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Ralf Kellermann ist Equal Play wichtiger als Equal Pay

Der Sportchef des VfL Wolfsburg spricht im Interview über sinnvolle Fördermodelle für Fußballerinnen nach der Europameisterschaft

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Alltag nach EM-Rausch: Spitzenspiele in der Bundesliga wie Bayern gegen Hoffenheim in kleinen Stadien vor wenigen Fans.
Alltag nach EM-Rausch: Spitzenspiele in der Bundesliga wie Bayern gegen Hoffenheim in kleinen Stadien vor wenigen Fans.

Sie waren beim EM-Finale im Stadion. Wie blicken Sie auf dieses Endspiel zurück?

Interview

Ralf Kellermann leitet die Frauen-Abteilung des VfL Wolfsburg. Der ehemalige Zweitliga-Torhüter trainierte ab 2008 die Wolfsburger Fußballerinnen, übte viele Jahre parallel die Manager-Aufgaben aus und ist seit 2017 Sportlicher Leiter des längst erfolgreichsten deutschen Klubs. Der 53-Jährige sprach mit Frank Hellmann über seine überaus positiven Erfahrungen von der Europameisterschaft in England. Die vom Bundeskanzler Olaf Scholz angestoßene Equal-Pay-Debatte gehört nicht dazu, weil realistische Ziele hilfreicher sind.

Am Ende hat nicht die bessere, sondern eher die glückliche Mannschaft gewonnen. Nicht zu vergessen, dass auch der Ausfall von Alexandra Popp ein Faktor war. Über das Turnier gesehen ist England ein verdienter Europameister, mein Glückwunsch. Aber auch die DFB-Auswahl darf stolz auf dieses hervorragende Turnier blicken.

Waren Sie vor dem Turnier gar nicht pessimistisch, was das Abschneiden des deutschen Teams angeht?

Ich war davon überzeugt, wenn die Spielerinnen nach der intensiven Saison runterfahren können und sich dann drei Wochen unter Top-Bedingungen gezielt vorbereiten, dass ihnen alles zuzutrauen ist. Allein die Vorrunde war Beweis genug, dass wir absolut konkurrenzfähig sind und dem Team auch in Zukunft viel zuzutrauen ist. Diese Qualität mit vielen jungen Spielerinnen ist vorhanden.

Was hat Ihnen an den neuen Europameisterinnen aus England imponiert?

Die Erfahrung von Sarina Wiegman war natürlich ein großer Pluspunkt: Wenn eine Trainerin schon mal ein Heimteam – das wie die Niederlande 2017 eigentlich nicht zu den Favoriten gehörte – zu einem EM-Titel geführt hat, vertraut man als Spielerin der Trainerin noch mehr. Ansonsten ist der englische Kader in der Breite exzellent besetzt. Man konnte während des gesamten Turniers auch die euphorische Stimmung bei ihnen erleben.

Haben Sie auch den Eindruck, dass zwar mehr als doppelt so viele Zuschauer in England als fünf Jahre zuvor bei der EM in den Niederlanden dabei waren, aber der familiäre Charakter dennoch nicht verloren ging?

Da stimme ich zu 100 Prozent zu. Für die Engländer waren es ja wegen der Zeitverschiebung 20-Uhr-Spiele: Man hat viele Familien mit Kindern gesehen. Das Publikum war sehr gemischt, es gab keine aggressive Stimmung. Was die Atmosphäre in den Stadien, aber auch außerhalb der Stadien anging: Ich habe nur höfliche, freundliche, hilfsbereite Menschen kennengelernt: Das hat mich zutiefst beeindruckt.

Das sportliche Niveau ist deutlich höher als früher. Wo hat sich am meisten in den vergangenen Jahren getan?

Die Spielerinnen werden früher und fußballerisch besser ausgebildet und sind auch im athletischen Bereich auf einem absoluten Top-Level. Sehr beeindruckt war ich davon, wie sich die Spielerinnen mittlerweile aus einem aggressiven Angriffspressing befreien. Früher gab es unter einem hohen Gegnerdruck schon häufiger mal technische Schwierigkeiten – jetzt haben die Top-Teams spielerische Lösungen dafür. Diese Entwicklung war aber schon in unseren Spielen mit dem VfL Wolfsburg in der Champions League gegen Arsenal London und dem FC Barcelona zu beobachten.

Die athletische Komponente ist ebenso stärker ausgeprägt. Vermissen Sie nicht auch beispielsweise eine wie die Brasilianerin Marta, die ähnlich wie ein Lionel Messi bei den Männern viele Jahre alle anderen überragt?

Wir haben vielleicht nicht diese extrem auffällige Figur wie Marta früher, aber dafür haben wir genügend Spielerinnen, die Vorbilder sind. Die Kader sind pickepackvoll mit sympathischen und bodenständigen Akteurinnen, die auch als Gesichter für die Werbeindustrie interessant sind. In Deutschland und in Europa.

Wie kann es denn nun gelingen, dieses große Potenzial auch in den sportlichen Alltag der Fußballerinnen zu transportieren, um dort die Aufmerksamkeit zu erhöhen? Siegfried Dietrich als Vorsitzender des DFB-Ausschusses Frauen-Bundesliga will nicht weniger als ein neues Wahrnehmungszeitalter einläuten. Das Eröffnungsspiel Eintracht Frankfurt gegen Bayern München am 16. September in der Arena ist ein erster Schritt.

Ich kenne Siegfried Dietrich (auch Sportdirektor Eintracht Frankfurt Frauen, Anm. d. Red.) schon sehr lange. Er und die Eintracht werden fürs Eröffnungsspiel einiges auf die Beine stellen: Dann werden nicht nur 5000, 6000 Zuschauer in der Frankfurter Arena sein – das wird das richtige Fest, um den Schwung aus der EM mitzunehmen. Und es wird nicht das einzige Highlight-Spiel bleiben. Gleich am zweiten Spieltag läuft unser Spiel eine Woche danach bei der TSG Hoffenheim um 18 Uhr live in der ARD. Nichts anderes hat England gemacht: Sie sind in den Länderspielpausen der Männer regelmäßig mit den Frauen in die großen Stadien gegangen. Wichtig wird auch sein, dass sich alle drei deutschen Teilnehmer in der Gruppenphase der Champions League wiederfinden. Die größere Sichtbarkeit und damit verbundene Vermarktungschancen helfen uns, den Schwung mitzunehmen. 

Warum?

In der Champions League kommen automatisch viele Topspiele zustande, an denen das Medieninteresse groß ist – das haben wir ja im Rahmen der Spiele gegen Arsenal und Barcelona gesehen. Bei beiden Spielen hatten wir fünfstellige Zuschauerzahlen in unserer großen Wolfsburger Arena. Der Verband und die Vereine müssen alles versuchen, da weiterzumachen. Zudem wollen wir unser Stammpublikum ausbauen. Wenn wir 3000 Besucher in unserem kleinen Stadion bei einem Bundesliga-Heimspiel haben, dann herrscht eine tolle Atmosphäre. Es sind auch nicht in England bei jeder Partie 10 000 Leute. Wenn Chelsea im Kingsmeadow spielt, kommen rund 4000. Das kann auch ein realistisches Ziel für Vereine in Deutschland sein.

Hat nicht diese EM gezeigt, dass sich jede bekannte Fußball-Marke endlich zum Frauenfußball bekennen müsste?

Letztlich sollte das immer noch jeder Verein für sich selbst entscheiden. Man darf nicht vergessen, dass es auch immer ein Investment bedeutet. Von einer schwarzen Null kann man auf diesem Niveau im Fußball der Frauen auch in ein oder zwei Jahren nur träumen. Wenn jemand die Unterstützung aus wirtschaftlichen Gründen ablehnt, muss man das akzeptieren. Aber der Mehrwert für einen Verein ist immens. Das positive Image und die gesellschaftliche Verantwortung sind Teil unserer DNA beim VfL Wolfsburg und die vielen sportlichen Erfolge sind ein Resultat davon.

Wie stehen Sie zum Thema Equal Pay? Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einem Tweet nach gleichen Prämien beim DFB für Frauen und Männer gerufen. Sie haben beim VfL Wolfsburg vergleichsweise gute Unterstützung, aber Sie würden kaum damit durchkommen, dieselben Gehälter der Männer für die Frauen zu verlangen. Die VW-Bosse würden Ihnen vermutlich einen Vogel zeigen.

Aber auch völlig zu Recht! Mir gefällt an der Debatte überhaupt nicht, dass alles in einen Topf geschmissen wird. EM-Prämien, Gehälter, und, und. Man kann nicht einfach etwas heraushauen, ohne genauer hinzuschauen. Ich appelliere wirklich an den gesunden Menschenverstand bei dieser Thematik! Das Magazin »Forbes« hat es doch aufgeschlüsselt: Der sich für die gleiche Bezahlung rühmende norwegische Verband hätte für den EM-Titel an seine Spielerinnen 20 000 Euro gezahlt – ein Drittel der Summe vom DFB. Worüber wir reden sollten, ist das Equal Play. Beispielsweise, dass Bundesliga-Spielerinnen eine professionelle Infrastruktur vorfinden – Kabine, Fitnessraum, Trainingsplätze oder Reisebedingungen sind hier zu nennen. Da ist der DFB, der die EM ebenso wie ein Turnier der Männer-Nationalmannschaft vorbereitet hat, ein gutes Beispiel.

Gleich im nächsten Jahr findet die WM in Australien und Neuseeland statt, dann auch wieder in der Sommerpause des Männer-Fußballs. Finden Sie das gut für das Interesse oder haben Sie Sorge, dass die Spielerinnen das nicht durchhalten?

Die Frauen kennen es eigentlich nicht anders, dass in einem Vier-Jahres-Zeitraum mit EM, WM und Olympischen Spielen drei große Turniere stattfinden. Ich sehe darin überhaupt kein Problem, denn zwischen den EM-Spielen lagen manchmal sechs Tage Pause. Im Grunde war die mentale Belastung größer als die körperliche. Ich finde es schön, dass es 2023 gleich wieder eine große Plattform mit einem tollen Turnier gibt – wenn auch weit, weit weg mit riesigen Entfernungen und unglücklichen Anstoßzeiten.

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