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- Abschiebung in Sachsen
Einsam und herzlos entschieden
Sachsens Härtefallkommission soll Fall einer deutsch-vietnamesischen Familie nicht erneut behandeln
Ein seit 38 Jahren in Deutschland lebender gebürtiger Vietnamese soll samt seiner Familie abgeschoben werden. Betroffen wäre auch seine vor fünf Jahren in Chemnitz geborene Tochter. Der wohl letzte Versuch, einen Aufenthaltsstatus für die Familie durchzusetzen, ist dieser Tage gescheitert. Der Vorsitzende der sächsischen Härtefallkommission, der Ausländerbeauftragte und CDU-Politiker Geert Mackenroth, lehnte eine erneute Befassung des Gremiums mit dem Fall ab.
Dessen Tragik sorgt bei Beobachtern regelmäßig für Fassungslosigkeit. Der damals 30-jährige Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR. Nach 1989 habe er sich auch unter veränderten Bedingungen »sein Leben aufgebaut«, sagt die Chemnitzer Ausländerbeauftragte Etelka Kobuß, die sich zuletzt stark für die Familie einsetzte. Pham Phi Son erhielt 2011 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis; er arbeitete in der Gastronomie und galt als gut integriert. Im Jahr 2016 aber unterlief ihm ein folgenschwerer Fehler. Bei einer Reise in sein Herkunftsland überschritt er unbeabsichtigt eine gesetzliche Frist. Laut Gesetz erlischt die Aufenthaltserlaubnis nach sechs Monaten Aufenthalt im Ausland, und zwar selbst bei Menschen, die zuvor mehr als 15 Jahre rechtmäßig in Deutschland gelebt haben, sofern sie dort Sozialleistungen bezogen. Das war bei Pham Phi Son der Fall. Er war wegen einer medizinischen Behandlung neun Monate in Vietnam geblieben. Er gibt an, sich bei der Botschaft rückversichert zu haben, die nicht auf Probleme hinwies. Belege dafür gibt es nicht.
Der Fehler fiel auf, als die Familie Dokumente für die Anfang 2017 geborene Tochter beantragte. Die Ausländerbehörde Chemnitz strich Aufenthaltsberechtigung und Arbeitserlaubnis; die Familie hatte kein Einkommen mehr. Ein Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung. Der Fall gelangte vor die Härtefallkommission. Diese kann für eine Aufenthaltsgenehmigung votieren, wenn das Ausländerrecht das nicht hergibt, es aber »aus humanitären oder persönlichen Gründen dennoch geboten erscheint«. Die letzte Entscheidung trifft Sachsens Innenminister. Das neunköpfige Gremium lehnte ab, dem Vernehmen nach wegen unzureichender Sprachkenntnisse des Vaters. Die Familie tauchte daraufhin unter und kam nur dank der Unterstützung der vietnamesischen Community über die Runden.
Anfang 2022 gab es einen erneuten Vorstoß. Die Familie hatte mittlerweile in Chemnitz eine Wohnung bezogen, die Tochter besuchte die Kita. Der Fall wurde erneut der Härtefallkommission vorgetragen, samt Unterstützerschreiben und Arbeitsangeboten. Ende Juli lehnte Mackenroth in einer von ihm allein getroffenen Entscheidung eine nochmalige Befassung im Gremium ab, wozu er formal berechtigt ist. Er habe auf eine »unveränderliche Sach- und Rechtslage« verwiesen, erklärt Kobuß. Die Chemnitzer »Freie Presse« zitiert Mackenroth mit der Äußerung, es sei »nicht sicher« gewesen, dass es im Gremium diesmal eine Mehrheit gibt oder der Minister deren Votum entspricht.
Die Entscheidung stößt verbreitet auf Empörung. Sie sei »menschlich und moralisch einfach unerträglich«, schreibt Kobuß. Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter, der den Fall Pham Phi Son auf der von ihm betriebenen Internetseite »abschiebung-sachsen.de« darstellt, nennt es »unerträglich«, wie der Chef der Härtefallkommission »einsam über menschliche Schicksale« entscheidet. Der Fall sei ein weiteres Beispiel für die »familien- und kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik«. In der seit 2019 bestehenden Regierungskoalition vermochten es SPD und Grüne bisher nicht, die CDU zu einem Kurswechsel und zu humanitäreren Entscheidungen zu bewegen. Die linke Landtagsabgeordnete Jule Nagel sagte dem »nd«, sie »erwarte« von Mackenroth, dass er sich für eine Einzelfalllösung einsetze. Auch die Chemnitzer Ausländerbehörde und das Innenministerium seien gefordert. »Eine Abschiebung muss dringend verhindert werden, auch weil ein Kind im Spiel ist«, sagte sie. Der Sächsische Flüchtlingsrat will eine Petition auf den Weg bringen, sagte Sprecher Dave Schmidtke auf Anfrage. Etelka Kobuß setzt die letzte Hoffnung ebenfalls darin, die Öffentlichkeit auf den Fall aufmerksam zu machen. »Ob der Aufschrei noch etwas bringt«, fügt sie an, »mag ich zu bezweifeln.«
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