klavier- und Kammermusik, und das A-Dur-Violinkonzert, von Tjeknavorian mit einer, wie mir scheint, nie gehörten Innigkeit vorgetragen, beschloss den Solo-Reigen.

Ganz am Schluss erklang die »Jupiter-Sinfonie«, die Mozart selbst nicht so genannt hat und die nicht ganz zu Recht so heißt. Das Deutsche Kammerorchester Berlin spielte sie unter der Leitung von Gabriel Adorján mit einer rasanten, geradezu zornigen Dramatik, als ob sie eine Begleitmusik zu Don Giovannis Höllenfahrt wäre. Der übliche sanfte Mozart-Ton kam nicht auf, und Gleiches ließe sich auch vom Spiel der beiden Solisten in den anderen Konzerten sagen, die Mozarts Dissonanzen und Tempi mit dramatischem Gespür gegen seine Lyrismen setzten. Nicht die Instrumente machten die Musik, die Musiker machten sie, und die Instrumente halfen ihnen nur dabei.

Diesem dramatischen Mozart stand sein Gegenbild gegenüber – der vor Übermut und Spottlust sprühende Eulenspiegel, der Mozart manchmal auch war, was heute vergessen ist, wo er nur noch als »Klassiker« auf das Podest verbannt wird. Mozarts Eulenspiegel-Nachfahre war in Ulrichshusen der Geiger und Komponist Florian Willeitner, ein Tausendsassa der Musikverdrehung und des höheren Unernstes. Mozarts »Ein musikalischer Spaß« (KV 522) fügte er mit seinem Trio verblüffende und ohrenzerreißende Fortsetzungen hinzu, die etwa »Mozart in the shape of Europe« heißen und das europäische Format mit grellen Misstönen rahmten, die eine vorzügliche Begleitmusik zu den aktuellen ukrainischen Scordaturen und Verstimmungen abgaben.

Zudem brachte er mit seinem Ensemble eine Farbe in das Festival, von der gewöhnlich nie die Rede ist: Wirtshaus und Tanzmusik. Die Ballmusiken und Kontretänze kombinierte er, nach Mozarts Motto »Cosi fan tutte«, mit Folklore und Jazz; und nebenher erfuhr man, dass Mozart entgegen allen Vermutungen gern Bier trank. Die »Mozart-Kugeln« sind also ein kulinarischer Irrtum, den zu korrigieren sich die Brauerei-Industrie angelegen sein lassen sollte.

Dieses Mozart-Wochenende vom 15. bis 17. Juli war nur ein kleiner, allerdings der wesentliche Teil des großen Musikfestivals Mecklenburg-Vorpommern. Tjeknavorian eröffnete es am 18. Juni in Neubrandenburg mit Sibelius’ Violinkonzert – am 18. September wird es mit Schostakowitschs letzter, der 15. Sinfonie zu Ende gehen. Das Festival selbst ist mit dem Namen des großen Geigers Yehudi Menuhin verbunden. Er gastierte 1994 mit dem Londoner Symphony Orchestra in diesem abgelegenen mecklenburgischen Dorf und verhalf ihm zu europäischem Ruhm. Es sollte ihn mit einer Porträt-Büste oder zumindest mit einer Namensgebung für die zum Konzertsaal umgebaute Scheune ehren, in der nun die bedeutendsten Orchester und Solisten auftreten.

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