Eine SPD-Tradition der Erinnerungslücken

Schon Peer Steinbrück spielte eine unrühmliche Rolle bei Cum-Ex

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Gerhard Schick glaubt nicht, dass Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Freitag das letzte Mal vorm Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss aussagen wird. »Der Prozess der Aufarbeitung wird weiter gehen«, sagt der Cum-Ex-Experte und Vorstand von Finanzwende. Die Erinnerungslücken nehme er dem SPD-Politiker Scholz nicht ab.

In einer Onlinepetition, die bereits über 10 000 Unterstützer*innen unterschrieben haben, fordert seine Initiative von Scholz, dass er volle Transparenz schafft bezüglich seiner Verstrickungen in den Cum-Ex-Skandal rund um die Hamburger Warburg-Bank. »Mit jeder Veröffentlichung leidet das Vertrauen in die Politik, für das Sie als Bundeskanzler und Demokrat besondere Verantwortung tragen«, heißt es in der Petition.

Dabei war die Warburg-Bank laut Schick zwar ein »relevanter« Teil im Cum-Ex-Skandal, letztlich gab es aber noch weitaus größere Player. »Cum-Ex ist als Thema jahrelang unterschätzt worden. Hamburg ist nur die Spitze des Eisberges«, sagt der ehemalige Grünen-Politiker. Es gebe noch viele weitere Politiker, die sich da an die Nase fassen und längst persönliche Konsequenzen hätten ziehen müssen.

Schick weiß, wovon er spricht. Er beschäftigt sich nicht erst seit gestern mit dem Cum-Ex-Skandal. Ganz im Gegenteil: Als er noch im Bundestag saß, initiierte er einen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss mit. In dem Bundestagsausschuss ging es auch um die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die illegalen Deals um den Dividenden-Stichtag überhaupt so viele Jahre lang möglich waren.

»Das jahrelange Cum/Ex-Treiben war nur möglich durch ein massives Staatsversagen, insbesondere im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), aber auch auf Landesebene«, schrieb Schick im Jahr 2017 in seinem Sondervotum zum Abschlussbericht des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses. Dabei wurde in den Untersuchungen deutlich, dass Kanzler Scholz nicht der erste SPD-Spitzenpolitiker ist, der eine unrühmliche Rolle in dem Skandal spielte.

»Im Zweifelsfall immer der Minister«, räumte Peer Steinbrück damals im Ausschuss auf die Frage ein, wer die politische Verantwortung für das Versagen des Bundesfinanzministeriums übernehme. Der SPD-Politiker war seinerzeit vor den Ausschuss zu geladen, weil er von 2005 bis 2009 eben jenes Ministerium leitet. Letztlich wollte er jedoch nichts falsch gemacht haben.

Dabei warfen so manche Vorgänge im Bundesfinanzministerium unter seiner Leitung pikante Fragen auf. Im Zentrum stand dabei das Jahressteuergesetz 2007 und die Rolle des ehemaligen Finanzrichter Arnold Ramackers. Dieser arbeitete von 2004 bis 2008 als Referent im Ministerium und sorgte dafür, dass die Gesetzeslücke, die Cum-Ex ermöglichte, noch jahrelang weit offen stand.

Auf Ramackers Betreiben wurde im Jahressteuergesetz 2007 zu Cum-Ex eine Regelung fast wörtlich übernommen, die der Bankenverband dem Ministerium vier Jahre zuvor unaufgefordert zugeschickt hatte. Das Problem dabei: Cum-Ex wurde damit nicht gänzlich unterbunden. Die mehrfache Rückerstattung der Kapitalertragssteuer war weiterhin möglich, solange eine ausländische Bank zwischengeschaltet war. Experten zufolge nahm dies die Branche geradezu als Einladung zu weiteren krummen Geschäften.

Für Ramackers zahlte sich die Nähe zum Bankenverband aus. Nachdem er sich Mitte 2008 ein Jahr vor seiner Pensionierung beurlauben ließ, soll er Medienberichten zufolge von dem Lobbyverband einen »Beratervertrag« bekommen haben – dotiert auf 80 000 Euro pro Jahr. Letztlich unmöglich gemacht wurde Cum-Ex erst unter Steinbrücks Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) im Jahr 2012. Doch auch unter ihm gingen ähnlich gelagerte, sogenannte Cum-Cum-Geschäfte bis 2016 weiter.

Peer Steinbrück will als Bundesfinanzminister von dem Treiben nichts mitbekommen haben. »Wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute über die Skrupellosigkeit und die Netzwerke weiß, mit der man den Fiskus zu hintergehen versuchte, hätte man sich anders aufgestellt«, sagte er im Untersuchungsausschuss. Von den Cum-Ex-Deals erfahren haben will er erst durch eine Hausmitteilung Mitte Mai 2009. Es sei damals die Rede gewesen von einem Risiko »erheblicher« Steuermindereinnahmen. Steinbrück will daraufhin auf die Tube gedrückt, auf eine »grundlegende Änderung« gedrängt haben. Doch dann war die Legislaturperiode zu Ende. Die Bundestagswahl 2009 führte zu einem schwarz-gelben Kabinett. Die SPD musste wieder auf der Oppositionsbank Platz nehmen, Steinbrücks vierjährige Amtszeit als Bundesfinanzminister endete im Oktober.

Ob Steinbrücks Version stimmt, ist allerdings nicht ganz klar. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss kam heraus, dass er bereits seit 2006 von Cum-Ex wusste. Damals soll er bei entsprechenden Fachgesprächen anwesend gewesen sein. Als Steinbrück im Untersuchungsausschuss darauf angesprochen wurde, antwortete er nur: »Ich muss über ein Elefantengedächtnis verfügen, um mich an diese Gespräche noch erinnern zu können.« Erinnerungslücken haben bei der SPD offenbar Tradition.

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