- Politik
- Energiepreise
Übergewinnsteuer? Abfuhr vom Kanzler
SPD und Grüne drängen angesichts hoher Energiepreise auf Übergewinnsteuer, Olaf Scholz widerspricht
Während Energiekonzerne Rekordgewinne einfahren, müssen die Verbraucher*innen immer höhere Heizkosten zahlen – so ist die Lage in Folge des Ukraine-Kriegs. Erst am vergangenen Donnerstag gab der britische Shell-Konzern einen Rekordgewinn von 11,5 Milliarden Dollar bekannt, während Total Energies aus Frankreich den eigenen Gewinn auf 5,7 Milliarden verdoppelte und auch der deutsche Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea diesen deutlich auf 668 Millionen Euro steigerte. Um die zusätzlichen Gewinne abzuschöpfen und die Bürger*innen zu entlasten, erheben immer mehr europäische Staaten eine Übergewinnsteuer: Italien, Griechenland, Spanien, Belgien, Ungarn und Großbritannien haben eine solche Abgabe bereits eingeführt oder planen sie, wohlgemerkt Länder, in denen nicht überall Progressive an der Macht sind. In Großbritannien regiert die konservative Partei, in Griechenland die liberal-konservative Nea Dimokratia von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und in Ungarn bekanntlich Viktor Orbán.
Deutschland hat bislang keine Übergewinnsteuer eingeführt, denn die FDP ist dagegen. »Insbesondere für die Innovationskraft einer Ökonomie kann eine Übergewinnsteuer fatal sein«, heißt es in einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium Christian Lindners. Die Liberalen sind grundsätzlich gegen Steuererhöhungen oder die Einführung neuer Steuern, dieses entscheidende Zugeständnis hatten SPD und Grüne ihnen bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrages gemacht. Seit dem 24. Februar, als Russlands Überfall auf die Ukraine begann, haben sich die Bedingungen aber geändert. Auch in anderen Bereichen wie der Atomkraft werden mittlerweile Optionen wie ein sogenannter Streckbetrieb von Atommeilern diskutiert, die im letzten Jahr noch vollkommen fernab jeglicher Realität erschienen.
Sozialdemokraten und Grüne unternehmen deshalb jetzt einen neuen Versuch, ihren Koalitionspartner zu bewegen. »Die SPD wird einen neuen Anlauf nehmen, eine Übergewinnsteuer für Konzerne einzuführen, die sich an der Krise bereichern«, sagte SPD-Parteichefin Saskia Esken der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang pflichtete ihr ebenso bei wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Unterstützung erhalten sie von einem Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, wie der »Spiegel« am Freitag berichtete: Der Staat müsste demnach darlegen, dass betroffene Unternehmen »unverdiente Gewinne« erzielt haben und sich diese bestimmen lassen. »Angesichts der offenkundigen aktuellen Entwicklungen auf den Energiemärkten scheint dies nicht ausgeschlossen«, zitierte das Magazin aus dem Papier.
Eine Abfuhr bekamen Esken, Lang und Mützenich jedoch gleich am Montag, und zwar ausgerechnet vom Bundeskanzler höchstpersönlich. »Aus Sicht des Kanzlers ist eine Übergewinnsteuer derzeit nicht vorgesehen«, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin und verwies in diesem Zusammenhang auf die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags. Das ist natürlich ein denkbar ungünstiges Argument, denn auch andere Maßnahmen wie das 100-Milliarden-Sondervermögen, für das aufgrund der Schuldenbremse sogar eine Änderung des Grundgesetzes nötig war, standen nicht im Vertrag der Koalitionsparteien. Eher scheint es, als wolle Scholz keinen Streit mit der FDP provozieren. Das führt dazu, dass die Regierung zwar eine Menge Geld zur Bewältigung multipler Krisen in die Hand nehmen muss, allerdings durch die Liberalen, die auch die Schuldenbremse erhalten wollen, zu einem rigiden Sparkurs gezwungen wird.
Der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, Christian Görke, begrüßte den Vorstoß der beiden Regierungsparteien, nannte diesen aber auch »scheinheilig«. Im Juni hätten Grüne und Sozialdemokraten einen Antrag der Linksfraktion, der die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Übergewinnsteuer auffordert, im Finanzausschuss abgelehnt. »Wer in den Medien etwas fordert, aber im Bundestag das Gegenteil macht, wirkt unehrlich«, so Görke. Zudem hatte es bereits eine Bundesratsinitiative aus dem rot-rot-grünen Bremen für eine Übergewinnsteuer gegeben, der sich die ebenfalls von der Linken mitregierten Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen angeschlossen hatten. Allerdings scheiterte die Initiative bei der Abstimmung im Bundesrat: Nur das Saarland (SPD) und Hamburg (SPD/Grüne) schlossen sich noch an, alle Länder mit Unions- und/oder FDP-Beteiligung verweigerten ihre Zustimmung.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.