Verkehrte Welt

Möbel- und Monsterdarsteller unterwegs: Das Clownsstück »Hinz und Kunz« bringt Bertolt Brecht und Heiner Müller in die ostdeutsche Provinz

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 5 Min.
Es geht um Königswürde und Narrentum - und um das »als ob«
Es geht um Königswürde und Narrentum - und um das »als ob«

Zwei Jedermanns tauchen auf dem Hettstedter Kirchplatz auf und machen Faxen. Eine Hanswurstiade erwartet das Publikum, das auf den breiten Stufen Platz genommen hat. »Hinz und Kunz«, so heißt die Produktion mit Texten von Heiner Müller und Bertolt Brecht, in der mit Clownerie und Körperkunst Königswürde und Narrentum den Platz wechseln. Das zweite Jahr in Folge reiste die Truppe um den Berliner Regisseur Benjamin Zock ins Mansfelder Land. Letztes Jahr spielte man in einem größeren Team »Die Fahne von Kriwoj Rog« nach einer Fassung von Heiner Müller und brachte diese antifaschistische Erzählung um Arbeitskampf und nationalsozialistische Repression an den Ort des Geschehens zurück. Hettstedt liegt 40 Kilometer von Halle entfernt. Am kommenden Sonntag geht es mit »Hinz und Kunz« in die Priegnitz, ins Dörfchen Flecken Zechlin in der Nähe von Wittstock.

Diesmal spielen nur zwei Leute mit: Rahul Chakraborty und Luise Grell. Sie brauchen nur wenig Staffage. Das Duo, das die widerstreitenden Figuren Hinz und Kunz darstellt, bringt selbst unterschiedliche Fähigkeiten auf die Szene. Chakraborty, der schon auf den Bühnen des Deutschen Theaters und des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin stand und auch im Fernsehen spielt, konnte wohl noch einiges von seiner Kollegin Grell lernen. Die Clownin und Zirkuskünstlerin weiß, wie sie mit akrobatischen Bewegungen und komischer Körperlichkeit Figuren zum Leben erweckt.

Hinz und Kunz, die deutschen Jedermanns, die hier wie Harlekin oder Hanswurst als karnevaleske Strukturfiguren fungieren sollen, schlüpfen in der einstündigen Aufführung in neue Rollen und laufen in pantomimischen Szenen und Slapstick-Einlagen über den Platz. Die Aufführung basiert auf zwei Dramen, aus denen die Darsteller Szenen spielen. Es geht ums gleiche Sujet der komischen Verkehrung: Es gibt den einen, der herrscht, und den anderen, der diese Autorität auf die Probe stellt.

Der Einakter »Der Bettler oder Der tote Hund« von Bertolt Brecht setzt im Moment ein, in dem ein siegreicher Kaiser auf einen armen Schlucker trifft. Für den Bettler, dessen Hund in der Nacht zuvor gestorben ist, zählt der Siegeszug des Monarchen nichts. Der blinde Mann kennt alle Geschichten und herrscht im Urteil über den Herrschenden. »Der Zügel meint auch, er beherrscht das Pferd, der Schnabel der Schwalbe meint, er lenkt sie, und die Spitze der Palme meint, sie ziehe den Baum nach sich in den Himmel!«, wird der Kaiser belehrt, der sich für gnädig hält, weil er verweilt. Dabei ist er nur der Zeitvertreib für den Bettler, der seinen toten Hund vergessen will.

Im Stücktext »Germania Tod in Berlin« von Heiner Müller sind es zwei Clowns, die den von Hämorrhoiden geplagten König von Preußen und einen Müller aus Potsdam spielen, dessen Mühle im Auftrag der Majestät verlegt werden soll. Ausgestellt wird das »als ob«, das die Distanz für den schnellen Rollenwechsel schafft. Hinz und Kunz verwandeln sich in Stühle, Hunde und Schlösser. Nicht als Menschendarsteller, auf der Suche nach Innerlichkeit, sondern als Möbel- oder Monsterdarsteller, wie es sich Herbert Fritsch für seinen Berufsschlag einmal wünschte, treten sie auf.

Kommt zu wenig Publikum zu »Hinz und Kunz«, geht das clowneske Schauspiel nicht immer auf. In Hettstedt verpuffen viele Witze im weiten Raum, in dem keine ausgelassene Stimmung aufkommen will. Die Schauspieler*innen gehen durch die Reihen der Zuschauer*innen, animieren in kleinen, bilateralen Aktionen und können so ein paar komische Glücksgriffe landen. Vereinzelt treten Menschen im Verlauf hinzu, um zu sehen, was vor sich geht. Dann wird improvisiert und sie werden überschwänglich eingebunden. Eröffnet wird der Abend mit einem Hinweis auf den Krieg in der Ukraine, ein vager, gesellschaftskritischer Ton erklingt, der auch im gespielten Dramentext diffus bleibt. Die assoziative Inszenierung knirscht noch in den Übergängen, vor allem wenn das Publikum wenig zurückgibt. Doch eine kleine Gruppe Zuschauer*innen bleibt nach dem Schlussapplaus zurück, um mit den Künstler*innen ins Gespräch zu kommen, die sie noch vom letzten Jahr kennen.

Sie seien »ein kleines Häufchen von Kulturinteressierten in einer immer kleiner werdenden Stadt«, sagt eine von ihnen, während die Schauspieler*innen nach ihrem Arbeitsprozess ausgefragt werden. In diesem Gespräch wird klar: Die Reise hat sich gelohnt. So sah es auch bei der Premiere in der JVA Volkstedt aus, wo die Theatertruppe mit offenen Armen empfangen wurde. Aufmerksam und begleitet von viel Gelächter verfolgten die Inhaftierten das Schauspiel und lobten im Interview mit dem MDR den politischen Inhalt.

Brechts und Müllers Texte und vor allem ihren antikapitalistischen Gegenstand auch jenseits der Theatersäle aufzuführen, war bei der Inszenierung von »Die Fahne von Kriwoj Rog« ein wichtiges Anliegen des Regisseurs. Heiner Müller funktioniere im Südharz nicht, meinte man vor über einem Jahr zu ihm. Dabei handelt Müllers Fernsehkammerspiel von einem Stück Lokalgeschichte in einer Zeit, als die Menschen in der von hoher Arbeitslosigkeit geschlagenen Region noch im Bergbau tätig waren. Nun brachte er den Autor im Gefolge Brechts zurück ins Mansfelder Land.

Nächste Vorstellung: Sonntag, 19 Uhr in Flecken Zechlin bei Wittstock/Dosse, Festplatz Klein Eichen, Dranser Str.

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