Mythos des Freiheitskämpfers

Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hielt sich die Begeisterung für Wolodymyr Selenskyj in Deutschland in Grenzen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem russischen Angriff am 24. Februar ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu einem der bekanntesten ausländischen Politiker in Deutschland avanciert. Regelmäßig flimmern seine Botschaften über den Bildschirm, in denen er die Bevölkerung in den westlichen Regionen seines Landes zum Durchhalten aufruft und tatsächliche oder mutmaßliche Erfolge der ukrainischen Streitkräfte verkündet. Selenskyj bleibt in seinem Land, empfängt dort hochrangige Besucher und wird online zugeschaltet, um vor anderen Parlamenten in Europa zu sprechen.

Viele deutsche Politiker haben sich mit Pathos an die Seite von Selenskyjs Ukraine gestellt. Außenministerin Annalena Baerbock betont gerne, dass es in diesem Krieg um die »Freiheit der Ukraine« gehe. Die Werte des Westens wie Freiheit und Demokratie müssten verteidigt werden. »Diese Werte sind angegriffen worden«, so die Grünen-Politikerin.

Tatsache ist aber auch, dass der frühere Fernsehkomiker Selenskyj in Deutschland lange kritisch beäugt wurde. Kurz vor dem russischen Angriff veröffentlichte der Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) eine Analyse, in welcher der Frage nachgegangen wurde, ob sich das politische System der Ukraine zu einem »populistischen Autoritarismus« entwickelt. Die Stiftung berät politische Entscheidungsträger in Deutschland und internationalen Organisationen wie Uno, Nato und EU. »Für Moskaus Propaganda ist Selenskyjs Regierungsstil eine ideale Steilvorlage, um den Ukrainern und ihren westlichen Unterstützern eine Art Doppelmoral vorzuwerfen: Während sich die Ukraine als demokratisch-liberaler Gegenentwurf zu Russland darstelle, greife der Westen hier faktisch einem ebenso autoritären Regime unter die Arme«, heißt es im Text der SWP.

Besonders übel stieß dem Thinktank auf, dass Selenskyj »seinen direkten Zugriff auf die Generalstaatsanwaltschaft genutzt hat, um Verfahrensabläufe in seinem Sinn zu beeinflussen«. Dies könnte er auch im Falle von Petro Poroschenko tun. Der Oligarch, frühere Präsident und Kontrahent von Selenskyj wurde in seiner Heimat wegen Korruption und Hochverrats angeklagt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik befürchtete wegen der internen Konflikte und Selenskyjs Regierungsstil eine politische Instabilität der Ukraine. Stabilität ist aus Sicht von SWP und Bundesregierung wichtig, um neoliberale Reformen umzusetzen. Selenskyj war diesbezüglich nicht tatenlos, sondern brachte eine Bodenreform voran, in der Kritiker die Gefahr des Ausverkaufs an ausländische Investoren sehen. Doch im Westen hatte man sich etwas mehr von der Regierung in Kiew erhofft.

Hinzu kam, dass Angela Merkel mit Poroschenko besser auskam. Beide kennen sich aus der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP. Nach dem Abtritt der Kanzlerin hofften Selenskyj und sein Umfeld auf einen Neustart. Den hat es nun gegeben. Die Regierungen der Ukraine und Deutschlands sind seit dem Krieg enger zusammengerückt.

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