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Unendliche Verbesserung der Welt
Zwei Initiativen kämpfen in Berlin für soziale und für Klimagerechtigkeit – bei einem der beiden Volksbegehren wird es eng
Saskia Rosenmeyer, Jessamine Davis und Klara Kramer bugsieren zwei große Lastenfahrräder durch den Eingang zum Tempelhofer Feld an der Herrfurthstraße in Neukölln. Rosenmeyer trägt eine rosafarbene Weste, Davis und Kramer sind rot gekleidet. An den Fahrrädern hängen Schilder mit Sprüchen wie »Mehr Zeit für Oma«, »Weniger Bürokratie« und »Es ist nicht zu spät«. Im Inneren stapeln sich Flyer, Sticker, Klemmbretter und Unterschriftenlisten. Die drei Frauen sammeln an diesem Dienstagnachmittag Unterschriften für zwei Volksbegehren: eines »über die Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Land Berlin«, das zweite »über ein klimaneutrales Berlin ab 2030«.
Noch bevor sie richtig angefangen haben, werden sie schon von einem Passanten angesprochen. »Wie soll das Grundeinkommen eigentlich finanziert werden?«, will er wissen. Er würde gern dafür kämpfen, aber brauche Argumente. Saskia Rosenmeyer von der Initiative Expedition Grundeinkommen erklärt ihm, dass das Geld umverteilt werden solle, stattet ihn mit Infomaterial aus, dann unterschreibt er. Klara Kramer, die genau wie Jessamine Davis für die Initiative Klimaneustart Berlin unterwegs ist, spricht bereits die nächste Person an. »Schon unterschrieben?«, fragt sie und hält Fabian Fracchetta die beiden Listen unter die Nase. Für das Grundeinkommen ja, für die Klimaneutralität unterschreibt er gern auch noch. »Das Grundeinkommen kann eine Leiter für Menschen sein, das zu tun, was sie wirklich wollen. Das wäre eine unendliche Verbesserung der Welt«, begründet er seine Entscheidung für die eine Unterschrift. Die andere mit der Verantwortung, die jeder Mensch für das Klima habe, denn »wir sind alle mit der Erde verbunden«, sagt Fracchetta zu »nd«.
Dass die Teams der beiden Initiativen gemeinsam Unterschriften sammeln, hat verschiedene Gründe. Es gebe natürlich die strategische Seite: Man spare Material, Kosten und Ehrenamtliche, das Sammeln gehe schneller. Aber es gebe auch inhaltliche Schnittmengen. »Wenn alle Menschen weniger Existenzangst haben und es weniger soziale Ungleichheit gibt, ist auch die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen höher«, sagt Jessamine Davis zu »nd«. Bei beiden Volksbegehren gehe es um Gerechtigkeit, und essenzieller Bestandteil der Forderung nach einer Klimaneutralität Berlins ab 2030 sei der soziale Ausgleich für diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung haben. »Ein Grundeinkommen könnte dazu beitragen«, ergänzt Klara Kramer.
Konkret soll mit dem »Volksbegehren Grundeinkommen« ein Modellversuch in Berlin angestoßen werden. Über drei Jahre hinweg sollen mindestens 3500 Berliner*innen ein bedingungsloses Grundeinkommen von rund 1200 Euro im Monat erhalten, staatlich finanziert und wissenschaftlich begleitet. Dabei sollen unterschiedliche Modelle, deren Umsetzbarkeit und Wirkung in der Praxis erforscht werden. Das Besondere im Vergleich zu Versuchen, die es in anderen Ländern, Finnland etwa, bereits gab, ist, dass die Teilnehmer*innen alle in derselben Gegend leben sollen, damit ähnliche Bedingungen herrschen und auch die Interaktion der Menschen untereinander untersucht werden kann. Außerdem soll es eine Vergleichsgruppe geben, die kein Grundeinkommen erhält. »Viele denken, wenn es ein Grundeinkommen gibt, dann geht ja niemand mehr arbeiten, aber eigentlich wissen wir das gar nicht so genau«, sagt Saskia Rosenmeyer zu »nd«. Deshalb lautet der Slogan zur Sammelaktion auch: »Probieren wir’s aus«. Die Initiative ist überzeugt: Sollte der Versuch in Berlin Erfolg haben, könnte das eine Signalwirkung auf andere Städte haben.
Auch das »Volksbegehren Berlin 2030 klimaneutral« möchte die Hauptstadt zur Vorreiterin machen, indem die Stadt ihre CO2-Emissionen bis 2030 und nicht erst bis 2045 – so das bisherige Ziel des Berliner Senats – gesetzlich verpflichtend um 95 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Genau wie das Grundeinkommensteam hat die Initiative für die Klimaneutralität bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf geschrieben. Das Ziel der beiden Volksbegehren ist ein Volksentscheid, bei dem letztlich alle Berliner*innen über die entsprechenden Gesetzesänderungen abstimmen würden.
Dafür müssen jedoch in der zweiten Sammelphase, in der sich beide Volksbegehren derzeit befinden, jeweils 175.000 Berliner*innen für die Anliegen unterschreiben. Die Initiative für ein Grundeinkommen hat bislang rund 67.000 Unterschriften gesammelt und nur noch bis zum 5. September Zeit. »Das wird richtig knapp«, befürchtet Saskia Rosenmeyer. Es gebe zwar viel Zustimmung, aber einfach nicht genug freiwillige Sammler*innen, bedauert sie. Deshalb hat Expedition Grundeinkommen nun die Aktion »Sammel-Held*innen« gestartet, bei der Ehrenamtliche eine Aufwandsentschädigung von 42 Euro pro Einsatz bekommen sollen. Das passe ja auch zum Anliegen sozialer Gerechtigkeit: »Die Arbeit sollte fair entlohnt werden, sonst können sich nur privilegierte Leute engagieren«, sagt Rosenmeyer. Die Initiative hofft, dadurch etwa 300 weitere Sammler*innen gewinnen zu können, damit das Volksbegehren nicht scheitert.
Das Team für »Berlin 2030 klimaneutral« hat mit der zweiten Sammelphase erst am 15. Juli begonnen, nach zehn Tagen waren rund 3500 Unterschriften zusammengekommen. Der Initiative bleiben aber noch über drei Monate Zeit. Jessamine Davis und Klara Kramer sind optimistisch, was den Erfolg ihres Volksbegehrens angeht. Dass sich aktuell so viele Menschen finden, um auf dem direktdemokratischen Weg des Volksbegehrens politisch aktiv zu werden – zuletzt auch für die Initiativen Deutsche Wohnen und Co enteignen sowie Volksentscheid Berlin autofrei –, zeige, »dass die Leute jetzt Lust haben, was zu ändern«, ist Davis überzeugt. »Wir treiben die Politik«, sagt sie.
Beim Sammeln sei man zwar teilweise mit Skepsis oder mit dem »Autohasser-Vorwurf« konfrontiert, erzählen die drei Freiwilligen. Die meisten Reaktionen seien aber positiv, viele Menschen sähen die Brisanz und oft würden sich nette Gespräche ergeben. Wie mit Bettina Engel, die am Rand des Tempelhofer Feldes ein Eis isst, als Klara Kramer sie nach den zwei Unterschriften fragt. »Das hängt doch eigentlich beides zusammen. Das Problem ist der gesellschaftliche Konsum. Die Leute, die Geld haben, schädigen das Klima«, sagt die Frau mit den pinken Haaren und vielen Tattoos, während sie unterschreibt.
Bettina Engel sagt, sie frage sich, wie lange sie noch im nahe gelegenen Neuköllner Schillerkiez leben könne, bevor da »alles weggentrifiziert wird«. Früher sei sie bei der Antifa gewesen, heute habe sie leider nicht mehr so viel Zeit, wehrt sie die Frage ab, ob sie Lust hätte, mitzusammeln. Aber ein paar Listen nimmt sie mit. »Ich arbeite in einem Kinderladen, da unterschreiben sicher viele gern«, sagt Engel. Sie sei zwar unsicher, ob das was bringt. Aber: »Es gibt Hoffnung«, wie Jessamine Davis sagt.
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