Taiwans neuer Normalzustand

China verkündet neue Militärübungen wegen US-Delegation

  • Fabian Kretschmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser Tage erscheint das Kräftemessen rund um Taiwan wie ein einstudiertes Ritual, das sich keine zwei Wochen nach dem umstrittenen Besuch von Nancy Pelosi von vorn wiederholt: Nachdem mit Senator Ed Markey eine weitere US-Delegation in Taipeh eingetroffen ist, hat Chinas Militär erneut Manöver angekündigt. Die Volksbefreiungsarmee werde sich »für einen Krieg vorbereiten« und ausländische Einmischungsversuche niederschlagen, sagte Sprecher Wu Qian am Montag.

Es bleibt zumindest zu hoffen, dass das Säbelrassen der Streitkräfte nicht so drastisch ausfällt wie zu Beginn des Monats, als die chinesischen Truppen elf ballistische Raketen abfeuerten und eine Invasion der Insel simuliert haben. Dabei kamen die Streitkräfte Taiwans Küste bis auf wenige Kilometer nahe.

Doch ungeachtet dessen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass sich die anhaltende Taiwan-Krise wohl über Monate, möglicherweise gar Jahre hinziehen wird. Dass es zum jetzigen Zeitpunkt zu einem offenen militärischen Gefecht kommt, gilt zwar als unwahrscheinlich – aber ein zähes Kräfteringen in Form von regelmäßigen Manövern und eine Verschärfung der psychologischen Kriegsführung sind nahezu vorprogrammiert. Zudem ist davon auszugehen, dass westliche Staaten – inklusive der EU – aus Zeichen der Solidarität ebenfalls in immer höherer Frequenz Politiker nach Taiwan entsenden werden.

Der US-amerikanische Gast, der am Montag auch von Präsidentin Tsai Ing-Wen höchstpersönlich empfangen wurde, ist aus Sicht Taipehs nicht nur irgendein US-Abgeordneter, sondern ein Mann mit hohen Verdiensten. Ed Markey, Senator von Massachusetts, ist der einzige noch aktive Politiker, der bereits am »Taiwan Relations Act« von 1979 beteiligt war. Das Gesetz ermöglichte es den USA, trotz des Drucks aus Peking quasi-diplomatische Beziehungen zu Taiwan weiterzuführen – und zwar durch die Eröffnung eines Kulturinstituts, das de facto als Botschaft dient.

Zudem wurde im »Taiwan Relations Act« festgelegt, dass die Inselbevölkerung ihre Zukunft selbstbestimmt entscheiden soll – und jede Gegenmaßnahme auch für die Vereinigten Staaten als »Bedrohung« gewertet wird.

Aus der Ferne betrachtet mag es zuweilen unverständlich erscheinen, warum die zwei Weltmächte der vergleichsweise kleinen Insel von 23 Millionen Einwohnern eine derart große Bedeutung beimessen. Nach außen hin geht es den USA um den Schutz der Demokratie, China hingegen führt bei seinem Machtanspruch historische Gründe auf. Beides mag durchaus genuin sein, greift jedoch zu kurz.

Um die wahre Bedeutung dieses Konflikts zu verstehen, muss man sowohl dessen wirtschaftliche als auch militärische Dimension in Betracht ziehen. Die Taiwan-Straße ist eine der wichtigsten Seerouten der Welt, die nicht ohne Weiteres zu umschiffen ist. Die sogenannte Straße von Luzon – nördlich der Philippinen – gilt aufgrund der ständigen Gefahr von Zyklonen als überaus instabil.

Und militärisch wäre die Kontrolle Taiwans und der umliegenden Gewässer ein regelrechter Durchbruch für die Volksrepublik China, um das Machtverhältnis in der gesamten Region zu kippen. Denn derzeit kann die Volksbefreiungsarmee ihre U-Boot-Flotte aufgrund der zu seichten Gewässer nicht einfach von den Radaren unbemerkt an der japanischen Inselkette gen Pazifik schicken. Dies wäre jedoch möglich, wenn man eine Marinebasis auf Taiwan unterhalten würde.

Als Schutzschild gegen eine chinesische Invasion dient Taipeh nicht nur eine hochmoderne Armee, sondern auch die weltweit führende Halbleiter-Industrie. Allein das Unternehmen TSMC sorgt mit einem globalen Marktanteil von über 50 Prozent dafür, dass China seine wirtschaftlichen Muskeln gegen die Insel bislang noch kaum hat spielen lassen. Denn schlussendlich könnte Taiwan seinem großen Nachbarn fast ebenso ökonomisch schaden wie umgekehrt.

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