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»Gefährliche Geschichtsfälschung«
Die Wissenschaftlerin Dana Mahr erhält Drohungen, weil sie über trans Menschen im NS aufklärt
Dana Mahr erlebt gerade einen brutalen Angriff auf sich und ihre Familie – Drohungen auf Social Media, Beschwerden an ihren Arbeitgeber, Veröffentlichung ihrer Adresse. Die Mediensoziologin kämpft gegen die Behauptungen der umstrittenen Biologin Marie-Luise Vollbrecht und ihrer Mitstreiter*innen an, insbesondere gegen Aussagen, die die Verfolgung von trans Menschen während des NS-Regimes infrage stellen. »Was ich in den letzten Tagen auf Twitter gesehen habe, ist eine gefährliche Geschichtsverfälschung«, sagt Mahr gegenüber »nd.DerTag«.
Seit Ende Juli läuft auf Twitter eine Debatte zu diesem Thema, an der auch der »Taz«-Redakteur Jan Feddersen teilnahm. »Im Nationalsozialismus wurden weder lesbische Frauen noch Trans Menschen verfolgt, kastriert, mit dem Rosa Winkel versehen, getötet. Die es traf, waren, nach heutigem Sprachgebrauch, schwule Männer, keine Queers oder queere Männer«, tweetete er. Inzwischen ist der Beitrag in Deutschland nicht mehr sichtbar, denn Twitter hat ihn mit Verweis auf hiesige Gesetze zurückgezogen.
Mit zahlreichen wissenschaftlichen Argumenten gegen diese Behauptungen konterte auf Twitter der Historiker Bodie A. Ashton. »Das Abstreiten der Geschichte einer Gruppe ist ein oft wiederholter erster Schritt, um dieser Gruppe die Existenzberechtigung abzusprechen«, warnt er im Gespräch mit »nd.DerTag«. »Hier wird mit dem Feuer gespielt«, meint auch Mahr: »In Deutschland muss noch viel Aufklärungsarbeit zu den biopolitischen Verbrechen des Nationalsozialismus geleistet werden.«
Ein Blick auf die Geschichte verrät, dass Menschen, die von sexuellen und geschlechtlichen Normen abwichen, unter dem NS-Regime je nach biologischem Geschlecht unterschiedlich behandelt wurden. Während der Paragraph 175 explizit Sex zwischen Männern verbot, wurde mit weiblicher Homosexualität anders umgegangen: »Eine wachsende Zahl an Wissenschaftler*innen hat ihre Aufmerksamkeit auf die Verfolgung von lesbischen Frauen gelenkt, auch wenn diese Verfolgung oft unterschätzt wurde, weil es keinen ›formalisierten‹ Apparat gab, der sich gegen Frauen richtete wie der Paragraph 175 gegen Männer«, sagt Ashton. In der Forschung werde klar, dass das NS-Regime viele verschiedene Strategien anwandte, um die anzugreifen, die von strikten gesellschaftlichen Vorstellungen abwichen. So wurden lesbische Frauen, trans Männer und andere queere Menschen, die als Frauen galten, oftmals überwacht und aufreibenden Verhören unterzogen – eine Form von Kontrolle, die »im größeren Rahmen der nationalsozialistischen Verfolgung« verortet werden muss.
Personen, die wir heute als trans verstehen würden, werden in den Gesetzen nicht explizit erwähnt, waren aber aufgrund der engen Verflechtung von Sexualitäts- und Geschlechtsnormen in der Naziideologie nichtsdestotrotz in Gefahr. Die starren Vorstellungen von Sexualität, die bestimmten, was als »normal« und was als »abnormal« galt, basierten auf ebenso unnachgiebigen Geschlechterrollen, die keinerlei Spielraum für trans Personen ließen. Der Begriff »Homosexualität« wurde daher auch für Menschen gebraucht, die von Geschlechtsnormen abwichen, wodurch gerade trans Frauen wie homosexuelle Männer verfolgt wurden. »Es ist wichtig, dass wir uns an die Opfer der NS-Verfolgung als die Menschen erinnern, die sie waren, und nicht als die, als die sie Nazis charakterisiert haben, um ihre Verfolgung zu rechtfertigen«, sagt Ashton.
Der Transvestitenschein, den Ashton »lediglich ein Überbleibsel aus der Weimarer Republik« nennt, wird oftmals als scheinbarer Beleg der akzeptierenden Haltung des NS-Regimes gegenüber trans Menschen genannt. Doch das entspricht nicht den historischen Gegebenheiten, zumal der Schein »keinen nennenswerten Schutz vor Verfolgung durch die Nationalsozialisten bot«, so Ashton.
Dazu kommt, dass mit der Zerstörung des Institutes für Sexualwissenschaft, das vom Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld gegründet wurde, auch zeitgenössisches Wissen über trans Menschen aktiv beseitigt wurde. In dem Institut fand Forschung zu den Themen Sexualität und Geschlecht statt, die ihrer Zeit weit voraus war. Zum Beispiel wurden trans Personen in ihrem Geschlecht anerkannt. Doch mit der Bücherverbrennung von 1933 wurde ein großer Teil dieser Arbeit zunichte gemacht. »Mit dem Verlust der Bibliothek gingen bahnbrechende Forschungsarbeiten verloren, und diese Lücke hat auch dazu geführt, dass diejenigen ermutigt wurden, die eine langjährige und historisch belegbare Geschichte von trans Menschen leugnen wollen«, erklärt Ashton.
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