Ein Friedensfest im Krieg

Kerstin Kaiser vom ehemaligen Moskauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung tritt in Strausberg auf

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Brandenburgs frühere Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser ist zurück in Strausberg (Märkisch-Oderland). In der Stadt bei Berlin hat die 62-Jährige, die einst in Leningrad Slawistik studierte, lange gewohnt, bevor sie am 29. Februar 2016 ihr Landtagsmandat niederlegte und kurz darauf die Leitung des Moskauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung übernahm. Seit etwa anderthalb Wochen wohnt sie wieder in Strausberg. In Russland wurde politischen Organisationen aus dem Ausland die Arbeit unmöglich gemacht.

Nun tritt Kaiser am kommenden Samstag um 11 Uhr beim Strausberger Friedensfest ihrer Partei auf und kann dort hautnah berichten. Ihr Thema: »Krieg in der Ukraine: Linke Perspektiven«. Es ist gleich der erste Programmpunkt nach der Eröffnung des Festes durch den Kreisvorsitzenden Niels-Olaf Lüders.

Friedensfest, das klingt seltsam – jetzt im Krieg, der Europa aufwühlt und der mit eintreffenden Flüchtlingen, steigenden Energiepreisen, Gasknappheit, Aufrüstung und Waffenlieferungen auch an Deutschland nicht spurlos vorbeigeht.

Seit 1991 gibt es das Strausberger Fest, organisiert zunächst von ehemaligen Offizieren der Nationalen Volksarmee der DDR. Immer hat es seitdem stattgefunden, wenn auch mit einer über die Jahre abnehmenden Besucherzahl und mit einer Ausnahme: 2020 bildete Die Linke wegen der Corona-Pandemie ersatzweise eine Menschenkette für den Frieden, bei der man sich zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht bei den Händen fasste.

Das kommende Friedensfest wird in verschiedener Hinsicht ein ganz anderes sein, als man es bisher kannte, »ein ganz besonderes«, bestätigt Susanne Lang vom Organisationsteam. Nach wechselnden Veranstaltungsorten – am Ufer des Straussees, auf dem Gutshof an der Prötzeler Chaussee und zuletzt 2021 im Volkshaus Nord – findet das Fest jetzt auf dem Marktplatz und in der angrenzenden Großen Straße statt.

»Wir wollen näher ans Geschehen, ran an die Leute, und nicht nur die Menschen erreichen, die von dem Friedensfest wissen und sowieso kommen«, erklärt Lang die Ortswahl. Für den Markt habe man sich übrigens schon vor dem 24. Februar entschieden, also bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Vergangenes Jahr seien über den Tag verteilt rund 700 Besucher ins Volkshaus Nord gekommen. Wenn es diesmal nicht mindestens 1500 Gäste werden, wäre Susanne Lang enttäuscht. Denn das neue Konzept soll doch nicht vergebens sein. Unter den 15 bis 20 Mitstreitern im Organisationsteam sind extra auch welche, die selbst noch nie bei einem der früheren Friedensfeste waren. Sie sollten für frische Ideen und frischen Wind sorgen. Einige sind gar nicht Mitglied der Partei, sondern nur links im Geiste und für den Frieden engagiert. Susanne Lang ist Parteimitglied, gehört dem Linke-Stadtvorstand an, hat früher beim Friedensfest schon geholfen, es aber noch nie mit organisiert. Wenn sie jetzt sagt, bei weniger als 1500 Besuchern wäre sie enttäuscht, dann heißt das nicht, dass sie sich absolut sicher ist, dass wirklich so viele Menschen oder sogar mehr kommen werden. »Das ist sehr schwer einzuschätzen«, bedauert sie. Der Krieg in der Ukraine und die Energiepreise, die mit dem Krieg begründet werden, aber auch mit Börsenspekulationen und der Profitgier von Mineralölkonzernen zusammenhängen, die daraus folgende soziale Unsicherheit, die Angst, dass im Winter die Heizungen kalt und die Kühlschränke leer bleiben – das alles bewege die Bevölkerung, so Lang. »Es gibt Gesprächsbedarf. Aber ob unser Gesprächsangebot angenommen wird, das wissen wir nicht«, sagt die 46-Jährige.

Diskussionsbedarf besteht nicht allein in der Gesellschaft, sondern auch schon innerhalb der Partei, die heftig zum Beispiel über Waffenlieferungen streitet, für die sich einige Genossen vehement einsetzen. In dieser Debatte scheuen beide Seiten nicht vor klaren Ansagen, ja nicht einmal vor beleidigenden Äußerungen zurück.

So weit sei es in Strausberg zum Glück nicht gekommen, sagt Susanne Lang. »Wir sind uns einig, dass das ein Angriffskrieg ist und dass wir das scheiße finden.« Unterschiedlicher Ansicht seien die Genossen in der Stadt über Details: Wie ist der Konflikt mit Russland entstanden, wie hat sich die Lage in der Ukraine seit 2014 entwickelt, wie bewertet man die Rolle der Nato? »Aber wir sind darüber in einem sachlichen, guten Austausch«, beruhigt Lang.

Dabei würden sich Einschätzungen mit der Zeit auch verändern. Sie finde es nicht schlimm, um Positionen ringen zu müssen. Persönlich sehe sie heute auch nicht mehr alles so wie noch im März dieses Jahres. Sie nennt ein Beispiel: Wie steht man zu den Sanktionen gegen Russland, die definitiv Menschen treffen? Aber treffen sie auch jene, die für den Krieg verantwortlich sind und ihn beenden könnten? Wenn das nicht der Fall ist, müsste man die Sanktionspolitik nicht ändern?

Auch emotional hat der Krieg in der Ukraine viele hart getroffen. Besonders schlimm diejenigen, die persönliche Kontakte in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion pflegten. Das sind zum Beispiel auch ehemalige NVA-Offiziere, von denen es in Strausberg noch einige gibt, weil das Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR hier seinen Sitz hatte und die Mitarbeiter mit ihren Familien in der Stadt lebten. Diese Männer und im Einzelfall Frauen hatten beruflich mit den sowjetischen Streitkräften zu tun, die damals als »Freunde« und »Waffenbrüder« bezeichnet wurden. Das mag für viele DDR-Bürger hohle Propaganda gewesen sein, sehr vielen SED-Mitgliedern aber war die Freundschaft zur Sowjetunion ein echtes Bedürfnis, und das umfasste alle Republiken. Freunde waren also neben den Russen nicht minder die Ukrainer und andere. Dass verschiedene Nationalitäten seit dem Ende der Sowjetunion übereinander herfallen, löst Erschütterung aus.

Zur Versorgung der Gäste wird am Samstag eine Gulaschkanone aufgefahren. Mit so einer Feldküche kann man bekanntlich nicht schießen. Aber der Name täuscht auch in anderer Hinsicht. »Ich glaube, da ist Erbsensuppe drin«, erzählt Susanne Lang. Auch anderes Essen wird angeboten. Für Kinder gibt es Sport und Spiel. Das »nd« ist mit einem Stand genauso dabei wie der Dietz-Verlag. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zeigt einen Überblick über neueste neofaschistische Strömungen in Deutschland, der Hilfsverein Wir packen’s an informiert in der Geschäftsstelle der Linken in einer Ausstellung über das Elend gestrandeter Flüchtlinge beispielsweise an der bosnisch-kroatischen Grenze. Vor der Geschäftsstelle können bei dieser Gelegenheit Kleiderspenden an den Verein abgegeben werden.

In einer dritten Ausstellung präsentiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung Illustrationen des US-Amerikaners Brian Stauffer, der sich künstlerisch mit Themen wie Krieg und Frieden, Rassismus, Ungerechtigkeit und Bildung auseinandersetzt. Susanne Lang fühlt sich bei seinen Werken ein bisschen an die berühmten Montagen von John Heartfield erinnert. »Man könnte meinen, er hat das Programm der Linken in Bildern umgesetzt, aber er hat mit der Linkspartei gar nichts zu tun«, schwärmt sie.

Erwartet wird um 13.30 Uhr Brandenburgs aktueller Linke-Fraktionschef Sebastian Walter, der über den Zustand und die Zukunft des sozialen Friedens im Bundesland sprechen wird. Zum Thema »Klimakrise und Krieg« ist um 16 Uhr die Bundesvorsitzende Janine Wissler eingeladen und damit das erste Mal beim Strausberger Friedensfest präsent. Die Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato, EU-Parlamentarier Helmut Scholz und Kreistagsfraktionschef Uwe Salzwedel befassen sich um 17 Uhr mit der Bedeutung der EU für Märkisch-Oderland.

Konzerte geben der Liedermacher Torsten Riemann und die Sogenannte Anarchistische Musikwirtschaft, die sich von der Bolschewistischen Kurkapelle abspaltete. Stilrichtung: Blasmusik und Weltrevolution. Zuletzt spielt um 18 Uhr die Band PC Toys und beschließt das Friedensfest mit sozialkritischen Songs.

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