Besuch mit militärischer Entourage

Pelosis Besuch war eine heikle Mission und lässt die Spannungen zwischen China und den USA weiter wachsen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein Flugzeug der US-Luftwaffe mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und fünf weiteren demokratischen Abgeordneten an Bord startete am Mittwoch kurz nach 18 Uhr Ortszeit vom Flughafen Taipei Songshan in Taipeh. Uff … Nochmal gut gegangen! Man möchte aufatmen, doch: Der Taiwan-Besuch, der nicht einmal 24 Stunden dauerte, wird sicherheitspolitisch lange nachwirken. Die USA haben eine andere Großmacht herausgefordert und zu weiterer globaler Verunsicherung beigetragen. »Sehr gefährlich und dumm«, nannte Chinas Außenminister Wang Yi den Besuch Pelosis. Sein Ministerium sprach von einer »großen politischen Provokation«. Nur Stunden bevor Pelosis Maschine einschwebte, überquerten am Dienstag chinesische Kampfjets bislang gegenseitig weitgehend akzeptierte Respektslinien in der Taiwanstraße.

In einer Erklärung drückte Pelosi nach der Landung in Taipeh ihre Solidarität »mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan« aus. Die sei gerade jetzt nötig, weil »die Welt« – siehe Ukraine – vor der Wahl »zwischen Demokratie und Autokratie« stehe. Überschwänglich lobte sie die gastgebende Inselrepublik als »eine der freiesten Gesellschaften der Welt«. So etwas kommt besser an als die Wahrheit. Obgleich die einfach ist: Ohne die auf Taiwan produzierten Chips und anderen Elektronikbauteile wären die USA eher über kurz als lang am Ende. Keiner weiß das besser als die Herrschenden in Peking, und so sieht man in Taiwan mehr als nur eine abtrünnige Provinz, mit der man sich wiedervereinen möchte. Dass ein Militäreinsatz dabei durchaus eine Option ist, betonten höchste Stellen der Volksrepublik mehrfach.

Die 82-jährige Pelosi, wie US-Präsident Joe Biden Mitglied der Demokraten, nimmt laut Verfassung Rang drei in der US-Machthierarchie ein. Sie würde, so der Präsident und die Vizepräsidentin nicht handlungsfähig wären, das Chief-Executive-Amt übernehmen. Protokollkram, der aber in der Volksrepublik ernsthaft registriert wird. Schließlich ist die Taiwan-Touristin Pelosi die ranghöchste US-Vertreterin seit 25 Jahren auf der abtrünnigen Insel. Ein Affront aus chinesischer Sicht und inzwischen Grund für nicht näher bestimmte Sanktionen gegen Pelosi und ihre Familie.

Um überhaupt nach Taiwan zu gelangen, musste Pelosis Maschine das Südchinesische Meer umfliegen. Im Vorfeld des Besuches hatte es dort eine Reihe sehr heikler Begegnungen zwischen chinesischen Jets und Militärflugzeugen der USA, Australiens und Kanadas gegeben. Spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat man gelernt, dass politische Entscheidungen, gerade jene, die auf höchsten Ebenen getroffen werden, nicht immer rationalen Überlegungen folgen. In Washington befürchtete man also, dass China Pelosis Maschine abfangen und zur Umkehr zwingen könnte.

Das US-Verteidigungsministerium treffe »alle geeigneten Maßnahmen, um die Sicherheit der Mitglieder des Kongresses zu gewährleisten«, versicherte ein Sprecher. Da war Pelosi schon in der Luft. So wie acht F-15-Kampfjets der US-Luftwaffe, die ihren Stützpunkt auf der japanischen Insel Okinawa verließen. Dass zugleich fünf Tankflugzeuge abhoben, spricht für eine sorgsam geplante Mission in entfernteren Regionen. Aktiv waren da weitere US-Maschinen. Neben einem Awacs-Aufklärer drehte ein RC-135-Spionageflugzeug seine Runden. Die Navy schickte zwei Patrouillenmaschinen. Dass man die Situation für bedrohlich hielt, zeigt außerdem der Einsatz einer »Hercules«, die speziell für Rettungseinsätze unter Kampfbedingungen optimiert ist. Auch eine zwischen dem nördlichen Ende der Philippinen und dem südlichen Ende Taiwans operierende maritime Kampfgruppe, zu der ein atomar betriebener Flugzeugträger sowie zwei große amphibische Angriffsschiffe gehören, war in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Taiwan-Besuche von US-Politikern haben noch nie zur Entspannung beigetragen. Als Dwight D. Eisenhower im Juni 1960 in Taipeh landete – es war der bislang einzige Besuch eines amtierenden US-Präsidenten auf der Insel – beschoss Chinas Volksbefreiungsarmee die von Taiwan beanspruchten Kinmen-Inseln. Fortan vermied es Washington, Peking solche Anlässe zur Verschärfung der Lage zu bieten. Bis der Republikaner Newt Gingrich – damals im gleichen Amt wie Pelosi heute, später einer der wichtigen Verbündeten von Präsident Donald Trump – im Jahr 1997 zündelte. Zu seiner »Begrüßung« schoss Chinas Armee ein paar Raketen ins Meer. Als Reaktion schickte der damalige US-Präsident Bill Clinton zwei Flugzeugträger in die Region.

Das Weiße Haus zeigte sich, kaum dass Pelosis Reisepläne bekannt geworden waren, sehr besorgt. Man sprach von »keiner guten Idee«. Vermutlich auch, weil die USA China als einen möglichen Vermittler in der bewussten »Ukraine-Sache« sahen. Vorbei! Ob Russland das als zusätzliche Chance für seine übergriffige Politik betrachtet, wird man sehen. Der Kreml erklärte sich jedenfalls umgehend solidarisch mit Peking und warnte süffisant, Pelosis Trip könne Washington »auf Kollisionskurs« mit Peking bringen.

Auch dass der Besuch das gerade laufende Außenministertreffen der zehn Asean-Staaten überschattet, bei dem sich in Kambodschas Hauptstadt der chinesische Außenminister Wang Yi und sein US-Kollege Antony Blinken nicht aus dem Weg gehen können, ist wider offizielle US-Interessen. Deshalb machte Präsident Biden vorab in Gesprächen mit chinesischen Beamten fast entschuldigend klar, der US-Kongress treffe – wie seine Sprecherin – »eigenen Entscheidungen«. Was wiederum Bidens Sprecher, John Kirby, ins Schwitzen brachte. Der versuchte zu erklären, dass Pelosis Besuch »völlig konsistent« mit der langjährigen Politik der Vereinigten Staaten gegenüber China und Taiwan sei und nichts an der bisherigen »Ein-China-Politik« ändere. Ob Peking diese politischen Pirouetten mit Höchstnoten bedenkt, bleibt abzuwarten.

Nach Pelosis Inselstreich beklagt man in Washington, dass Peking »eine Reihe von höchst provokativen Militäroperationen« angekündigt habe. The same procedure as every year …? Kaum. China habe sich »positioniert« und man erwarte, dass sich die angekündigten »Konsequenzen« über einen längeren Zeitraum erstrecken, sagte Kirby in Washington.

Angemerkt werden muss: Die beiden Weltmächte USA und China sind für knapp 52 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich. Washington gibt dafür rund 801 Milliarden Dollar (746 Milliarden Euro) aus. Das sind knapp 38 Prozent der weltweiten Verschwendung. Mit 293 Milliarden Dollar (273 Milliarden Euro) – und somit einem Anteil von fast 14 Prozent – folgt China.

Macht Peking nun seine als Revanche gedachten Manöver-Ankündigungen wahr, bleibt es diesmal wohl nicht bei einigen symbolischen Raketenstarts, die nach wenigen Tagen vergessen sind. Die sechs ausgewiesenen Übungsgebiete, in denen Pekings Soldaten mit scharfer Munition hantieren, sind politisch höchst grenzwertig. Abermals im Blick sind die zu Taiwan gehörenden, aber nur zehn Kilometer östlich der chinesischen Küste liegenden Kinmen-Inseln. An seiner Küste davor mobilisiert China sichtbar amphibisch ausgerüstete Heereseinheiten. Man requirierte zivile Flugplätze fürs Militär und schickte Marineeinheiten aus. Pekings erneute Bemerkung, dass die Taiwanstraße keine internationale Wasserstraße sei, lässt sich als Androhung einer Blockade werten. Und als sei das alles nicht genug, will es der »Zufall«, dass »jemand« die Website des taiwanesischen Präsidentenbüros kaperte. Kein Wunder also, dass manch Sicherheitspolitiker sich an die Okkupation der Krim und die Etablierung von »Volksrepubliken« auf fremden Territorien erinnert. Also Putins Aggressionspolitik als Blaupause? Bei allem Respekt, das ist zu viel Ehre für Nancy Pelosi.

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