Fressfeind im Nacken

Jordan Peele schafft mit »Nope« erneut einen Horrorfilm, der Maßstäbe setzt

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Film ist durchtränkt von medienhistorischen Verweisen, aber ein Ufo ist ein Ufo ist ein Ufo.
Der Film ist durchtränkt von medienhistorischen Verweisen, aber ein Ufo ist ein Ufo ist ein Ufo.

Vielen Filmkritiker*innen gilt Jordan Peele seit »Get Out« und »Us« als der beste Horror-Regisseur aller Zeiten oder zumindest der letzten zwei, drei Jahrzehnte. Abgesehen davon, dass solche Maximalurteile nicht sonderlich verbindlich und meist schnell vergessen sind, kann man an ihnen aber doch ablesen, dass hier einer etwas getroffen hat, worauf die Kritik und im besten Fall auch das Publikum gewartet haben. Dass also, wie bewusst auch immer, ein Sehbedürfnis vorlag, auf das diese Filme eine Antwort formuliert haben. Jordan Peele reagiert im Übrigen auf das Maximallob, in diesem Fall eines Fans, per Twitter freundlich-abwehrend: »Ich liebe deinen Enthusiasmus, aber ich werde keine Beschimpfung von John Carpenter dulden.«

»Get Out« und »Us« sind bildmächtige und affektintensive Horrorfilme, die einen Subtext formulieren, der sich, wie es in »Buffy the Vampire Slayer« heißt, als »rapidly becoming a text« beschreiben lässt, also nicht überlesbar ist. Und hochkomisch und ironisch sind beide außerdem, im selben Maße wie sie es ernst meinen. »Get Out« erfindet eine Konstellation, in der gegenwärtige Formen von Alltagsrassismus durchdekliniert werden können: Eine wohlhabende, liberale Middle-Class-Familie macht die Körper von Schwarzen nutzbar, indem sie sie als Hüllen und damit als Möglichkeit ewigen Lebens ausbeutet. Eine radikale Form von Ausbeutung, die in der Logik des Films einen positiven Rassismus zur Voraussetzung hat (die Schwarzen Körper gelten als sportlicher, kräftiger, sexier). »Us« wiederum erzählt von der Erhebung derer, die nach Brecht im Dunkeln leben. In eine Art Vorhölle verbannte Doppelgänger von uns, die an die Oberfläche kommen und den Krieg beginnen. Ein prägnantes Bild, das im letzten Drittel des Films dann leider zerfasert.

Jordan Peeles erste beiden Filme verbanden clever und witzig Horror-Topoi und, um es traditionell zu formulieren, Gesellschaftskritik. Was den Klassikern des modernen Horrorfilms ab den späten Sechzigerjahren zuerst eher versehentlich unterlief und in sie hineingedeutet werden musste, hat sich zu einem genretypischen Erzähl- und Rezeptionsmodus entwickelt. Die Monster sind nicht mehr schlicht Metaphern für verdrängte Sexualität, wie noch zu Zeiten des klassischen, freudianisch strukturierten Horrorfilms, sondern Figuren, in denen Klassen-, Race- und Genderfragen ihre Bilder finden.

Wenn nun also mit »Nope« drei Jahre nach »Us« der dritte Film Peeles in die Kinos kommt, sind die Erwartungen entsprechend hoch. Zumal im Gefolge von »Get Out« die Zahl an bedeutungsvollen, metaphernlastigen Filmen im Genre arg gestiegen ist, was den Filmkritiker AA Dowd im »Guardian« zu einer Polemik gegen Filme veranlasste, in denen der Subtext quasi ins Zentrum gerückt ist: »Ein zunehmend ermüdender Trend in Horror-Filmen, die mehr wie Dissertationen wirken.«

»Nope« müsste Dowd dann aber eigentlich gefallen. Das Auffälligste im Vergleich zu seinen Vorgängern ist, dass Peele hier keine Zentralmetapher mehr auffährt, von der aus sich das Geschehen entfaltet, sondern vom Plot ausgeht. Und der will erst einmal nicht mehr sein als eine gerade weg erzählte Geschichte über ein außerirdisches Wesen, das in einer Wolke vor Los Angeles umherschwebt und die karge Landschaft als sein Jagdterritorium definiert hat.

Wenn es hungrig wird, saugt es die Lebenden in sich ein und spuckt die Überreste über der weiten Landschaft aus. Der Film funktioniert als Spannungskino wunderbar und borgt sich einige Inszenierungsstrategien aus »Der weiße Hai«. Auch in dem Sinne, dass das Trio und später das Quartett, das hier den Kampf aufnimmt, wie auch schon bei Spielberg, keine Staffage ist, sondern sich aus Charakteren zusammensetzt (vor allem von Daniel Kaluuya und Keke Palmer als Geschwisterpaar), denen man auch ohne Fressfeind im Nacken stundenlang zuschauen könnte.

Ganz ohne Diskurs geht es dann aber auch nicht. OJ Haywood (Kaluuya) und seine Schwester Emerald (Palmer) bewirtschaften nach dem Tod des Vaters eine Pferdefarm. Die Tiere werden an Hollywood-Produktionen vermietet. Peele nutzt den ausführlichen ersten Akt von »Nope« unter anderem für Exkurse über den vergessenen Beitrag von Schwarzen zur Geschichte des Kinos.

Emerald erklärt, dass in Eadweard Muybridges filmhistorisch entscheidender chronofotografischer Bildserie »The Horse in Motion« von 1878 ein Schwarzer zu sehen sei. Überhaupt ist »Nope« durchtränkt mit medienhistorischen Verweisen und Reinszenierungen von Vergangenem, das hier entweder als traumatisch oder als auf trashige Weise abgelebt codiert ist. Die beklemmendste Szene ist ein Rückblick, den es für den eigentlichen Plot nicht bräuchte, der aber trotzdem ins Zentrum des Films rückt. Sie spielt in einem Fernsehstudio und ist eine der effektivsten Animal-Horror-Sequenzen in der Genregeschichte.

Zuallererst aber ist »Nope«, gerade weil er sich viel Zeit nimmt und in den ersten zwei Dritteln in angenehm gemächlichem Tempo erzählt ist, sehr unterhaltsam und hat mit seiner Lust am Leerlauf und an Details immer wieder etwas Tarantinoeskes. Ein Eindruck, der sich vielleicht auch wegen der kinogeschichtlichen Verweise einstellt. Im Finale aber fährt Peele dann eine Actionsequenz auf, die »Nope« schon jetzt zu einem der unterhaltsamsten Filme des Jahres werden lässt.

»Nope«: USA 2022, Regie und Drehbuch: Jordan Peele. Mit: Keke Palmer, Daniel Kaluuya, Steven Yeun. 130 Minuten, Start: 11.8.

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