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Das Pogrom ist Teil der Stadtgeschichte
Wie sich Vietnamesen und die Stadt Rostock an die Ausschreitungen von 1992 erinnern
Als vor 30 Jahren das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen brannte, war Dan Thy Nguyen sieben Jahre alt. Der in Deutschland geborene Sohn einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie wohnte mehrere hundert Kilometer von Rostock entfernt in einem Asylbewerberheim. »Ich habe an den Reaktionen meiner Eltern gemerkt, dass etwas Schlimmes passiert sein muss«, erzählt Nguyen »nd.derTag«. Rassistische Gewalt hat er als Kind erlebt, erinnert er sich. »Hundeexkremente wurden an das Gebäude geschmiert, Leute zeigten mir den Hitlergruß.« Der Vater hätte mit dem Jungen Selbstverteidigung trainiert, damit er sich im Notfall wehren könne. Das hat ihn geprägt.
Heute ist Nguyen Theaterregisseur und hat die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen zu einem seiner Themen gemacht. Er führte vor Jahren Interviews mit Rostocker Vietnamesen. Das war schwer genug, denn kaum einer der über 100 Vietnamesen, die im August 1992 in ihrem Wohnheim von Nazis mit Brandsätzen angegriffen wurden, von Polizei und Feuerwehr alleingelassen wurden und sich nur über das Dach aus dem brennenden Haus retten konnten, wollte darüber sprechen. Er gewann dennoch Gesprächspartner, daraus sind ein Theaterstück und ein Hörspiel entstanden.
Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vom 22. bis 26. August 1992 war der schwerste rassistische Vorfall in Deutschland seit 1945. Hunderte Rechtsextremisten belagerten die völlig überfüllte Aufnahmestelle für Asylbewerber, tausende Anwohner applaudierten. Nachdem Rostock die Asylsuchenden am Vormittag des 24. August evakuiert hatte, wurde das benachbarte Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter Opfer der Attacken. Dass es keine Toten gab, gelang nur, weil die Vietnamesen eine Wand zum leeren Nachbarwohnheim aufbrachen und sich von dort aus über das Dach in ein Wohnhaus retteten. In ein Hochhaus. Die mit den Vietnamesen eingeschlossenen Sozialarbeiter hatten dort an allen Türen geklingelt. Doch nur zwei Familien hatten vietnamesische Frauen und Kinder in ihre Wohnungen gelassen, die hungrigen und ängstlichen Menschen mit Getränken und Keksen versorgt.
Hat sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen in das kollektive Gedächtnis ostdeutscher Vietnamesen eingeprägt? Eher nicht. Duc Nguyen von der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg sagt ganz offen: »Das Thema haben wir nicht auf dem Schirm.« Die eigenen Rassismuserfahrungen in den 1990er Jahren, einer Zeit, die man heute die »Baseballschlägerjahre« nennt, haben viele Vietnamesen der ersten Einwanderungsgeneration hingegen geprägt. Rostock-Lichtenhagen war kein singuläres rassistisches Ereignis. Es gab die Attacken gegen Wohnheime für Asylbewerber und Vertragsarbeiter in Hoyerswerda 1991, den Mord am Vietnamesen Nguyen Van Tu in Berlin-Marzahn 1992 auf offener Straße und unzählige Vorfälle, die kaum verfolgt wurden. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gab es 28 Überfälle rechtsgerichteter Jugendlicher auf Wohnheime für Asylbewerber und ausländische Arbeitskräfte vor dem August 1992 – mit Steinen, Molotow-Cocktails und Schusswaffen.
Thuy L, Ende 50 aus Berlin, erinnert sich beispielsweise daran, wie er 1991 am S-Bahnhof Schöneweide gemeinsam mit zwei Landsleuten von Rechten geschlagen wurde. »Jemand, den ich gar nicht kannte, hat die Polizei gerufen und wir wurden dann in Polizeibüros gebracht. Wir sollten sagen, was passiert war, aber wir hatten keine Dolmetscher und wir sprachen kaum Deutsch.« Mitten in der Nacht wurden die drei Männer dann wieder auf die Straße gesetzt. »Es fuhr keine S-Bahn mehr. Wir hatten Angst«, erzählt Thuy L. »Die Polizei hätte auch keinen Arzt gerufen, der sich meine kaputte Schulter mal angeguckt hätte.« Am nächsten Tag ging er allein zum Arzt.
Von dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen hat Thuy L. Wochen später erfahren durch einen Brief seiner Eltern aus Vietnam. »Die hatten die Bilder im Fernsehen gesehen. Ich sah damals nicht fern, ich verstand ja kein Deutsch«, sagt er. »Ich musste meine Eltern beruhigen, damit sie sich nicht um mich sorgen.«
Van P. wohnte damals in Chemnitz. Der Mann, Mitte 60, der in der DDR ein Ingenieurstudium absolviert hatte und heute als Dolmetscher arbeitet, sah die Bilder aus Rostock im Fernsehen. »Ich habe mich nicht darüber gewundert«, sagt Van P. »Es war eine schlimme Zeit.« Wenn er über die unmittelbare Nachwendezeit spricht, bekommt seine Stimme einen getragenen Ton. »Es gab auch in Chemnitz viele ausländerfeindliche Vorfälle gegen meine Landsleute«, sagt er. Er selbst habe erlebt, dass Jugendliche auf das Auto gespuckt haben, in dem er saß. Das sei noch einer der harmlosen Vorfälle gewesen. Andere seien zusammengeschlagen worden.
Die Stadt Rostock erinnert mit zahlreichen Veranstaltungen an die Ereignisse vor 30 Jahren. Es gibt eine Gedenkveranstaltung im Rathaus mit dem Bundespräsidenten, eine Fotoausstellung, Stadtrundgänge durch Lichtenhagen mit historischen Erklärungen und Workshops für Schüler. »Das Pogrom ist Teil unserer Stadtgeschichte«, sagt der stellvertretende Oberbürgermeister Chris von Wrycz Rekowski. »Für uns und alle nachfolgenden Generationen bleibt die wichtige Aufgabe, Rassismus und Hetze gegen nationale, religiöse und ethnische Minderheiten zu verurteilen. Dieser Teil unserer Geschichte darf sich nie wiederholen.«
Bei der Gedenkveranstaltung vor zehn Jahren hatte eine einzige Rostocker Vietnamesin auf der Ehrentribüne neben dem Bundespräsidenten gesessen: Phuong Kollath. Sie war die Einzige, die damals dazu bereit war. Dem »nd« sagte sie damals: »Da will ich mich zeigen. Das ist mir wichtig.«
Als das Sonnenblumenhaus brannte, war Phuong Kollath mit einem deutschen Mann verheiratet, Mutter einer kleinen Tochter. Sie wohnte nicht mehr im Wohnheim. Aber das Pogrom war präsent, erzählte sie vor zehn Jahren dem »nd«. Sie kochte damals in der Küche eines Kindergartens und eine Kollegin, die mit einem Polizisten verheiratet war, »schimpfte auf die blöden Ausländer, wegen denen ihr Mann nicht in den Urlaub fahren durfte.« An den Abendstunden half Kollath am Imbiss ihres Mannes aus. Dort hätten glatzköpfige Männer geprahlt, wie sie tagsüber »Zigeuner und Fidschis« gejagt hätten, erzählte Kollath. Und sie hätten in ihre Richtung den Hitlergruß gezeigt. »Ich hatte Angst.« Angst hatte sie auch, als sie Tage nach dem Pogrom mit ihrer Tochter im Arm das verkohlte, menschenleere Sonnenblumenhaus besuchte. Der Brandgeruch erinnerte sie an den Krieg in Vietnam.
Heute will Phuong Kollath mit den Medien nicht mehr über ihre Erinnerungen von vor 30 Jahren sprechen. Sie hätte in 30 Jahren schon so viel gesagt, sagt sie. Das hatte sie nicht nur in zahlreichen Medien, sondern auch auf politischen Foren und auf der Bühne zweier Berliner Theater, wo sie in dokumentarischen Stücken sich selbst spielte. »Ich will und kann das nicht mehr.«
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