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Kein Geschäft mit dem Geschäft
Berliner*innen können einige öffentliche Toiletten bald kostenlos nutzen. Beim Rest, so die Kritik, wird der Zugang allerdings erschwert
Letztlich war es nicht die Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit, sondern die hohe Zahl der Einbrüche, die für den Unterschied gesorgt hat: Ab dem 15. August sollen einige der öffentlichen Sitztoiletten in Berlin, neben bereits kostenlosen Pissoirs, frei zugänglich gemacht werden. Hierauf einigte sich Berlins Senat zusammen mit dem WC-Betreiber Wall, der für einen Großteil der Toiletten zuständig ist.
Von insgesamt 280 öffentlichen Klos, die das Unternehmen in der Hauptstadt aufgestellt hat, sollen 50 Einrichtungen kostenlos werden, wie die Senatsverwaltung für Umwelt und Verbraucherschutz mitteilt. Die restlichen 230 Toiletten werden weiterhin 50 Cent kosten, die sich aber nur noch per Bankkarte entrichten lassen.
Die Änderung ist Folge einer Vielzahl von Einbrüchen, über die sich jüngst Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) beklagte. Die Bargeldbehälter in den Toiletten seien »massenhaft aufgebrochen« und ausgeraubt worden. Tatsächlich hatten sich entsprechende Vorfälle zuletzt vervielfacht: Während der Betreiber laut eigenen Angaben in vorangegangenen Jahren jeweils zwischen 50 und 70 Fällen registriert hatte, war allein in einer Woche im Februar 2022 von über 130 Vorfällen die Rede.
Jarasch zufolge ist es einerseits nicht möglich, die Toiletten flächendeckend zu überwachen. Andererseits fielen die Kosten für fällige Reparaturen unverhältnismäßig hoch aus. Laut der Wall GmbH handelt es sich bei den Toiletten um die modernsten Einrichtungen ihrer Art in ganz Deutschland. Das Ende der Bargeldzahlung wird, so die Hoffnung der Umweltsenatorin und des Betreibers, auch die Zahl der Einbrüche senken. Nichtsdestotrotz soll es sich zunächst nur um eine vorübergehende Maßnahme von einem halben Jahr handeln.
Die Freigabe zur kostenlosen Nutzung bringt zudem Sorgen um den Verschmutzungsgrad der Berliner Toiletten mit sich. Eine Bereitstellung öffentlicher Anlagen sei grundsätzlich wünschenswert, sagt etwa der Staatssekretär für Verbraucherschutz Markus Kamrad. »Dazu bedarf es neben einer langfristigen Finanzierung über den Haushalt aber auch eines Nutzungsverhaltens, welches das ermöglicht.«
Die Kritik der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hingegen zielt in eine andere Richtung. In einer gemeinsamen Erklärung zeigen sich Katalin Gennburg, Fraktionsexpertin für Stadtentwicklung, sowie der petitionspolitische Sprecher Kristian Ronneburg unzufrieden mit den Änderungen. Den Linke-Abgeordneten zufolge trübt vor allem die exklusive Bezahlfunktion die Freude darüber, dass einige Toiletten nun frei zugänglich sind: »Damit wird ausgerechnet den Menschen der Zugang zu einem großen Teil der öffentlichen Toiletten verwehrt, die am häufigsten auf diese angewiesen sind, nämlich Ältere und Obdachlose.« Während ältere Mitbürger*innen mit der Nutzung von Kartensystemen meist nicht vertraut seien, verfügten Obdachlose nur höchst selten über Geldkarten.
Bauchschmerzen bereitet den Linke-Abgeordneten zudem, dass die Maßnahme nur vorübergehend greifen soll. Man sei im Begriff, eine Chance für grundlegende Änderungen im Stadtbild zu vertun. »Es muss endlich verstanden werden, dass diese Toiletten Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sind«, sagt Gennburg zu »nd«. »Wir können uns keine Feigenblattpolitik leisten.« Für »zutiefst unsozial« hält die Politikerin die Diskussionen um potenziell verschmutzte Toiletten: »Eine Stadt, die einen guten Lebensraum darstellt, verursacht nun einmal Kosten.« Es gehe um grundlegende Fragen der demokratischen Teilhabe und nicht zuletzt um Geschlechtergerechtigkeit.
Dass in der Hauptstadt überhaupt für öffentliche Sitztoiletten bezahlt werden muss, für Pissoirs aber nicht, ist für Gennburg »ein mittelschwerer Skandal«. Andere Städte wie Paris, Sydney und auch Hannover gingen mit besserem Beispiel voran. Allein der im Zusammenhang häufig genutzte Begriff einer »Schutzgebühr« sei vollkommen unangebracht.
»Früher war das in Berlin anders organisiert. Was wir heute haben, ist ein Überbleibsel der Privatisierungspolitik«, führt Gennburg aus. Zudem lasse das Netz nach wie vor zu wünschen übrig. In manchen Außenbezirken stünden lediglich zwei Toiletten zur Verfügung. »Es hat sich gezeigt, dass der Markt es hier eben nicht regelt.« Mit dpa
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