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  • Kinofilm "Republic of Silence"

Lautes und leises Schweigen

Die syrische Regisseurin Diana El Jeiroudi filmt sich über zwölf Jahre. Es entstand ein politisches und persönliches Zeitdokument

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 5 Min.
Diana El Jeiroudi zeigt aktives und passives Schweigen in einem Land im dauerhaften Kriegszustand
Diana El Jeiroudi zeigt aktives und passives Schweigen in einem Land im dauerhaften Kriegszustand

»Ich bin nicht stumm, aber ich schweige. Ich kann nichts sehen, aber ich bin nicht blind«, schreibt Diana El Jeiroudi in einem Kommentar zu ihrem Film. Verordnetes Schweigen, Kontrolle über Sprache und Bilder, Gedanken, die man nur im Privaten artikulieren darf, das Fehlen einer echten politischen Öffentlichkeit, in der innere Konflikte des Landes geregelt ausgetragen werden. Davon handelt der Film »Republic of Silence«, auf eine sehr, vielleicht zu sehr persönliche Weise.

Diana El Jeiroudi hat lange Zeit in Berlin gelebt, ihre Heimat ist Syrien. Geprägt von den Zuständen dieses Landes, der Kontrolle des öffentlichen Raums, eines anhaltenden Bürgerkriegs, der Angst, Menschen durch konsequentes Handeln in Gefahr zu bringen, setzt sie der politischen Wirklichkeit ihre Biografie entgegen. Das Material, das man zu sehen und zu hören bekommt, ist weit gestreut. Es reicht von den ältesten Erinnerungen an das Alter von sieben Jahren, als der Vater ihr die erste Kamera schenkt, bis in die Jetztzeit, da sie mit ihrem Mann in Berlin lebt. Wie auch Linklaters »Boyhood« (2014) entstand »Republic of Silence« über einen Zeitraum von zwölf Jahren hinweg. Umso merkwürdiger ist, dass die Darstellungsform dieses Films mit diesem Pfund nicht wuchert.

Selbst unter den Maßgaben des Montageprinzips wirkt er enorm sprunghaft. Es fehlt ein ordnendes Prinzip. Die einfachste Ordnung ist immer die Chronologie, doch »Republic of Silence« reiht seine zahllosen Szenen scheinbar wahllos aneinander, wir hetzen von der jüngeren Vergangenheit in die Gegenwart, von dort in die tiefe Vergangenheit, dann wieder zurück und so weiter. Das Material wirkt breit und vielfältig, aber die zwölf Jahre Arbeit sieht man nicht.

Eine andere Möglichkeit der Ordnung wäre das Gedankliche gewesen. Hierzu fehlt allerdings das Voiceover. Gerade dieses Aggregat der tausend Facetten hätte eines Kommentars bedurft, und gerade weil diese Dokumentation nicht dramatisch ist, keine Handlung das Ganze zusammenhält, kann sich durch die Vielzahl subjektiver Momente keine Totalität herstellen. Der Zuschauer findet einen Sinn, der jenseits der einzelnen Szenen läge, nicht und erhält ebenso wenig eine Orientierung. Alles bleibt impressionistisch, momentan, flüchtig. Auf die Art spielt der Film mit einem Effekt der Kunst überhaupt. Wenn im ästhetischen Zusammenhang ein Element auftaucht, das sich nicht gleich einordnen lässt, heischt es Bedeutung. Auch dann, wenn es keine hat. Alles ist bloß Perspektive. Folgerichtig beginnt das Ganze mit dem Satz: »Das ist mein Standpunkt«, und die unvermeidliche Handkamera widerspiegelt den intendierten Impressionismus.

Mit dem Motiv des Schweigens wird allerdings subtil gespielt. Das Fehlen des Voiceover ist in diesem Zusammenhang sichtbar. Die Regisseurin zeigt uns, was sie sagen möchte und sagt es nicht. Auch die Intervalle aus Zwischentiteln, die an die Stummfilmzeit erinnern, erzeugen einen Sinn in Bezug auf das Thema. Der Film eröffnet mit einem effektvollen Wechsel von Lärm und Stille. Die Stille enthält das Schweigen, der Lärm übertönt jedes Wort. Das Szenario des Films, die Geschichte Syriens, hat durchweg diese beiden Seiten. Vom Machtantritt Assads, seinen Versprechen beim Amtseid, über die Zeit der Volksaufstände bis hinein in den Bürgerkrieg wird dieser Widerspruch aus gesellschaftlicher Wirklichkeit und falscher oder unterdrückter Rede darüber durchgespielt.

Wenn alle Ansprachen gleich sind, heißt es irgendwann, verlieren die Leute die Hoffnung. Weil Worte dann eben nichts mehr bedeuten. Während eines Bombenangriffs sagt eine Mutter ihren Kindern: »Alles ist gut, solange man die Bomben einschlagen hört.« Man stirbt nicht durch die Bombe, die man hört. Überhaupt dieser Alltag des Bürgerkriegs. Ein Mann geht über ein offenes Gelände. Er sagt, dass die Chancen gerade gut stehen, weil die Schützen zu anderen Zeiten schießen. Man kann das Gebäude gegenüber lebend erreichen. Er redet darüber wie über Ladenöffnungszeiten. Aber der Kameramann sollte sein Arbeitsgerät verbergen. Im Haus dort vorn ist immer ein Scharfschütze postiert, und man weiß nie, was er heute vorhat. In solchen Momenten wächst der Film über sich hinaus. Ohne bemühtes Dozieren, ohne jede prätentiöse Geste vermittelt sich, was es bedeutet, unter einem Bürgerkrieg zu leben.

Das Schweigen, wie angedeutet, kann aktiv oder passiv sein. Syrien erscheint als verdeckte Monarchie. Der ursprünglich von links kommenden Baath-Partei sind Wahlen eine Legitimation, den Thron aber besteigt der Sohn des verstorbenen Herrschers. Sein Wahlsieg war seltsam hoch in einem Land, dessen große innere Konflikte allenthalben spürbar sind. Auch das ein Moment des Schweigens: dass es eine erkennbare politische Wirklichkeit gibt und zugleich eine politische Verkehrssprache, die eine andere politische Wirklichkeit behauptet.

So beziehungsreich das allerdings alles ist – und der Zuschauer muss eine Menge Aufmerksamkeit aufbringen, die Bedeutung der losen Teile auf das Ganze zu beziehen –, so sehr verbleibt dieser Film im bequemen Narrativ der westlichen Zivilgesellschaft. Wir sehen eine autoritäre Herrschaft, wir sehen ihre Schrecknisse. Die Gründe für ihre Herausbildung sehen wir nicht. Der politisch-historische Kontext bleibt im Finstern, wenn man einen unreflektierten, nur positiven Freiheitsbegriff jede andere Fragestellung abtöten lässt. Dass die Form der Autokratie nicht Ursache der Misere, sondern selbst schon ihr Ausdruck ist, dass sie als naturgemäße Folge einer Oligarchie von Clankämpfen entsteht, dass ausgerechnet der Irak, das Nachbarland Syriens, gezeigt hat, dass die Beseitigung eines grausamen Regimes nur das Regime und nicht die Grausamkeit abschaffen konnte, diese vielmehr noch vergrößert und in ein behemothisches Chaos überführt, das übersteigt den Horizont dieser Dokumentation.

»Republic of Silence«: Deutschland, Frankreich, Syrien, Katar, Italien 2021. Regie und Drehbuch: Diana El Jeiroudi. 183 Minuten, Start: 11.8.

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